LEICHTIGKEIT ENTLOCKEN


Der Transformationsprozess in Städten, die Mobilitätswende und die Bedeutung der Natur und des öffentlichen Raums bei der urbanen Entwicklung. Dokumentation eines Gespräch mit Uwe Schneidewind, Wirtschaftswissenschaftler und Oberbürgermeister von Wuppertal, für das LANDmagazin Vol. 3 „In-between landscape“

© Medienzentrum Stadt Wuppertal

Uwe Schneidewind – als Politiker ein Quereinsteiger: Der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie ist sei 2020 Oberbürgermeister von Wuppertal

Mailand – Die Wissenschaft nutzt den Begriff der „Großen Transformation“, um Epochenumbrüche des 21. Jahrhunderts im Lichte einer nachhaltigen Entwicklung zu kennzeichnen. Rund 80 Prozent der Menschen werden 2050 in Städten leben. Für den Gesamtrahmen einer erfolgreichen Zukunftspolitik bildet „die Urbane Wende“ damit einen „Knotenpunkt“. So die These auch des Buches „Die Große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels“(1) des Wirtschaftswissenschaftlers Uwe Schneidewind, das im Rahmen seiner Tätigkeit bis 2020 als Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie entstanden ist.

Der Autor, geboren 1966, ist u. a. Mitglied im Club of Rome und war Jahre lang eine prägende Stimme auch im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Er wurde 2020 als Quereinsteiger in die Politik („Bündnis 90/Die Grünen“) zum Oberbürgermeister von Wuppertal gewählt. Ausgehend eines Gutachtens des WBGU über „Die transformative Kraft der Städte“(2) widmet sich unser Gespräch mit dem Wissenschaftler und dem Politiker Uwe Schneidewind wichtigen Fragen der urbanen Entwicklung vor allem in Europa.

Die transformative Kraft der Städte: Welche Rolle kann Natur dabei spielen?

 US: »Eine zunehmend wichtigere Rolle. Parkgestaltung war immer schon ein wesentlicher Impuls zur Stadtentwicklung. In Wuppertal zum Beispiel die Bürgerparks, die Anfang des 19. Jahrhunderts angelegt wurden. Wobei klar war, der unmittelbare Erholungsraum ist ein wichtiger Lebensqualitätsfaktor, aber auch ein Faktor der Gesunderhaltung, der Regeneration. Daher hat das Stadtgrün immer schon in der Stadtentwicklung eine wichtige Rolle gespielt. Durch den Klimawandel wird deutlich, dass wir durch Naturraumgestaltung in Städten entscheidend zur städtischen Lebensqualität beitragen. Bei Themen wie Aufenthaltsqualität, Anmutung von Städten erleben wir einen Wertewandel und das rückt natürlich die Naturgestaltung in den Städten in eine ganz neue Rolle.«

Freiräume schaffen, Flächen gewinnen

Welche Schritte, um dieser Rolle gerecht zu werden? Technologisch? Kulturell?

 US: »Kulturell ist das Thema zunehmend angekommen, dieses Bewusstsein, wir brauchen mehr Grün und zum Teil auch mehr Blau, mehr Wasser in der Stadt. Die Herausforderungen sind jetzt stärker ökonomischer Natur. Wo schaffe ich diese Freiräume, wo gewinne ich die Flächen? Wie bringe ich das in Ausgleich mit einer grundsätzlichen Tendenz einer höheren Verdichtung in den Städten. Wir brauchen mehr Wohnraum, wir wollen keine Zersiedelung mehr. Also die modernen Stadtentwicklungsbilder setzen an vielen Punkten auf mehr Dichte, und das steht dann auch in Konflikt mit dem Raum für Stadtgrün. Da kommen dann neue technologische Optionen ins Spiel. Die Themen vertikaler Begrünung, wie bringe ich das Grün auch an und in die Gebäude. Da spürt man gartenbautechnisch, landschaftsarchitektonisch eine sehr hohe Dynamik, die neue Optionen eröffnen kann. Das gilt ebenso für die Bewegung hin zum Wasser. Wasser war lange Versorgungs- und Entsorgungskanal und wird jetzt zu einer attraktiven urbanen Fläche. Diese Öffnungsprozesse hin zum Wasser, das Umwidmen ehemaliger Hafen- und Lageranlagen, Industriearealen, das spürt man in ganz vielen Städten. Das sind also viele ökonomische Herausforderungen, weil immer wieder Nutzungskonflikte da sind. Und zum Teil auch politisch institutionelle, planungsrechtliche Nutzungskonflikte, bei denen es  darauf ankommt sie, sie in einer guten Weise zu lösen, damit Öffnungsprozesse dann auch möglich werden.«

Mehr öffentlichen Raum schaffen, aufbrechen ist also eine Herausforderung auch für einen Bürgermeister?

US: »Das ist es. Zumal für einen Oberbürgermeister einer hoch verschuldeten Kommune wie Wuppertal. Der öffentliche Raum steht natürlich gerade an den attraktiven Orten und Flächen durchaus in Konkurrenz zu der privaten Nutzung. Es ist natürlich leichter, wenn ich solche Flächen auch öffentlich sichern und entsprechend entwickeln kann. Wir versuchen das mit der Bundesgartenschau 2031 mit Hybridformaten. Das heißt, dass wir Flächen gemeinsam mit privaten Investoren entwickeln, wobei ein Teil dann privat etwa für Wohnbebauung genutzt werden kann, der andere Teil aber öffentlicher Raum bleibt, um eigentlich die investiven Möglichkeiten ein ganzes Stück zu erweitern.«

Beteiligungsformate, die die Stadt voranbringen

Großveranstaltungen werden oft bei Bürgerentscheidungen abgelehnt. Wie haben Sie es geschafft, die Wuppertaler Bevölkerung für die Bundesgartenschau zu gewinnen?

US: »Das war ja knapp. Wir haben das ja nur mit knapp 52 Prozent gewonnen. Es ist trotzdem außergewöhnlich, weil es in der Regel bei diesen Großprojekten immer eine hohe Welle mit ablehnenden und negativen Energien gibt. Weil es sich bei der Ablehnung oft nicht nur um projektspezifische Gründe handelt, sondern das eher Ausdruck eines fehlenden Staatsvertrauens und einer Staatsverdrossenheit ist. Gerade solche Bürgerentscheide sammeln alle Kräfte der Neinsager in einer Stadt. Und es braucht dann sehr viel Mobilisierungskraft bei den aktiv Unterstützenden.

Wir müssen sehr unterschiedliche Formen der Beteiligung unterscheiden. Das eine ist einfach nach Meinungen zu fragen. Und Meinungen sind ja heute sehr emotional stimmungsüberlagert. Menschen, die sich überhaupt nicht in Stadtgesellschaften einbringen, verleihen dann ihrer individuellen Unzufriedenheit in solchen Abstimmungen Ausdruck. Viel wichtiger für die Beteiligung auch für die Stadtgestaltung sind alle diejenigen, die sich ganz aktiv über ein Co-Design, über gemeinsame Produktion von Stadt einbringen. Das sind die Beteiligungsformate, die die Stadt voranbringen. Und davon gib es immer mehr. Das, was man Stadtmacherinnen und Stadtmacher nennt, die sich im eigenen Quartier,  im Urban Gardening, für das Wässern des Baumes vor der Tür, für ganz konkretes, auch soziales Engagement in ihrem Quartier einsetzen, das ist eigentlich die zentrale Form der Beteiligung, die dann auch Kraft in den Städten entfaltet.«

Die Mitnahme von Menschen ist also für den Transformationsprozess der Städte unabdingbar. Aber wächst nicht gerade die Gefahr einer populistische Gegenbewegung bei diesen Themen?

US: »Man darf das nicht unterschätzen. Wir haben einen ziemlich kühlen und nassen Winter und Frühling erlebt. Da spürt man,  dass die Klimakrise zwar ein Thema ist, das im Kopf alle verstanden haben. Aber in den Momenten, wo das emotional kaum noch präsent ist, spüren die, die die Gegenbewegung kultivieren, kräftigen Rückenwind. Was das angeht, bin ich – ich muss sagen „leider“ – gelassen, weil wir die nächsten Katastrophen und Hitzewellen erleben werden, und dann bekommt die Klimafrage auch wieder eine emotionale Präsenz. Deswegen darf der eigene Kompass nicht durch kurzfristige Stimmungslagen überlagert werden. Durch diese Stimmungen sollten wir uns nicht bange machen lassen, weil sich die Notwendigkeit, konsequent an diesen Themen arbeiten zu müssen, nicht verändert hat, nur weil ein Winter mal etwas verregneter und kühler war.«

Das Potenzial urbaner Großräume

Städte entwickeln sich zu Regionen, was bedeutet, was beinhaltet dieser Prozess?

US: »Der eröffnet eigentlich große Chancen. Wenn ich in regional denke, ist das Zusammenbringen der unterschiedlichen Funktionen Wohnen, Arbeiten, Erholung und eine kluge Form von Mobilitätsplanung ganz anders möglich. Gleichzeitig merken wir, wie die Logik von Kommunalfinanzen gestrickt ist, wie schwer sich dann im Konkreten eine wirklich strategische regionale Zusammenarbeit über Kommunalgrenzen hinweg umsetzen lässt. Das ist ein Dilemma. Zurzeit jagen sich Kommunen oft immer noch gegenseitig die Investoren ab, damit dann die Gewerbesteuer möglichst im eigenen Stadtgebiet anfällt. Es gibt den Wettbewerb bestimmter Infrastrukturen für die eigene Stadt, ob das das Krankenhaus ist oder auch das Theater. So ein Denken in einem urbanen Großraum würde andere Potenziale eröffnen. Gleichzeitig erleben wir, dass Identitätsbildungen oft noch auf die einzelne Stadt bezogen sind und nur bedingt auf die gesamt regionalen Räume. Da wird zwar dran gearbeitet, aber das ist ein sehr viel zäherer Prozess, als man sich das eigentlich wünschen würde.«

Das Denken in urbanen Großräumen – beißt sich das nicht mit dem Ideal der 15-Minuten Stadt?

US: »Ich glaube, die 15-Minuten-Idee ist eher ein Kompass für ein sehr viel integrativeres Nachdenken über Stadtentwicklung. Aber wenn ich das jetzt mal ausbuchstabiere für eine Stadt in Wuppertal, in 15 Minuten bin ich mit dem E-Bike fast aus allen Teilen Wuppertals in den umliegenden Grünräumen. Gerade bei sehr dichten, vernetzten urbanen Räumen schließt sich das aus meiner Sicht nicht aus. Je nachdem, wo ich mich konkret in diesem Raum befinde, ergeben sich ganz eigene und individuelle 15-Minuten-Architekturen. Für die einen, die lieber im Grünen wohnen, das aber klug mit Arbeit und Betreuung verknüpfen wollen. Wie derjenige, der lieber im urbanen Kern lebt und trotzdem das Bedürfnis nach Freiräumen hat. Wer werden nicht alles, was man braucht, in einem kleinräumigen Radius von zwei mal zwei Quadratkilometer abdecken. Aber die Grundidee der 15-Minuten-Stadt lässt sich sehr gut auf solche vernetzten, dicht urbane Räumen übertragen. Gerade hier in der Rhein-Ruhrregion bin ich da sehr optimistisch. In 15 Minuten bin ich ja mit dem Zug von Wuppertal-Vohwinkel schon fast in Düsseldorf.«

© Medienzentrum Stadt Wuppertal

Erlebnisqualität der Großstadtmobilität: Schwebebahn über der Wupper

Die Mobilität spielt also in solchen urbanen Großräumen eine wichtige Rolle, die auch ländliche Teile einschließen. Wie kann sich hier Nachhaltigkeit entwickeln?

US: »Mobilität wird immer stärker in der Kategorie Erreichbarkeit gemessen. Die Frage, wie ich Erreichbarkeit herstelle, wird sich vermutlich Stück für Stück gerade in den urbanen Großräumen vom individuell besessenen Automobil zu anderen Mobilitätsketten verlagern. Das heißt dort, wo ländliche Räume eingestreut sind, wird das Auto noch eine Rolle spielen. Aber nicht in der Form, dass ich von A nach B, wenn B dann irgendwo im Zentrum einer Großstadt ist, fahren werde. Sondern es wird eben Ketten geben zum nächsten Park-and-Ride-Parkplatz, wo man dann auf andere Mobilitätsangebote zurückgreift. Das wird sich dann viel vernetzter strukturieren. Es wird nicht im ländlichen Raum seinen Ausgangspunkt nehmen, sondern von den urbanen Zentren nach außen entwickeln. In den Großstädten und in den Kernen der Großstädte wird das Automobil zunehmend eine geringere Rolle spielen, weil dort andere Aufenthaltsqualitäten zählen. Wir haben das ja in einigen Städten in Skandinavien oder in den Niederlanden längst umgesetzt In Amsterdam etwa, wo man gar nicht mehr in die Innenstadtkerne reinfahren kann. Je konsequenter man das umsetzt, desto mehr verschwindet die Idee, dass man vor dem Laden, vor dem Kaufhaus parkt und dann einfach nur umlädt. Die Erlebnisqualitäten der Großstadt erschließe ich mir, selbst wenn ich mit dem Auto komme, darüber, dass ich das Auto außen abstelle. Ob direkt am Stadtrand oder an der 5 km von mir entfernten Park-and-Ride-Station und ich dann mit dem Zug in die urbanen Zentren reinfahre. Durch die Veränderung der unmittelbaren städtischen Mobilität wird sich auch das Mobilitätsmuster auch in den ländlichen Räumen ein ganzes Stück anpassen.«

Öffentliches und privates Interesse zusammenbringen

Steht, wenn man in die Zukunft blickt, der Privatbesitz an Boden einer nachhaltigen Entwicklung städtischer Räume entgegen?

US: »Wir merken ja, dass die Städte, die über eine sehr lange Zeit darauf geachtet haben, dass ein Großteil des Bodens und auch des Gebäudebestands im öffentlichen Eigentum bleiben, wie etwa Wien, in der gesamten Wohnungspolitik, aber auch in ihrer Mobilitätspolitik und im Sinne der Nachhaltigkeit bei der Gestaltung einer Stadt im Vorteil sind gegenüber denjenigen, die massiver privatisiert haben. Man kann durch öffentlichen Boden- und Gebäudeeigentum Gemeinwohlaspekte stärker machen kann. Es wird viel schwieriger, mit privaten Eigentümern zu verhandeln, wenn man keine Durchgriffsmöglichkeiten mehr hat. Dagegen können hybride Lösungen eine relevante Rolle spielen. Lösungen, die von öffentlichem Eigentum ausgehen, aber Erbbaupachtrechte an private Investoren beinhalten, damit diese mit ihrem Kapital zusammen mit der öffentlichen Hand Dinge gestalten und so öffentliches und privates Interesse guterweise zusammenkommen. Ausgangspunkt ist natürlich, dass ich als öffentliche Hand darauf überhaupt einen Hebel habe. Gesegnet sind die Städte, die in den massiven Privatisierungswellen klug genug waren, viel Grund und Boden in eigener Hand zu behalten.«

Muss Politik, wenn allgemeine Interessen vorliegen, in die Lage versetzt werden, Enteignungen durchzusetzen?

US: »Bestimmte Instrumente wie das Vorkaufsrecht haben Kommunen heute schon. Jetzt mit den sich neu konfigurierenden Innenstädten sind auch Gelegenheitsfenster da. Die Kaufhof-Filialen und viele andere Immobilien verlieren durch die Veränderung des Einkaufsverhaltens massiv an Wert, werden geräumt, weil große Handelsunterunternehmen die Innenstädte verlassen. Das bietet Gelegenheitsfenster, diese Gebäude öffentlich zu erwerben und damit einen ganz anderen Ansatz an die Innenstadtgestaltung zu gewinnen.

Sollte man nicht auch grundsätzlich über Korrekturen unseres Wirtschaftssystems nachdenken?

US: »Einen Schritt weiter zu gehen, um bestimmte Formen privaten Eigentums in der Stadt in die öffentliche Hand zu geben, also faktisch zu verstaatlichen, das wird auf Jahre noch eine schwere Debatte. Wir haben das in Berlin mit dem Volksentscheid zur Enteignung der großen Wohnbaukonzerne gehabt. Da hat man immerhin gemerkt, die grundsätzliche Legitimation so etwas zu denken und in den politischen Diskurs einzubringen, die wächst. Man spürt, wir brauchen eigentlich diese Diskussion. Gleichzeitig wird das noch eine ganze Zeit lang unglaublich schwer sein, diese Diskussion mehrheitsfähig zu führen. Wenn selbst schon das Herangehen an Steuerprivilegien für Besserverdiener sakrosankt ist, möchte ich mir die Debatte nicht vorstellen, wenn Politiker fordern würden, wir brauchten weitgehende Verstaatlichungen in unseren urbanen Räumen, um die Städte gemeinwohlorientierter zukunftsfähig zu machen. Dafür ist der legitimatorische Boden nicht da. Was ich mir wünschen würde, dass wir in der Wissenschaft diese Diskussion sehr viel offener führten. In der etablierten Wirtschaftswissenschaft findet ja eine kritische Auseinandersetzung über viele dieser Nebenwirkungen faktisch nicht statt. Und damit ist auch der intellektuelle Raum nicht da, den es braucht, um darauf politische Programme und Forderungen aufzubauen. Da haben wir noch einen weiten Weg.«

Politik die sich intellektuell selbst verzwergt

Streitet sich da manchmal der Wissenschaftler Schneidewind mit dem Politiker Schneidewind?

US: »Die beiden kommen eigentlich gut miteinander aus. Sie sind auch gemeinsam darüber frustriert, wie wenig in populistisch aufgeladenen Stimmungswelten überhaupt noch verhandelbar ist. Auch von Dingen, mit denen man sich eigentlich vernünftig argumentierend auseinandersetzen kann. Der Politiker Schneidewind würde sich wünschen, dass das, was der Wissenschaftler Schneidewind und viele anderen an Perspektiven, Analysen vorgedacht haben, im politischen Raum überhaupt diskursfähig wäre. Das ist es oft nicht, weil man genau weiß, sobald man bestimmte Argumentationsmuster in den politischen Raum bringt, werden sie sofort populistisch weggeweht. Das ist manchmal ernüchternd. Das ist vermutlich Ausdruck der einer Tendenz, dass sich Politik auch in modernen aufgeklärten Demokratien intellektuell immer mehr selbst verzwergt.«

© Fondazione De Fornaris

Drei Stelen in Turin: Tony Cragg „Points of View“ – Zwischen Leichtigkeit und Balance

Wie sind Ihre Erfahrungen nach fast drei Jahren als Oberbürgermeister in Wuppertal, gerade im Zusammenhang mit dem von Ihnen entwickelten Begriff der Zukunftskunst, das heißt ein kreatives Handel im Zusammenspiel von wirtschaftlichen, technologischen, institutionellen und kulturellen Dynamiken?

US: »Da kann man vielleicht von der Arbeit eines Künstlers wie Tony Cragg ausgehen, dessen Installation „Points of View“ mit drei Stelen aus Stein auch auf dem Titelbild des Buches „Die Große Transformation“ abgebildet ist. Wobei es darum geht, ist, einem widerspenstigen Material Leichtigkeit zu entlocken. Es braucht die Idee von dem, was in dem Material eines Steinblocks steckt, dann aber Energie und Durchhaltevermögen, das entsprechend herauszuarbeiten. Eine extrem motivierende Erfahrung ist, dass man in einem städtischen Raum wie Wuppertal eine hohe Dichte an Co-Künstlerinnen und Co-Künstlern hat. Personen, die von den Möglichkeiten, Dinge zukunftsgerechter zu gestalten, getragen sind. Wo sich Energien miteinander verbinden können. Aber das ist oft auch notwendig, weil das politische und verwaltungstechnische Material seine Festigkeiten hat und es viel Energie braucht, filigranen Zukunftsformen auch Raum zu geben. Da gib es einzelne schöne Erfolgserlebnisse, aber auch viele Rückschläge. Da stecken Ideen in viel zu harten Granitkernen, und selbst wenn man noch so lange rumklopft, man bekommt sie nicht sauber herausgearbeitet. In diesem Spannungsverhältnis geht es darum, gute Stadtpolitik zu gestalten.«

Das Gespräch mit Uwe Schneidewind wurde im Mai 2023 im Auftrag des Beratungs- und Planungsunternehmen LAND (Mailand, mit Niederlassungen in Düsseldorf, Lugano, Montreal, Riad und Wien) geführt und im LANDmagazin Vol. 3 „In-between landscape“ (Publisher: Andreas Kipar, December 2023) leicht gekürzt in englischer Übersetzung veröffentlicht. Auf Cluverius wird jetzt zum ersten Mal die Originalfassung in deutscher Sprache publiziert.

Anmerkungen:

(1) Uwe Schneidewind: Die Große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels. Unter Mitarbeit von Manfred Fischedick, Stefan Lechtenböhmer, Christa Liedtke, Stefan Thomas, Henning Wilts, Carolin Baedeker, Christiane Beuermann, Ralf Schüle, Peter Viebahn. Frankfurt/Main 2018

(2) WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen): Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte. Berlin 2016

Über die Problematik der politischen Umsetzung des Transformationsprozess siehe auch das Interview mit Uwe Schneidewind in der „Tageszeitung“ unter dem Titel „Die unendliche Kraft der Neinsager“ (taz.de vom 19.3.2024)