Im Theater: Eichmann. Dove inizia la notte


Das neue Stück von Stefano Massini – eine Befragung von Eichmann durch Hannah Arendt – wurde im Mailänder Piccolo Teatro uraufgeführt.

© Tommaso La Pera / Piccolo Teatro

Banalität des Bösen: Eichmann (Paolo Pierobon) und Hannah Arendt (Ottavia Piccolo)

Mailand (Piccolo Teatro) – Adolf Eichmann leitet während des Nationalsozialismus bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges an zentraler Stelle die Verfolgung und Deportation von Juden in Deutschland und in den besetzten Gebieten. Vom israelischen Geheimdienst 1960 in Argentinien aufgespürt wurde er nach Israel gebracht, wo ihm ein öffentlicher Prozess gemacht und wo er schließlich zum Tode verurteilt wurde (Vollstreckung 1962). Den Prozess verfolgte die Philosophin und Publizistin Hannah Arendt. Sie veröffentlichte anschließend  ihr berühmtes Buch „Eichmann in Jerusalem“ über die Banalität des Bösen. Der italienische Autor und Dramaturg Stefano Massini hat aus den Prozess-Akten und dem Arendt-Buch das Theaterstück „Eichmann. Dove inizia la notte“ (Wo die Nacht beginnt) entwickelt. Der Einakter, produziert von den Stadttheatern in Bozen und Venedig, wurde jetzt in Mailand am Piccolo Teatro in der Regie von Mauro Avogadro uraufgeführt.

Massini entwirft eine theatralische Befragung von Adolf Eichmann (Paolo Pierobon) durch Hannah Arendt (Ottavia Piccolo). Er führt eine Art imaginären Prozess vor, in dem Hannah Arendt verstehen will, was diesen Mann bewegt hatte, entscheidend zum Mord an 6 Millionen Juden beizutragen. Schritt für Schritt kann man so den Lebensweg von Eichmann verfolgen. Der Autor will dabei nicht dokumentieren, sondern den Gründen für die Entstehung des Bösen nachspüren. Die historische Ebene vermischt sich mit der persönlichen. Gezeigt wird, wie der Durst nach Macht, nach Geld und das banale Ziel, „Karriere zu machen“, einen einfachen Angestellten des Reichs in ein zynisches und rücksichtsloses Monster verwandeln kann.

Brücken zur Gegenwart

In seiner Arbeit porträtiert Stefano Massini also nicht die finstere Macht des ewigen Bösen, sondern er übernimmt Hannah Arendts These von der Banalität des Bösen. Der Text, der Eichmann in den Mittelpunkt stellt, gibt seinem Darsteller Gelegenheit zu überzeugen. Paolo Pierobon lässt, von der Regie konzentriert geführt, eine Art Jedermann entstehen. Er entwickelt keine historische Ausnahmefigur, sondern führt einen aus den Umständen heraus grausamen Alltagsfall vor, der erschrecken macht. Und Brücken zur Gegenwart erkennen lässt. Der gleichsam präzis agierenden Ottavia Piccolo gibt das Stück dagegen weniger Raum, die Figur der Hannah Arendt zu entfalten. (Gesehen am 24.3. im Piccolo Teatro Grassi, Mailand. Eine Tournee führt u.a. nach Venedig, Padua, Genua, Turin und endet im Mai in Bozen. Der Text ist bei Fandango, Rom, als Buch erschienen.)

Eichmann. Dove inizia la notte. Von Stefano Massini. Mit Ottavia Piccolo und Paolo Pierobon. Regie: Mauro Avogadro, Bühne: Marco Rossi, Kostüm: Giovanna Buzzi, Musik: Gioacchino Balistreri, Licht: Michelangelo Vitullo. Produktion: Teatro Stabile di Bolzano / Teatro Stabile del Veneto