IN DEN GASSEN VON NEAPEL


Der Roman „Am Hügel von Capodimonte“ von Wanda Marasco lässt Traumbilder einer Stadt zwischen Armut und Würde wach werden

© Neri Pozza Editore, Milano

Titelfoto der italienischen Ausgabe „La compagnia delle anime finte“ (Neri Pozza Editore)

Mailand/Neapel – Neapel ist eine Stadt voller Lebenslust und Todeskult, Menschlichkeit und Gewalt, überwältigender Schönheit und abstoßender Hässlichkeit. Und voller Gestalten, die sich gleichsam geisterhaft bewegen in einer „Gesellschaft von fiktiven Seelen“. „La compagnia delle anime finte“ heißt auch der Originaltitel des Romans von Wanda Marasco, der jetzt unter dem Titel „Am Hügel von Capodimonte“ auf Deutsch erschienen ist und die vielen Schattierungen dieser Stadt in traumartigen Bildern wach werden lässt.

Vincenzina ist ein Mädchen vom Lande aus einfachsten Verhältnissen. In der Stadt verliebt sie sich in Rafele, einem jungen Mann aus gutem Haus. Gegen den Willen seiner Mutter heiraten sie wenige Jahre nach Ende des Krieges und zeugen Rosa. Von seiner Familie auch ökonomisch abgeschnitten, müssen sie sich bei prekären Verhältnissen in Würde durchschlagen. Der Tod Vincenzinas ist Anlass für Rosa, die Liebes- und Lebensgeschichte ihrer Eltern zu erzählen und mit Jugenderinnerungen zu verweben.

Zwischen Sonne und Schatten

Wanda Marasco wurde 1953 in Neapel geboren. Eine Dichterin und Schriftstellerin, die unter anderem Italienisch an einer Berufsschule im „schwierigen“ Vorstadtviertel Scampia unterrichtet hat. Mehrfach wurde sie für ihre Lyrikveröffentlichungen ausgezeichnet. „Am Hügel von Capodimonte“ ist ihr vierter Roman.

Ihre Erzählung ist nicht frei von Sozialromantik. Aber es geht der Autorin offensichtlich nicht darum, ein möglichst genaues Bild von Neapel und seiner Nachkriegsgeschichte zu entwerfen. Statt dessen fordert sie den Leser auf, sich in das Neapel zwischen Sonne und Schatten, Träumen und Erinnerungen, einzufühlen. Sie macht das mit einer poetischen Sprache, deren Lyrizismen nicht immer überzeugen, dem Leser aber die Chance bieten, sich in ihr zu verlieren wie in den Gassen von Neapel.

Eine preisgekrönte Übersetzung

Es gehört Mut dazu, ein Buch so zu schreiben, immer am Rande des Geschmäcklerischen, ohne jedoch wirklich abzustürzen. Und es gehört viel Können dazu, es so zu übersetzen. Annette Kopetzki ist das gelungen. Die Hamburgerin, die sich bereits mit Übersetzungen von Texten von Pier Paolo Pasolini bis Andrea Camilleri, Milena Agus bis Laura Pariani einen Namen gemacht hat, wird jetzt für „Am Hügel von Capodimonte“ mit dem vom Deutschen Literaturfonds vergebenen Paul-Celan-Preis für herausragende Übersetzungen ins Deutsche geehrt.

Wanda Marasco: Am Hügel von Capodimonte. Roman. Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2019. 240 Seiten, 22 Euro.