JUNG, NACHDENKLICH, MULTIKULTURELL


Mahmood, in der Mailänder Peripherie aufgewachsen, gewinnt überraschend mit dem Song „Soldi“ das 69. Festival von Sanremo – und löst Polemiken aus

© Corriere della Sera,Dossier Sanremo 2019

Mit dem goldenen Löwen von Sanremo -Der 26jährige Mahmood

Sanremo/Mailand – Hast Du Töne? Als in der Nacht zu Sonntag (11. Februar) Altstar Claudio Baglioni den Sieger des diesjährigen Songfestivals Sanremo bekannt gab, zeigte der Glückliche sich überrascht – Mahmood, ein Kind der multikulturellen Mailänder Szene, hatte sich wider Erwarten gegen den favorisierten Römer Ultimo durchgesetzt. Während auf der politischen Bühne sich das von populistischen Strömungen getragene kleinbürgerliche Italien von seiner bedenklichen Seite zeigt, kommt in Sanremo ein anderes Italien – jung, nachdenklich, multikulturell – in den Blick.

Mahmood, das ist der 26jährige Alessandro Mahmoud, Mutter Italienerin aus Sardinien, Vater Ägypter, geboren und aufgewachsen in der südlichen Mailänder Vorstadt Gratosoglio. Musikalisch mischt der junge Mailänder Stile aus dem Umfeld des contemporary R&B. Im Siegessong „Soldi“ (Geld) – hier zum Auftritt – erzählt er von schwierigen Familienverhältnissen und einem Vater-Sohn-Konflikt – zum Text hier. Auch der zweitplazierte Ultimo (Niccolò Moriconi) gehört mit 23 Jahren zur jungen italienischen Szene. Allerdings repräsentiert der an der Musikhochschule erzogene Römer den eher melodischen Song mit den ewigen Themen der Zweierbeziehung und steht für eine andere Gesellschaftsschicht.

Twitter gegen den Gewinner

So machte Innenminister und Lega-Boss Matteo Salvini gleich über Twitter seinem Unbehagen über den Sieg von Mahmood Luft – er hätte Ultimo vorgezogen. Mailands Bürgermeister Giuseppe Sala zeigte sich dagegen begeistert, wieder einmal erweise sich seine Stadt als Hauptstadt des anderen Italien,  neu, solidarischen und Zukunft orientiert. Hier die Vertreter, die in kulturellen Unterschieden einen Reichtum sehen, dort diejenigen, die das italienische DNA in Gefahr wähnen. Die Debatten nach dem Festival erhitzten sich vor allem politisch.

Doch wie kam es zum Sieg von Mahmood? Nach den diesjährigen Regeln des Festivals setzt sich das Votum zusammen zur Hälfte aus den Stimmen der TV-Zuschauer, die andere Hälfte teilen sich Musikkritiker (30 Prozent) und eine Ehrenjury (20 Prozent). Bei den Zuschauern lag am Ende Ultimo knapp vorn, bei den Kritikern und der Ehrenjury gewann eindeutig Mahmood und Ultimo rangierte abgeschlagen. Im kommenden Jahr, so ließ die für das Festival verantwortliche staatliche Rai wissen, die gerade von neuen, der Lega und der Fünfsterne-Bewegung genehmen Managern geleitet wird, solle allein das Volksvotum gelten. Ein Fauxpas wie diesmal dürfe ins Zukunft nicht mehr vorkommen. Über Qualität und Kunst entscheide die Mehrheit – nicht die Fachkenntnis.

Geschichte der italienischen Song-Kultur

Seit fast siebzig Jahren ist des populäre Festival auch ein Gradmesser der italienischen Befindlichkeit. Anders als der deutsche Schlager hat die italienische Songszene ihre Wurzeln in der Tradition der Opernarien einerseits und der volkstümlichen Gesangslandschaften – allen voran Neapel – anderseits. Sanremo ist bis heute ein Schauplatz der Auseinandersetzung zwischen dem „Alten“ und dem „Neuen“ in diesem Bereich – und spiegelt auf seine Art auch den ewigen Zweikampf in Italien von Welfen und Ghibellinen wider. Das jedenfalls beschreibt Jacopo Tomatis in seiner über 800 Seiten dicken „Storia culturale della canzone italiana“. Wobei in der Regel Veränderungen auch in der musikalischen Szene immer durch „alte Brillen“ wahrgenommen wurden und die Überzeugung galt, „dass neue Musik nie besser sein kann als alte Musik.“

Nach dieser Erzählung bliebe Sanremo 2019 also eine Ausnahme. Aber eine, die gerade in den gegenwärtig nicht gerade hellen Zeiten hoffen lässt.

Zum Festival Sanremo 2019 siehe das Dossier des Corriere della Sera

Jacopo Tomatis: Storia culturale della canzone italiana. Il Saggiatore, Milano. Pagg. 816, 38 Euro