Gegenwartskunst in Ligurien und 30 Jahre
Museum Villa Croce in Genua
Genua (Villa Croce bis 20.März 2016) – Alte Reklameschilder, ausgediente Leuchtschriften, vergilbte Infotafeln – wer die Treppe zum ersten Stock des Museums Villa Croce zur Jubiläumsausstellung hoch geht, stößt auf ein scheinbar wild zusammen gewürfeltes Sammelsurium. Unter dem Titel „R.I.P. (landscape)“ beschreibt Andrea Nacciarriti mit dieser Installation die Veränderung von Stadtlandschaft, die sich zugleich Erinnerung bewahrt. Walter Benjamin hat über das Sammeln geschrieben, dass „jede Leidenschaft ja ans Chaos“ grenze. Diese Arbeit des in Mailand lebenden Künstlers erweist sich als gelungener Auftakt zur Ausstellung „VX30/Chaotic Passion“, die zum 30jährigen Bestehen des Einrichtung einen Dialog zwischen Teilen der festen Sammlung und neueren Arbeiten von jungen italienischen Künstlern „unter 40“ sucht.
Die Villa Croce liegt im eleganten Stadtviertel Carignano hoch über der Hafenfront Genuas mit weitem Blick aufs Meer, wo die Stadt ihren Beinamen „La Superba“ (Die Herrliche) völlig zu Recht trägt. Vor dreißig Jahren wurde in dem klassizistischen Herrenhaus, das von einem prächtigen Park umgebenen ist, das kommunale „Museo d’Arte Contemporanea Villa Croce Genova“ gegründet. Hier sollten vor allem Wechselausstellungen gezeigt werden. 1990 begann man nach einer Schenkung (Sammlung Cernuschi Ghiringhelli) mit dem Aufbau einer festen Sammlung mit Arbeiten vor allem aus den 1960er und 1970er Jahren. Für lange Zeit allerdings konnte die kommunal verwaltete Einrichtung in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr als einen begrenzten Kreis von Liebhabern erreichen.
Für frischen Wind sorgte dann die international erfahrene Kuratorin Ilaria Bonacossa aus der „Schule“ des Kunstkritikers Francesco Bonami, die Mitte 2012 nach einer öffentlichen Ausschreibung die Leitung übernahm. Sie versucht einerseits, die Villa Croce besser mit dem kulturellen Gewebe der Stadt zu verknüpfen. Zuletzt im vergangenen Herbst mit einer Ausstellung der schottischen Künstlerin Susan Philipsz in verschiedenen Museumshöfen, unter anderen im Palazzo Ducale oder dem ehemaligen Kloster San Francesco. Auf der anderen Seite geht es der 42jährigen Direktorin darum, eine Brücke von der historische Sammlung, die wegen der beengten Platzverhältnisse der Villa nie ganz gezeigt werden kann, zur jungen Kunst von heute zu schlagen. Und dabei auf ebenso junge Ausstellungsmacher zu setzen.
Ein Dialog zwischen jung und alt
Das ist auch der Leitgedanke der Jubiläumsausstellung zum dreißigjährigen Bestehen der Villa Croce. Drei Kuratorinnen – alle unter 40 Jahre alt – haben 18 junge italienische Künstlern eingeladen und ihre Arbeiten mit 18 Werken der Sammlung konfrontiert. Herausgekommen ist ein anregender Parcours. In Beziehung tritt etwa die Videoinstallation auf Plexiglasschrift „You will never be safe“ (2013) des neapolitanischen Künstlerkollektivs Pennacchio Argentato, das einen Terroranschlag in London thematisiert, mit einer aerodynamischen zeichnerischen Arbeit (ohne Titel, 1953) von Regina, eine der wenigen Frauen, die sich in der Bewegung des Futurismus behaupten konnten. Serena Vestruccis mit Foren durchbrochene Notizhefte (2013) korrespondieren mit einer eiförmigen schwarzen Skulptur von Luicio Fontana (1961). Oder fünf lange, von der Decke hängende Stoffbahnen („The Warp and the Werft“, 2012) von Danilo Correale sehen sich einer weiß gewellten monochromen Leinwand („Achrome“, 1958) Piero Manzonis gegenüber.
Die Villa Croce mit zuletzt 75 000 Besuchern jährlich ist auch dreißig Jahre nach ihrer Gründung die einzige ernst zu nehmende öffentliche Einrichtung für Gegenwartskunst in Genua und der ganzen Region. Merkwürdig – gibt es doch an der Riviera eine interessante Geschichte der „arte contemporanea“. In der ligurischen Landeshauptstadt wurde etwa 1967 mit einer ersten Ausstellung die Bewegung Arte Povera durch den Kritiker Germano Celant, der selbst aus Genua stammt, gegründet. Gordon Matta-Clark oder Laurie Anderson traten hier zum ersten Mal in Italien auf. Bei Imperia fand einst der Kleeschüler Otto Hofmann Zuflucht, heute lebt und arbeitet hier Georg Baselitz. Einige private Kunst-Galerien bieten ein interessantes Programm und man findet in Ligurien auch eine Reihe aktiver Sammler.
Die große Unbekannte im eigenen Land
Die Museumschefin beklagt jedoch ein nach wie vor herrschendes Desinteresse in der breiten Öffentlichkeit und bei Teilen der Politik. Dabei könnte die Gegenwartskunst mithelfen, das Bild von Genua und seine Rolle als Kulturstadt international aber vor allem interregional deutlicher zu machen. Unter den Kulturstädten Italiens ist die „Superba“ im eigenen Land die große Unbekannte. Fehlende Infrastrukturen – eine veraltete Autobahn oder katastrophal rückständige Zugverbindungen – würden zudem die Stadt und Ligurien etwa von den Metropolen Mailand und Turin und ihrem Publikum abschneiden. Mit einem Oxymeron kommentiert das eine Installation (2015) von Alice Guareschi hinter der zur Hafenfront liegenden Terrasse der Villa: Stahlbuchstaben bilden den Schriftzug „As still as the sea could be“ – unbeweglich wie das Meer.
Keine leichten Verhältnisse, die sich irgendwie auch in der verwickelten Verwaltungsstruktur der Einrichtung niederschlagen. Für das Museum als Liegenschaft und sein Personal zeichnet die Kommune verantwortlich. Die Stelle der Direktorin ist neuerdings bei der Fondazione Palazzo Ducale, einer gemischt öffentlich-privaten Kulturstiftung, verankert. Die sorgt auch über Sponsoren für das Budget von rund 100.000 Euro jährlich. Gegenüber der festen kommunalen Einbindung früher, so Ilaria Bonacossa, sei das ein Fortschritt, der für leichte aber zugleich zerbrechliche Strukturen sorge. Anzustreben sei die Gründung einer eigenen Stiftung Villa Croce auch wegen größerer Flexibilität im Personalbereich.
Leidenschaft und Enthusiasmus
Allerdings will sich die aus Mailand stammende Leiterin nicht hinter bürokratischen Hindernissen verstecken. Geplant sind in diesem Jahr Ausstellungen mit internationalen Gästen wie der schwedischen Videokünstlerin Johanna Billing oder dem Amerikaner Mark Handforth (ausgebildet unter anderem an der Frankfurter Städelschule). Leidenschaft und Enthusiasmus, so lebt Ilaria Bonacossa vor, gehört nicht nur zum Sammeln von Kunst, sondern auch zum Führen eines Kunstmuseums.
VX30 – Chaotic Passion. Villa Croce, Genua, bis 20. März.
Siehe auch den Kurzbericht über die Ausstellung von Susan Philipsz auf Cluverius