MIT BEKANNTER ELEGANZ


Zwischen Spektakel und Tradition: das 42. Rossini Opera Festival in Pesaro

© ROF / Studio Amati Bacciardi

Großes Finale: „Elisabetta Regina d’Inghilterra“, wie es Regisseur Davide Livermore eingerichtet hat

Pesaro (bis 22.8.) – Die sympathische Adriastadt hat ihr Festival zurück. Im vergangenen Jahr konnte das Rossini Opera Festival (ROF) wegen der Pandemie nur als Rumpfveranstaltung stattfinden (hier auf Cluverius). Jetzt 2021 bietet es das gewohnt breite Programm mit drei Neuinszenierungen, die gleichsam die Ränder der Schaffensperiode von Gioachino Rossini abtasten: Il Signor Bruschino (Venedig 1813) und Elisabetta Regina d’Inghilterra (Neapel 1815) einerseits sowie Moïse et Pharaon (Paris 1827) anderseits. Dazu kommen eine neu eingerichtete szenische Aufführung des Stabat Mater (Madrid 1833) sowie Konzerte – darunter die Gala zum 25. ROF-Jubiläum von Juan Diego Flórez, zu der auch Staatspräsident Sergio Mattarella geladen ist. Nicht fehlen darf ein Klassiker: Il Viaggio a Reims (Paris 1825) mit den jungen Stimmen der dem Festival vorgeschalteten Gesangsakademie. Den besonderen Covid-Bedingungen ist allerdings eine Reduzierung der Plätze für das Publikum um 50 Prozent (wegen der Abstandsregel) geschuldet. Grundsätzlich hat nur Zugang, wer eine Impfung oder gültigen Test vorweisen kann.

Eröffnet wurde das Festival mit Moïse et Pharaon unter der musikalischen Leitung von Giacomo Sagripanti (Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI) und der Regie (einschließlich Bühne und Kostüme) von Pier Luigi Pizzi. Rossini hatte nach dem Umzug nach Paris mit dieser Arbeit seinen Mosè in Egitto (Neapel 1818) wieder aufgegriffen und für den französischen Geschmack (u.a. durch Einbeziehung eines Balletts) bearbeitet. Der 91jährige Pizzi inszeniert sie mit der von ihn bekannten Eleganz, geht aber über einen traditionellen Rahmen nicht hinaus. Es sind die Stimmen, die den Abend prägen. Die 39jährige italienische Sopransängerin Eleonora Buratto als Moses Nichte Anaï etwa. Die 27jährige Russin Vasilisa Berzhanskaya (Mezzosopran) in der Rolle der Königin Sinaïde reißt das Publikum zu Jubelstürmen hin. Die Männerpartien übertönt Pharao Erwin Schrott (geboren 1977 in Montevideo) mit seinem Bassbariton.

© ROF / Studio Amati Bacciardi

Untergangsszenarien mit starken Stimmen Erwin Schrott (Pharaon), Vasilisa Berzhanskaya (Sinaïde)

Zur grundlegenden Formel des Festivals gehört eine absolute Treue des musikalischen Erbes von Rossini, erarbeitet durch die kritischen Ausgaben der Fondazione Rossini, mit größtmöglicher Freiheit für Regie und Szenografie bei der Umsetzung. In den vergangenen Jahren hatte man allerdings vergeblich nach einer mutigen Regie Ausschau gehalten. Der Turiner Regisseur Davide Livermore, der im Augenblick in Italien auch durch seine Inszenierungen u.a. an der Scala hoch gehandelt wird, versucht es immerhin zusammen mit dem Bühnenbildner Giò Forma und den Videodesignern der Gruppe D-Wok bei der Elisabetta, die er nach dem Vorbild von „The crown“ wie eine TV-Serie auf die Bühne bringt. Doch zeigt er sich so sehr in Videoeffekte verliebt, dass die Inszenierung u.a. mit den Stimmen von Karine Deshayes (Elisabetta), Salome Jicia (Matilde) oder Sergey Romanovsky (Leicester) darin untergeht. Das Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI, das in diesem Jahr wiederum als Festivalorchester verpflichtet wurde, wird von Evelino Pidò dirigiert, der sich standfest gegen das visuelle Spektakel wehrt.

© ROF / Studio Amati Bcciardi

Vergnüglicher Abend mit Marina Monzò, Pietro Spagnoli und Jack Swanson in Il Signor Bruschino

Die beiden Haupt-Inszenierungen finden wieder im Sportpalast von Pesaro („Vitrifrigo-Arena“) statt. Das seit Jahren im Umbau blockierte Festivalhaus soll endlich im kommenden Jahr erneut zur Verfügung stehen. Traditionell wird das althergebrachte Teatro Rossini aus dem Jahr 1818 (danach mehrfache Umbauten) genutzt, diesmal für einen vergnüglichen Abend mit dem Signor Bruschino, bei dem besonders Marina Monzò (Sofia) und Pietro Spagnoli (Bruschino Vater) aus einer gelungenen Ensembleleistung herauszuheben sind. Doch machte die flotte Inszenierung (Dirigent der Filarmonica Gioachino Rossini: Michele Spotti, Regie: Barbe& Doucet) deutlich, dass die komische Oper dieser Art mit einer Fülle von Stücken – und auf  Bühnen, die sich gegenseitig das Publikum abspenstig machen wollten – in der frühen Phase des 19.Jahrhunderts in Städten wie Venedig oder Neapel eine vergleichbare populäre Rolle gespielt hatten, wie heute vielleicht Comedy-Serien im Fernsehen. Und man muss schon ein Rossini sein, wenn einige Werke aus der Masse hervorragen, die sonst längst der Vergessenheit preisgegeben ist.

Rossini Opera Festival. XLII Edizione. Pesaro 9. – 22. August 2021. Info hier