Elio De Capitani bringt in Mailand Orson Welles mit einem Stück zwischen Shakespeare und Melville auf die Bühne (Teatro dell’Elfo)
Mailand (Teatro dell’Elfo Puccini) – Es hat etwas mit Besessenheit zu tun, mit der ein Autor wie Orson Welles im Laufe seines Lebens im Theater, im Kino oder im Radio künstlerische Projekte verfolgte – und oft mit ihnen scheiterte. Dass Theater selbst eine Form von Besessenheit ist, weiß ein Schauspieler, Regisseur und Dramaturg wie Elio De Capitani nur zu gut. Mit dem von ihm mitgegründeten Teatro dell’Elfo setzt er sich in Mailand seit Jahren mit der Ästhetik amerikanischer Autoren auseinander. So musste irgendwann der Weg zu Welles führen. Und zu dem Stück „Moby Dick Rehearsed“, das jetzt zum ersten Mal überhaupt in Italien als „Moby Dick alla Prova“ aufgeführt wurde. Im Februar wird die Inszenierung nach Turin an das Teatro Stabile di Torino – Teatro Nazionale wandern, das sie koproduziert hat.
Es geht um eine Theatergruppe, die gerade dabei ist, Shakespeares Lear einzuüben, als der Leiter das Ruder herum wirft. Er stellt sich und seine Schauspieler auf die Probe, um aus dem Lear heraus für Melvilles Roman Moby Dick eine Bühnenform zu finden. Welles schrieb eine nicht leicht umzusetzende Textvorlage im Wechsel von Dialogen und Monologen, die man sich auch gut als Hörspiel vorstellen kann. Er griff wie Shakespeare auf Blankverse zurück, die in der italienischen Übersetzung von Cristina Viti elegant nachklingen, ohne sich starr an die Stilform zu halten. Man hätte sich gewünscht, den durchaus komplexen Texte, der vielleicht beim ersten Hören nicht sofort eingängig ist, etwa auf der Homepage des Theaters nachlesen zu können. „Das ist emblematischer Text, der viele Themen verarbeitet, die wir auch in der Vergangenheit immer wieder aufgegriffen haben“, sagt De Capitani in einem Zeitungsinterview. „Vor allem ist es Amerika, das Welles in dieser Epik der Walfänger, des Meeres, des Abenteuers erzählt. Mit einer Poetik, die an Whitman erinnert, aber auch mit der Gewalt, der Unbarmherzigkeit Amerikas.“
Starrköpfig im Wahn gefangen
Elio De Capitani, der das Stück jetzt bearbeitet hat, gelingt es mit seinen Schauspielerinnen und Schauspielern bewundernswert, das Literarischen ins Theatralische zu formen. So wie Welles die Besessenheit eines Kapitän Achab formt, der den weißen Wal verfolgt und sich über die schändliche Kreatur, die tückische Natur erhaben fühlt. „Erzählt mir nichts von Frevel oder Fluch: ich würde / auch die Sonne erschlagen, die es wagte, mich zu beleidigen“, ruft er aus. Ein Kapitän, der nach und nach die ganze Mannschaft auf seine Seite bringt, wie der Theaterleiter seine Schauspieler im Stück. Wobei der Lear im Moby Dick immer wieder durchscheint. Kapitän und König, die starrköpfig sich dem Schicksal entgegen stellen. Der eine, der in seiner Besessenheit zum Tier wird und wie ein Tier stirbt. Der andere, der sich von der Tochter verraten glaubt, in den Wahn flüchtet und daran zerbricht.
Es ist ein Kampf, der im Halbdunkel auf einer mit wenigen Elementen ausgestatteten Bühne stattfindet. Dazu gehören Treppen, ein paar Stahltische und ein riesiges, grauweißes Tuch, mal Segel, mal Körper des Gejagten, der am Ende dramatisch alles und alle unter sich begräbt und gleichsam bei lebendigem Leibe verschlingt. Grau die Kostüme, weißgrau – allerdings kaum zu erkennen – die Halbmasken, um den Mund herumgelegt: antike Theatersymbole, die wohl nicht zufällig auf die Gegenwart verweisen. Malerische Räume entstehen durch das ganz punktuell eingesetzte Licht. Schnelle Wechsel erinnern an Filmschnitte, unterstützt live auf der Bühne durch die eigens für die Inszenierung komponierte Musik. Viel Applaus am Ende für eine spannende, gelungene Aufführung bei der Mailänder Premiere.
„Moby Dick-Rehearsed“, wurde mit Welles in der Hauptrolle 1955 in London uraufgeführt. Es kam dann 1962 in New York (ohne Welles) noch einmal auf die Bühne. Der Text wurde 1965 gedruckt (Samuel French). Eine deutsche Übersetzung gibt es wohl nicht. Die Londoner Inszenierung filmisch zu dokumentieren, brach Orson Welles nach wenigen Drehtagen ab. Das Material ging verloren. Nicht zu verwechseln mit einem späteren Filmprojekt (1972) „Moby Dick – Rehearsed“ bei dem Welles einige Szenen des Stückes selbst in allen Rollen nachspielte. Eine 22minutige Kopie wurde vom Münchener Filmmuseum erworben und 1999 restauriert.
Moby Dick alla Prova. Von Orson Welles nach dem Roman von Herman Melville (Italienische Übersetzung Cristina Viti). Eine Inszenierung von Elio De Capitani. Mit Elio De Capitani und Cristina Crippa, Angelo Di Genio, Marco Bonadei, Enzo Curcurù, Alessandro Lussiana, Massimo Somaglino, Michele Costabile, Giulia Viana, Vincenzo Zampa, Mario Arcari. Bühne und Kostüme: Ferdinando Bruni. Livemusik: Mario Arcari, Leitung Chor: Francesca Breschi, Masken: Marco Bonadei, Licht: Michele Ceglia, Ton: Gianfranco Turco. Eine Koproduktion des Teatro dell’Elfo Puccini und des Teatro Stabile di Torino – Teatro Nazionale (Gesehen am 11.1.22 bei der Uraufführung).
Die Inszenierung ist der Erinnerung an den Regisseur, Schauspieler und Dramaturgen Gigi Dall’Aglio (Parma) gewidmet, gestorben im Dezember 2020 im Alter von 77 Jahren an den Folgen einer Covid-Erkrankung.