Salvatore Mereu hat den Roman von Giulio Angioni mit Gavino Ledda in der Hauptrolle (fast) getreu verfilmt
Mailand (Cinema Arcobaleno) – Es geht um die Verwertung von Traditionen im Wirtschaftstreiben der Gegenwart. Und um schnelle Befriedigung der Sehnsucht nach dem Ursprünglichen durch Folklore. Auf Sardinien lässt sich der alte Hirte Costantino von seinem Sohn und seiner deutschen Schwiegertochter überreden, gemeinsam einen Agritourismus-Betrieb in seinem ehemaligen Schafsstall einzurichten. Besucher besonders aus Nordeuropa sollen „echtes“ Hirtenleben von einst „sinnlich“ erleben. Im Film „Assandira“, der gerade auf der Biennale außerhalb des Wettbewerbs gezeigt wurde, gerät Costantino, der typische Speisen kochen und in alten Trachten die Touristen unterhalten soll, in Konflikt zu den Werten seiner Vergangenheit.
Der Film stützt sich auf den Roman „Assandira“, den der Schriftsteller und Anthropologe Giulio Angioni aus Cagliari 2004 veröffentlicht hatte. Regisseur Salvatore Mereu, der bereits in der Vergangenheit literarische Vorlagen von Autoren aus Sardinien filmisch umgesetzt hatte – zum Beispiel die Erzählung „Bellas mariposas“ von Sergio Atzeni – hat ihn jetzt in enger Anlehnung an die Vorlage verfilmt und dabei auch den Spannungsbogen Angionis übernommen. Bei einem Brand von Assandira, so der Name des Agritourismus, kommt nämlich Costantinos Sohn ums Leben und die schwangere Schwiegertochter verliert ihr Kind. Ein Staatsanwalt ermittelt, ob es sich um Brandstiftung handeln könnte. Und Costantino führt ihn schließlich zum Täter. Was Buch und Film, die wie ein gewöhnlicher Krimi beginnen, als gleichsam klassische Tragödie enden lassen.
Deutschland statt Dänemark
Nur in einem Punkt weicht der Film vom Buch ab. Schwiegertochter Grete stammt bei Angioni aus Dänemark und wird von Mereu zu einer Deutschen gemacht. So kommt es auch statt einer Reise nach Kopenhagen zu einer Reise nach Berlin. Immerhin haben wir dadurch die Gelegenheit, eine großartige Anna König in der Rolle der nimmermüden Managerin und Animateurin von Assandira zu erleben. Eine, die oberflächlichen Bedürfnisse ihrer Landsleute kennt und sie mit Mittelmeer-Folklore zu befriedigen weiß. Und zugleich mit ihrer Weiblichkeit den Vorstellungen der Südländer von nordischen Frauen entspricht.
Im Mittelpunkt steht aber Gavino Ledda als Costantino. Ledda ist als Sohn eines Hirten, Autodidakt, Buchautor („Padre Padrone“/ „Mein Vater, mein Herr“), Filmemacher und promovierter Sprachforscher eine mythische Figur auf Sardinien. Der 82jährige gibt der Figur des Costantino, die noch in einer anderen Zeitepoche verwurzelt ist, absolute Glaubwürdigkeit. Wie im Roman erzählt der Film aus der Sicht des Alten und versucht mit Plansequenzen, mit langen Einstellungen, eine zugleich ganz realistische Narration.
Assandira. Mit u.a. Gavino Ledda, Anna König, Marco Zucca, Corrado Giannetti. Buch und Regie: Salvatore Mereu. Kamera: Sandro Chessa. Schnitt: Paola Freddi. Kostüme: Salvatore Aresu. Produktion: Viacolvento/Rai Cinema. Italien 2020, Länge: 128 Min
Hier zum Trailer:
Über Giulio Angioni siehe auf Cluverius: „Das Schweigen bewahren“