Biennale (2): Natascha Sadr Haghighian bespielt den deutschen Pavillon – und lässt ihn im Netz und in den sozialen Medien stattfinden
Venedig – Der graue Pavillon der Deutschen scheint verschlossen, während sich lange Besucherschlangen vor den benachbarten Einrichtungen der Briten und Franzosen hinziehen. Er wirkt wie ein verlassenes Relikt des Gestrigen, ein Relikt auch der vergangenen ideologischen Debatten darüber, wie man etwa der Nazi-Aura des 1938 errichteten Gebäudes entkommen kann. Ein kleines Schild weist darauf, dass man den Hintereingang benutzen soll.
Drinnen geht es ernst zu. Der Hauptsaal ist von einer mächtigen Konstruktion bis unter die Decke zweigeteilt. Von einer düsteren Staumauer, unter der ein braune Flüssigkeit austritt und sich als Rinnsal ins schmutzige Vorderfeld schlängelt. Felsbrocken liegen herum. Hinter der Mauer wird der Besucher von einer schrillen Klanginstallation empfangen. Soundfolgen mit unterschiedlichen Rhythmen und Klangfarben, die – unter dem Namen „tribute to whistle“ – afrikanische und kreolische Elemente verarbeiten. Als verbindendes Instrument dient eine Trillerpfeife, wie man sie bei Demonstrationen hören kann. Oder mit der sich Emigranten bei Arbeitseinsätzen Zeichensignale geben. Das jedenfalls kann man aus dem Katalog erfahren.
Ein Damm gegen die Flüchtlings-„Flut“
Leider bleiben Informationen an Ort und Stelle über das in Szene gesetzte rar. Es geht wohl um die „Festung Europa“ und einen Damm gegen die Flüchtlings-„Flut“. Erst auf der Webseite und in den sozialen Medien, in die der deutsche Pavillon aus der Realität der Biennale-Gärten gleichsam virtuell verschoben wird, erschließt sich der Zusammenhang. Hier tritt die Künstlerin Natascha Süder Happelmann in mehreren Videos auf – hinter dem Namen verbirgt sich die 1967 in Teheran geborene Natascha Sadr Haghighian .
An Stelle des Kopfes trägt sie in den Videos eine steinartige Form, die wie das grob skizzierte Haupt einer Comic-Figur wirkt. In dieser Aufmachung wandert sie um ein Ankerzentrum für Asylbewerber in Bayern, umkreist Abfüllanlagen für Tomatendosen in Apulien, wo Emigranten illegal beschäftigt und ausgebeutet werden, oder sitzt sinnend am Mittelmeerhafen von Trapani auf Sizilien.
Spiel mit Namen und Biographien
Die iranisch-deutsche Installations- und Videokünstlerinder Natasch Sadr Haghighian, Professorin für Bildhauerei an der Hochschule für Künste Bremen, hat sich unter anderem mit Beteiligungen an der documenta 2012 und 2017 einen Namen gemacht. Sie untersucht in ihren Arbeiten soziale und ökonomische Mechanismen in der Kunst wie in der Gesellschaft. Sie jongliert mit Namen (Ankerzentrum – Ankersentrum) und Biographien und möchte mit ihrer Rolle in Venedig einer Art „kollektiven Intelligenz“ Raum geben, die im Pseudonym Mitarbeiter mit einschließt. Aber das Projekt wirkt, wie in der Figur im Video buchstäblich zu sehen, arg kopflastig.
Merkwürdig, im Nachhinein, wenn man den Pavillon längst verlassen hat, baut sich auch über den Katalog mit Gedichten, Texten, Skizzen, Fotos ein nachklingender Eindruck auf. Sadr Haghighians Pavillon wirkt allerdings nur multimedial. Vielleicht hätte man im grauen deutschen Haus der Biennale zumindest die Videos zeigen sollen.
Natascha Süder Happelmann: Ankersentrum (Surviving in the Ruinous Ruin). Deutscher Pavillon der 58. Internationalen Kunstbiennale, kuratiert von Franciska Zólyom bis 24.11. Katalog (Archive Books) mehrsprachig englisch/deutsch 20 Euro. Info hier
Dazugehörige Veranstaltungen und Konzerte werden auf www.deutscher-pavillon.de angekündigt. Im Juli erscheint in Zusammenarbeit mit dem Deutschlandfunk und dem Goethe-Institut eine LP mit Kompositionen von DJ Marfox, Jessica Ekomane, Maurice Louca, Jako Maron, Tisha Mukarji, Elnaz Seyedi.
Der deutsche Beitrag zur 58. Internationalen Kunstausstellung der Biennale von Venedig ist im Auftrag des Auswärtigen Amtes entstanden und in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) realisiert worden.
Siehe auch auf Cluverius Biennale (1): „Hoffnung im Herzen, Feuer im Bauch“
Ein ähnlicher Beitrag ist in der Stuttgarter Zeitung am 10.5. im web und am 11.5.2019 im print erschienen