In Rovigo


copyright Cluverius

Das Herz von Rovigo: Piazza Vittorio Emanuele II

Rovigo, Ende April – Es ist nicht leicht, sich der Provinzstadt (51.000 Einwohner) am südlichen Rand des Po-Deltas zwischen Etsch und Canal Bianco zu nähern. Eine wild gewachsene, gesichtslose Peripherie mit Kleinbetrieben, Lagerhallen und verstreuten Wohnsiedlungen hat sich um sie gelegt und verbinden sich mit der von Adria. Pulsierende Verkehrsstraßen durchschneiden das Schwemmland des Polesine und seine Wasserwege. Rosenzüchtungen, wie Ariost sie Rovigo in seinem Rasenden Roland andichtete, wird man heute kaum noch finden. Der regellosen Hektik entkommt man jedoch im hübschen Zentrum mit ehrwürdigen Palazzi und harmonischen Platzanlagen.

Knallrot geschminkte Lippen

Hier schlägt das Herz des alten Verwaltungs- und Kulturzentrums im gemächlichen Takt. Zwei mittelalterliche Türme erinnern an die Herrschaft der Este. Eine Markussäule macht klar, wer danach das Sagen hatte. Fahrräder gleiten über saubere Pflasterungen. Im Straßencafé auf der Piazza Vittorio Emanuele feiert eine Studentin mit Lorbeerkranz im kastanienbraunen Haar zusammen mit Verwandten und Bekannten ihren Uniabschluss im Fach Erziehungswissenschaften. Immer wieder Hochrufe auf Laura und Gläserklirren. Plakate mit einer jugendlichen Sophia Loren und ihren knallrot geschminkten Lippen rufen zum Besuch einer Ausstellung über im Po-Delta gedrehte Kinofilme im Palazzo Roverella auf. Der rote Backsteinbau aus der Renaissance erinnert an Ferrara und seine Palastkultur.

copyright Cluverius

Geruhsam am Vormittag – Piazza Garibaldi

Wie ausgestorben liegt gleich nebenan die Piazza Garibaldi an diesem sonnigen Freitag Vormittag längs der klassizistischen Fassade des Theaters. Kaum vorstellbar, dass hier besonders am Donnerstag vor dem Caffè Borsa abends die movida – die Jugendszene –„tobt“, wie im Lokalteil des Gazzettino zu lesen ist, aber unter „Einhaltung des Anstands und der Regeln“. Dass die kleine Welt hier doch nicht so ganz in Ordnung ist, zeigt eine Predigt des Bischofs von Adria-Rovigo kurz vor den Feiern zum Ersten Mai: Arbeit, so zitiert die Zeitung den Geistlichen, sei „keine Ware, sondern ein Würde“. Reich ist das Veneto, doch viele Familien leiden unter prekären Beschäftigungsverhältnissen. Auch Laura, Tochter eines Muschelfischers, träumt beim Prosecco von einer festen Stelle als Lehrerin.