EINE POSITIVE BILANZ IM GEGENWIND


Ausländische Direktoren bringen frischen Wind in die staatlichen Museen Italiens – doch ein Verwaltungsgericht stellt die Reform der Kultureinrichtungen in Frage

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Umgehängt: Botticellis „Geburt der Venus“ in den Florentiner Uffizien

Mailand/Turin – Im Sommer 2015 hatte der italienische Kulturminister für 20 bedeutende staatliche Museumseinrichtungen des Landes nach einem Ausschreibungsverfahren neue Direktoren berufen. Darunter waren sieben Persönlichkeiten aus dem Ausland wie der Deutsche Eike Schmidt für die Uffizien von Florenz oder der Anglokanadier James Bradburne für die Pinacoteca Brera in Mailand. Nach anfänglichen Polemiken kann jetzt eine erste Bilanz gezogen werden – und die ist positiv. Die Uffizien melden einen Besucherrekord von über 2 Millionen im Jahr 2016 und durch gezielte Neuhängungen zur Vermeidung von Schlangenbildung eine bessere Führung der Besucherströme. In der Brera sind 20 Säle neu strukturiert worden und kleine punktuelle Ausstellungen werten die Sammlung auf, was auch zu einem Plus von 5,4 Prozent mehr Besucher  gegenüber dem Erfolgsjahr der Mailänder Expo 2015 geführt hat. Im Nachtrag zu lesen: Das Verwaltungsgericht der Region Latium hat die Berufung von fünf Direktoren nach der neuen Ausschreibung – darunter die des Österreichers Peter Assmann in Mantua – für nichtig erklärt. Gegen das Urteil hat das Kulturministeriums beim Staatsrat Widerspruch eingelegt.

Ausgerechnet dieser Peter Assmann, der die Leitung des Palazzo Ducale im Mantua übernommen hat, meldet die höchsten Erfolgszahlen. Er konnte  mit 51 Prozent mehr Besucher auf der Liste der meistbesuchten Museen Italiens, die vom Kolosseum und Forum Romanum angeführt wird, zehn Plätze gut machen und liegt jetzt auf Platz 17. Gleich hinter Ausgrabungsgebiet von Paestum, das unter dem Deutschen Gabriel Zuchtriegel vier Plätze nach oben rutschte.

Modernisierung durch Strukturreformen

Die Kultureinrichtungen Italiens tragen mit einem allgemein positiven Trend (plus 4 Prozent mehr Besucher und 18 Prozent mehr Einnahmen 2016 gegenüber dem Vorjahr) zum Erfolg der Museen bei. Doch sind es besonders die Strukturreformen der ausländischen Direktoren, die frischen Wind in die Einrichtungen bringen. Das reicht von einer Abendöffnung der Mailänder Brera zum Preis von zwei Euro bis zu Marketingprogrammen der Galleria delle Marche in Urbino, die von dem Österreicher Peter Aufreiter geleitet wird.

In einer Untersuchung der Turiner Tageszeitung La Stampa benennen die ausländischen Direktoren aber auch die Hindernisse ihrer Arbeit. Da sei vor allem der „morbus burocraticus“, wie es Cecile Hollberg nennt, die an der Spitze der Galleria dell’Accademia in Florenz steht. Vorschriften für Ausschreibungen, so die Kulturmanagerin aus Niedersachsen, hätten zum Beispiel bislang verhindert, das die Einrichtung mit einem zeitgemäßen Internetauftritt punkten könnte.

Problem mit dem Personal

Eine Überalterung des Personals beklagt der Franzose Sylvain Bellenger am Museo di Capodimonte in Neapel. Dass das Personal zentral vom Ministerium und nicht autonom vom Museum eingesetzt werden kann, behindert auch James Bradburne an der Mailänder Brera etwa bei Sondersausstellungen oder der Abendöffnung. Und Peter Assmann hat in Mantua keine Fachleute, die er für PR oder die Pressearbeit einsetzen könne, das müsse alles seine Sekretärin erledigen.

NACHTRAG

Mailand/Rom – Nachdem zwei bei der Ausschreibung unterlegene Bewerber gegen Berufungen nach dem neuen Ausschreibungverfahren geklagt hatten, hat jetzt am 25. Mai das Verwaltungsgericht (TAR) der Region Latium die sofortige Amtsenthebung von fünf Direktoren (vier Italiener und ein Österreicher) angeordnet. Ein Urteil gegen Gabriel Zuchtriegel (Paestum) wurde wegen eines Formfehlers ausgesetzt. Das Gericht begründete seine Entscheidung im Fall Assmann (Mantua) u.a. damit, dass auf staatlichen Verwaltungsstellen kein Ausländer berufen darf. Aber: gleichzeitig wurden von einer anderen Sektion des Gerichts Klagen etwa gegen Eike Schmidt (Uffizien) und Cecile Hollberg (Accademia) abgewiesen. Fachleute bestreiten zudem die Auslegung des TAR gegen Ausländer, weil in diesem Fall inzwischen europäisches Recht nationales Recht brechen würde

Es herrscht ein juristisches und politisches Chaos. Kulturminister Dario Franceschini zeigt sich entsetzt „ohne Worte“ und fragt, was für eine Bild würde Italien jetzt in der europäischen Öffentlichkeit machen? Dagegen jubeln kunsthistorische Fundamentalisten wie Vittorio Sgarbi oder Tomaso Montanari über die „einwandfreie Entscheidung“ (so Sgarbi) des Gerichts. Montanari verlangte zugleich den „Rückbau“ der Reformmaßnahmen Franceschinis „Stein für Stein“.  Der Journalist und Schriftsteller Francesco Merlo nannte den Vorgang unter der Überschrift „La Brexit dei Musei Italiani“ in der römischen Tageszeitung la Repubblica dagegen „grotesk“. Ein Verwaltungsgericht wie das des Latiums seien Instrumente einer „Kultur des Nein“, mit der jeder Fortschritt in Italien ausgebremst werde.

Die abgesetzten Museumsdirektoren (deren Gehalt auch eingefroren wurde) werden vorläufig durch Regionalvertreter des Kulturministeriums ersetzt. Uffizien-Chef Eike Schmidt forderte in einem Interview mit la Repubblica: „Italien müsse zwischen Europa und der Vorgeschichte wählen.“