Der Coronavirus und die Schönen Künste: nichts geht mehr. Theater, Museen, Ausstellungen bleiben geschlossen. Die Kulturnation Italien mach dicht. Und der Schriftsteller Gianrico Carofiglio denkt über das Verhältnis von Angst und Gefahr nach.
Mailand – Schreckensmeldungen aus Italien: Hauptsächlich im Norden des Landes haben sich – Stand 25.2. – über 300 Personen mit den Coronavirus angesteckt, davon rund 200 allein in der Lombardei. Zehn meist ältere Personen sind gestorben. Besonders gefährdet ist ein Gebiet in der Metropolzone Mailands unweit der Provinzstadt Lodi. Mailand selbst bleibt bislang noch kaum betroffen. Um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, haben die Behörden zu drastischen Maßnahmen wie die Abriegelung der Gebiete gegriffen, die als Ansteckungsherde gelten. Aber in ganz Norditalien werden Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Darunter fallen auch das Verbot von öffentlichen Kulturveranstaltungen. Die Opernhäuser mussten schließen, der Karneval ist ausgefallen, die Kinderbuchmesse Bologna wurde auf Anfang Mai verschoben. Eine Kulturnation wird im Notstand ihrer Kultur beraubt. Aber nicht alle sind mit diesen Maßnahmen einverstanden.
Auf einem Aushang der Scala konnte man im bürokratischen Stil einer Verlautbarung lesen: „Es wird mitgeteilt, dass in Zusammenhang mit der Verbreitung des Coronavirus die Aufführungen des Teatro alla Scala als Vorsichtsmaßnahme in Erwartung weiterer Entscheidungen der zuständigen Behörden abgesagt werden müssen.“ Ähnliche Texte verbreiteten alle Bühnenhäuser der lombardischen Metropole wie auch das Teatro La Fenice in Venedig oder das Teatro Regio in Turin.
Der Virus, der sich in einem Gebiet südlich von Mailand ausgebreitet hat, und unter anderem auch im Piemont, Venetien und der Emilia-Romagna aufgetreten ist, hat zur Absagen fast aller Kulturveranstaltungen zwischen Turin und Triest geführt. Auch öffentliche Veranstaltungen des Karnevals in Venedig wie in Mailand, der nach ambrosianischen Ritus bis Sonntag 1. März andauert, wurden abgesagt.
Der Mailänder Dom – geschlossen
Alle Kinos und Theater bleiben geschlossen. Buchhandlungen veranstalten keine Lesungen mehr. Popkonzerte dürfen bis auf weiteres nicht stattfinden. All das geht auf Anordnungen der Regionalverwaltungen – verantwortlich in Italien für das Gesundheitssystem – und der römischen Zentralregierung zurück. Das gilt auch für museale Einrichtungen etwa in Mailand für die Pinakothek Brera, die Triennale, die Ausstellungen des Palazzo Reale oder alle kommunalen Museen. Ähnlich ist es in Venedig (Peggy Guggenheim, Palazzo Ducale, Museo Correr) und in anderen Städten. Sogar der Mailänder Dom darf nicht mehr betreten werden, Priester sollen in Kirchen keine Messen mehr lesen.
Was einerseits in den Medien als Vorsichtsmaßnahme begrüßt wird, findet nicht überall ungeteilte Zustimmung. Andrée Ruth Shammah, künstlerische Leiterin des Mailänder Teatro Franco Parenti, sagte in einem Interview mit der römischen Tageszeitung la Repubblica (24.2.): „Musik und Theater dürfen nicht schließen, sie sind Säulen einer Gemeinschaft.“
Fiorenzo Grassi, Manager des Teatro Elfo Puccini, der größten Privatbühne Mailands, gegenüber Cluverius: „Uns betrübt das, das ist ein böses Zeichen und es stellt uns vor Probleme.“ Grassi weist nicht nur auf Verträge und Kosten hin. Er betont die soziale Bedeutung des Theaters besonders in Krisenzeiten. Wenn Geschäfte von Supermärkten bis zu Kaufhäusern und ebenso die Restaurants weiter geöffnet bleiben können, sei das ein Widerspruch. In der Millionenstadt Mailand habe es bislang nur eine Erkrankung mit dem Coronavirus gegeben. Man solle den Menschen die Möglichkeit geben, gemeinsam Vertrauen zu entwickeln. Sonst komme es zu Panikreaktionen wie bereits bei ersten Hamsterkäufen. „Vorbeugung tut not, einverstanden. Wir schließen für eine Woche. Doch das Zeichen, das man so gibt, ist falsch.“
Der Zusammenhang von Angst und Gefahr
Der Schriftsteller Gianrico Carofiglio denkt in la Repubblica (vom 26.2.) unter der Überschrift „Se la paura diventa malattia“ über den Zusammenhang von Angst und Gefahr nach. Eine normale Wintergrippe koste im Jahr über 6000 Todesfälle, die direkt oder indirekt auf die Krankheitswelle zurückzuführen sind. In Italien würden täglich Dutzende Menschen an der Luftverschmutzung sterben, aber die Möglichkeit mit einem unbekannten Virus in Kontakt zu kommen setze, so absurd es klingen mag, eine größere Sorge in Gang, als krebserregende Luft einzuatmen.
Ausgehend von dem was John Keats eine „negative Fähigkeit“ nennt, nämlich zu akzeptieren, dass nicht jeder komplexe Vorgang sofort aufgeklärt werden kann, schreibt Carofiglio, das es darum gehe, „das Unbekannte und das Komplexe im Leben zu akzeptieren.“ Man müsse der Gefahr begegnen, indem man alle „sinnvollen Vorsichtsmaßnahmen ergreift (wie sie von verschiedenen Fachleuten empfohlen werden) – aber nicht die unvernünftigen, die von einem unreifen und gefährlichen Bedürfnis ausgehen, das Nichtregierbare regierbar zu machen.“
Man soll, so der Schriftsteller, die Angst „wie ein Werkzeug“ benutzen, „um Vorgänge zu ändern und um zu verhindern, dass sie eine unkontrollierbare und zerstörerische Kraft entwickeln.“
Siehe auch den Beitrag für DLF Kultur heute vom 24.2.2020: Kultur unter Quarantäne
Auf Cluverius: Thesy Kness-Basteroli „Krankheit und Krise“ über Coronavirus und die Auswirkungen für die Wirtschaft
Über Gianrico Carofiglio auf Cluverius: „Zwei Tage und Nächte„