FÜNFUNDZWANZIG JAHRE DANACH


Hintergrund einer aktuellen Recherche in Palermo zur Geschichte der Mordanschläge auf Giovanni Falcone und Paolo Borsellino von 1992 in drei Folgen.

Paolo Borsellino (1940 - 1992), links, und Giovanni Falcone (1939 - 1992)

Paolo Borsellino (1940 – 1992), links, und Giovanni Falcone (1939 – 1992)

Palermo – Vor 25 Jahren mussten Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Kampf gegen die sizilianische Mafia ihr Leben lassen. In dieser Zeit ist es der italienischen Justiz nicht gelungen, die Morde gegen die hohen Justizbeamten und die Mitglieder ihres Begleitschutzes endgültig aufzuklären. Aus Anlass des Attentats gegen Paolo Borsellino am 19. Juli 1992 präsentiert Cluverius eine aktuelle Recherche in Palermo: Eine Begegnung mit Rita Borsellino, der Schwester des ermordeten Staatsanwaltes und Untersuchungsrichters (Palermo I), ein Gespräch mit dem Mafia-Historiker Umberto Santino (Palermo II) und ein Bericht über das Teatro Massimo und die Rolle von Mafia und Antimafia in der Kulturpolitik der sizilianischen Landeshauptstadt (Palermo III).

Der Hintergrund

Auf Sizilien gelingt es Anfang der 1980er Jahre den Ermittlungsbehörden durch Aussagen von Überläufern aus dem kriminellen Milieu Beweismaterial gegen Verbrechen durch die Cosa Nostra, die sizilianische Mafia zu sammeln. Zwei Freunde, die Ermittlungsrichter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, bereiten 1985 eine 8000 Seiten lange Schrift zur Beweiserhebung gegen weit über 400 Mitglieder wie Mitläufer der Cosa Nostra vor. Die Arbeit von Falcone und Borsellino führt zum sogenannten ersten Maxiprozess gegen die Mafia, in dem Ende 1967 zum ersten Mal eine große Gruppe von Mafiosi, darunter Bosse wie Salvatore Riina oder Bernardo Provenzano obgleich flüchtig, zu teilsweise lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt werden.

Die Cosa Nostra hofft durch ihre Beziehung zu Politik und Institutionen zumindest auf eine Milderung der Strafmaße in den weiteren Instanzen. Als aber das römische Kassationsgericht diese Urteile zu Jahresbeginn 1992 endgültig bestätigt, beginnt eine Serie von Attentaten. Darunter im März 1992 ein Anschlag gegen den christdemokratischen Europaparlamentarier und Ex-Bürgermeister von Palermo Salvatore Lima, der bis dahin als Verbindungsmann der Cosa Nostra zur Politik gilt. Er stirbt im Kugelhagel unbekannter Täter – offensichtlich hatte er versagt. Am 23. Mai wird Giovanni Falcone, der inzwischen im römischen Justizministerium eine zentrale Ermittlungsbehörde gegen alle italienischen Mafia-Organisationen aufbaut, zusammen mit seiner Frau und seiner Begleitmannschaft bei einem Bombenanschlag auf der Autobahn bei Capaci (zwischen dem Flughafen Palermo und der sizilianischen Landeshauptstadt) ermordet.

Verhandlungen zwischen Staat und Mafia?

Paolo Borsellino geht derweil Spuren nach, die möglicherweise Kontakte zwischen Personen der staatlichen Institutionen und der Mafia-Organisationen belegen. Bei diesen Kontakten soll es unter anderem darum gehen, die Mafia bei bestimmten Gegenleistungen von ihrem mörderischen Kurs abzubringen. Womöglich spielen dabei auch Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Cosa Nostra und Finanzgruppen in Norditalien eine Rolle, wie gerade Nando dalla Chiesa in seinem Buch „una strage semplice“ (Melampo 2017) nahe gelegt hat. Falcones Freund gilt als strikter Gegner jeder Art von Verhandlungen zwischen Staat und Mafia. Paolo Borsellino kommt zusammen mit fünf Beamten seines Leibschutzes – darunter eine Frau – am 19. Juli 1992 bei einem Bombenattentat in der Via D’Amelio ums Leben. Er wollte an jenem Sonntag seine Mutter besuche, die dort lebte.

Der Selbstmord einer Siebzehnjährigen

Wenige Tage später nimmt sich in Rom eine junge Frau das Leben. Rita Atria stammt aus einer Familie aus dem sizilianischen Ort Partanna. Sie ist die Tochter eines lokalen Capomafia, der ermordet wurde, als sie zwölf Jahre alt war. Nachdem im Krieg zwischen verfeindeten Mafiagruppen auch ihr Bruder hatte sterben müssen, vertraute sie sich Paolo Borsellino an und erzählte ihm alles, was sie über die lokale Mafia wusste. Borsellino nahm sich ihrer an, half ihr unterzutauchen und verschaffte ihr eine Tarnadresse in Rom, wo er sie gelegentlich besuchte. Rita verehrte ihn wie einen Vater. Als Paolo Borsellino starb schrieb sie in ihr Tagebuch: „Borsellino, du bist für das gestorben, woran du geglaubt hast. Aber ohne dich bin ich tot.“ Rita Atria ist noch nicht einmal 18 Jahre alt, als sie aus dem Fenster ihrer Wohnung in den Tod springt.

Prozesse ohne Ende

Die Morde an Giovanni Falcone und Paolo Borsellino sind auch 25 Jahre nach den blutigen Attentaten von 1992 nicht juristisch aufgeklärt. Besonders die Bluttat in der Via D’Amelio, bei der Paolo Borsellino und die Mitgliedern seines Begleitschutzes sterben, wird gerade zum vierten Mal in einem Strafprozess („Borsellino quater“) aufgerollt. Vorausgegangen waren offensichtlichen Falschaussagen von einigen „pentiti“ – sogenannte „reuige“ Mafiosi, die sich zur Mitarbeit mit den Justizbehörden entschlossen hatten. Dabei geht es auch um die Frage nach Auftraggebern „von außen“, die also die kriminelle Organisation als Handlanger benutzt haben könnten.

Palermo (I)Wer von Paolo erzählt, lässt Ihn weiterleben
Palermo (II)„Es gibt keine Mafia ohne Beziehungen zur Politik“
Palermo (III)Die Oper und ein Regenbogen

Zum Hintergrund und zur Geschichte der Mafia siehe auch: „Der Pate – letzter Akt: Die sizilianische Mafia“ (Goldmann 2008)