Venedig feiert den manieristischen Maler Tintoretto, der vor 500 Jahren geboren wurde.
Venedig (Palazzo Ducale/Galleria dell’Accademia bis 6.1. 2019) Tintoretto nannte sich der venezianische Maler Jacopo Robusti. Der Vater, der aus dem toskanischen Lucca stammte, war ein Färber, ein „Tintore“, der Stoffe bearbeitete. Und Tintoretto bedeutet der „kleine Färber“ oder das „Färberlein“. Das klingt bescheiden, doch Bescheidenheit gehörte nicht zu den Charakterzügen des auch als Unternehmer erfolgreichen Jacopo Robusti, der den Namen Tintoretto zu einem Markenzeichen auf dem Kunstmarkt der Lagunenstadt machte. Die feiert jetzt seinen 500. Geburtstag mit zwei Ausstellungen.
Mit nervösen, schnell aufgetragenen Pinselstrichen, mit manierierten Darstellungen von Figuren, die er aus manchen Gemälden geradezu herausfallen ließ und mit großen Bildformaten, die er aus mehreren Leinwänden zusammen stückelte, trat er das Erbe der Renaissancemalerei von Giorgione und Tizian an. Den religiösen Orden und karikativen Laienbruderschaften von Venedig – den sogenannten „Scuole“ – lieferte er biblische Motive, dem Stadtadel diente er mit Gemälden für Privatgemächer und mit Porträts, den venezianischen Staat verherrlichte er in Historienbilder. Und manchmal hat man bei diesen Arbeiten den Eindruck, Standbilder aus einem monumentalen Kinofilm zu sehen.
Ewiger Zeitgenosse
Die Kraft seiner Bilder hat auf große Maler, auf Velásquez, El Greco, Rubens und später Delacroix oder Manet ausgestrahlt. Über die Jahrhunderte erweist sich der rastlose Tintoretto gleichsam bis ins Heute als ewiger Zeitgenosse. Das gilt etwa auch für Anselm Kiefer. Und sogar Jeff Koons hat kürzlich ein Bild von Tintoretto in seiner Reihe „Gazing Ball Paintings“ verarbeitet.
Seine erstaunliche Themenbreite, seine stilistische Vielfalt kann man jetzt in Venedig auf zwei Ausstellungen nachvollziehen. Eine Hauptausstellung unter dem Titel „Tintoretto 1519 -1594“ ist im Dogenpalast zu sehen, wo 50 Gemälde und 20 Zeichnungen original aus seiner Hand zu sehen sind. Die Ausstellung ist in Themenräume gegliedert. Religiöse Motive stehen neben heidnischen Klassikdarstellungen, Privataufträge neben Arbeiten, die den venezianischen Staat feiern. Eindrucksvoll die Galerie der Porträts, bei denen die Personen aus dunklem Hintergrund mit hell erleuchteten Gesichtern hervortreten. Sachlich, nüchtern setzen sich die Bildnisse der Kaufleute und Angehörigen der Oberschicht von den sonst bewegten und übervollen Gemälden des Malers ab. Der verbuchte damit einen Riesenerfolg – ab 1560 galt er de facto als der offizielle Porträtmaler des Stadtstaates.
Der Parcours der Ausstellung versucht trotz einer überraschenden Vielfalt der Stilmittel, so etwas wie eine Handschrift des Malers herauszuarbeiten. Die drückt sich zum Beispiel in dem schon ganz barock anmutenden Bild „Susanna und die Alten“ aus. Prachtvolle Körperlichkeit verbindet sich mit landschaftlichen Akzenten und gewagten Perspektiven. Und drängt den Zuschauer selbst in die Rolle des Voyeurs, die eigentlich der biblischen Geschichte nach den beiden Alten gilt.
Ein Jahrhundert aus den Fugen
Ob er wirklich am 29. September 1518 auf die Welt kam oder erst im Frühjahr 1519, ist ungewiss – die Taufdokumente sind bei einem Brand zerstört worden. Sicher ist, dass er am 31. Mai 1594 im Alter von 75 Jahren starb. Das war eine Zeit aus den Fugen, die Pest zog durch Europa, Rom wurde von protestantischen Truppen geplündert, Mailand zuerst von Franzosen und dann von den Spaniern besetzt und Venedig verlor seine politische Rolle als führende Kolonialmacht im östlichen Mittelmeer.
Dennoch blühte die Lagunenstadt weiter kulturell, auch wegen der Gegenreformation, die Impulse für neue bildnerische Motive und Interpretationen gab. Der reiche Kaufmannsstand schmückte seine Palazzi mit beweglichen Leinwand-Gemälden. Und der Dogenpalast musste nach einem Großbrand völlig neu ausgestattet werden. Da war ein Tintoretto natürlich dabei, der Malerkollegen mit Dumpingpreisen bei Ausschreibungen unterbot und mit einem gut geölten Werkstattbetrieb unter Hilfe auch seiner Tochter Marietta und seinem Sohn Domenico schneller liefern konnte als andere. Besonders beliebt unter Kollegen war er sicher nicht.
Die Farben von Tizian
Der Maler hatte bis auf einen Aufenthalt in Mantua seine Heimatstadt nie verlassen. Dennoch kannte er über Druckgrafiken die Werke der großen mittelitalienischen Künstler wie Raffael oder Michelangelo. „Die Formen von Michelangelo, die Farben von Tizian“ war das Motto seiner Werkstatt. Das kann man gut in dem drei Meter hohen Bild mit der Darstellung einer wundersamen Heilung von Kranken durch den Heiligen Augustinus nachvollziehen. Im Vordergrund liegen und stehen die Michelangelo nachempfundenen Körper der gerade Geheilten, während der Heilige im Hintergrund segnend im lichtvollen weißen Gewand auf einer lilagrauen Wolke schwebt.
In einer zweiten Ausstellung in der Galleria dell’Accademia geht es mit rund 60 Exponaten um die Lehrjahre Tintorettos. Neben den Jugendwerken spiegelt sie mit Arbeiten seiner Zeitgenossen das Umfeld wider, aus dem sich der Maler löste. Bald trat er in Konkurrenz zum Altmeister Tizian (1490 – 1576) und später zum jüngeren, intellektuell verspielten Paolo Veronese (1528 – 1588). Ganz Venedig bietet heute in Kirchen, Museen und Palazzi ein Bühne für Dutzende von Arbeiten des Färberleins. Die Ausstellungen helfen jetzt, diese einzuordnen.
Tintoretto 1519 – 1594. Venedig, Palazzo Ducale. Katalog (Marsilio) Italienisch oder Englisch 35 Euro in der Ausstellung, 45 Euro im Handel. Die Ausstellung wandert anschließend nach Washington in die National Gallery of Art (10.3. bis 7.7.2019). Info: hier
Il giovane Tintoretto. Venedig, Galleria dell’Accademia. Katalog (Marsilio) nur auf Italienisch, 35 Euro. Info: hier
Die Ausstellungen bleiben bis zum 6. Januar zu sehen und haben tgl. 8.30 bis 19 Uhr (ab 1.11. bis 17.30 Uhr) geöffnet
Ein Beitrag zum Thema hat der Deutschlandfunk (Kultur heute, 29.9.2019) gesendet. Ein Text ist auch in der Stuttgarter Zeitung vom 22.10.2018 erschienen.