im Kino: Welcome Venice


In seinem poetischen Film spürt Andrea Segre mit einer Familiengeschichte dem Spannungsverhältnis zwischen dem alten und neuen Venedig nach

© Jolefilm/Rai Cinema

Fischer in der Lagune – ein mühsames Geschäft. Paolo Pierobon als Pietro

Mailand (Cinema Anteo) – Venedig lebt, überlebt mit dem Tourismus und erstickt zugleich an ihm. Die Einwohner verlassen das alte Zentrum in der Lagune und ziehen aufs Festland, ihre Wohnungen werden in Hotels oder BnBs umgewandelt – finanziell ein Gewinn. Aber die Lebensqualität? Regisseur Andrea Segre hat mit Welcome Venice keinen Film gedreht, der die Stadtentwicklung Venedigs anklagt, auch versucht er keine soziologische Studie. Er erzählt von einer Familie ehemaliger Fischer auf der Insel Giudecca, besonders von zwei Brüdern, die in dieser ökonomisch-emotionalen Zwickmühle stecken. Pietro, der noch dem mühsamen und wenig einträglichen Geschäft als Fischer von Moeche (einer Art von Krebsen) nachgeht, und Alvise, der versucht, als Unternehmer im Tourismus Fuß zu fassen.

Es geht um das alte Haus der Familie. Dort lebt und arbeitet Pietro. Alvise möchte ihm seinen Anteil abkaufen. Er sieht in dem Haus die einmalige Chance, groß ins Immobiliengeschäft einzusteigen – zum Nutzen aller. Doch Pietro will weiter Fischer bleiben und das Haus dafür nutzen. Zwischen den beiden kommt es zu einem zähen Ringen, das die ganze Familie einbezieht.

Andrea Segre, der vor zehn Jahren bereits mit Io sono Li (auf deutsch Venezianische Freundschaft) einen wundervollen Film über das Leben in der Lagune gedreht hatte, schlägt sich im Konflikt nicht eindeutig auf die eine oder die andere Seite. Er gibt so den Zuschauern die Chance, die Argumente beider Brüder ernst zu nehmen. Doch spürt Segre mit Sympathie und Melancholie dem alten Venedig nach, das vielleicht untergehen muss, aber in dem Neuen, wie es sich entwickelt, nicht glücklich sein kann. Ihm ist ein poetischer Film gelungen. Auch wegen der eindrucksvollen Fotografie von Matteo Calore, in der Venedig nie als Kulisse für den Fremdenverkehr erscheint, sondern gerade wegen aller Probleme als ein lebendiger Ort. Allerdings überdehnt die Regie manche Szenen und beraubt sich so gelegentlich der inneren Spannung – was ein finaler Coup zum Glück wieder wettmacht.

Welcome Venice. Mit u.a. Paolo Pierobon, Andrea Pennacchi, Ottavia Piccolo, Sara Lucia. Regie: Andrea Segre. Buch: Marco Pettenello, Andrea Segre. Kamera: Matteo Calore. Schnitt: Chiara Russo. Produktion Jolefilm, Rai Cinema. Italien 2021. Dauer: 100 Minuten

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