Pesaro als italienische Kulturhauptstadt 2024 und das Rossini Opera Festival, das auf das Hinterland über Urbino hinaus ausstrahlt
Pesaro – Seit 2014 kürt die italienische Regierung ein Jahr lang eine Kulturhauptstadt des Landes. Ziel ist die „Aufwertung des kulturellen und landschaftlichen Erbes“ und die „Verbesserung der Dienstleistungen für Touristen“. Für den Titel (und einen finanziellen Zuschuss von eine Million Euro) können sich Städte mit einem Kulturprogramm über eine Ausschreibung bewerben. In diesem Jahr 2024 fiel die Wahl auf Pesaro, Hauptort der Provinz Pesaro-Urbino. Im Norden der Region Marken an der Adria gelegen, zeichnen sich Pesaro (95 tausend Einwohner) und sein Hinterland (350 tausend Einwohner) durch eine reiche Geschichte, die bis in die Zeit der Römer zurückgeht, und wirtschaftliche wie kulturelle Vielfalt aus. Am Stadtrand werden Möbel produziert, im Ort gibt es ein Netz von 17 musealen Einrichtungen, und die Universität Urbino liegt nur 36 Kilometer entfernt in den Hügeln des Montefeltro.
Pesaro ist eine heitere Stadt. Ein Ort für Fahrradfahrer. Geklingel, mal fröhlich, mal ärgerlich, durchziehen Straßen und Gassen. Musik liegt in der Luft. Kein Wunder, Gioachino Rossini, „der Schwan von Pesaro“, wurde hier 1792 geboren (er starb 1868 in Paris). Zu ihm führen viele Spuren. Das Geburtshaus mit einer kleinen Ausstellung, das Teatro Rossini (Umbau einer Bühne aus dem 17. Jahrhundert) – er selbst dirigierte zur Eröffnung 1818 den Gassenhauer „La gazza ladra“. Dazu der Sitz der wissenschaftlichen Fondazione Rossini, das Musikkonservatorium und das 2019 eingerichtete höchst sehenswerte Museo Nazionale Rossini in einem alten Adelspalast. (Von der „Pizza Rossini“, einer Pizza Margherita zusätzlich mit hart gekochten Eiern in einem Gewebe von Mayonnaise belegt, schweigen wir lieber.)
Es versteht sich von selbst, dass das Rossini Opera Festival (ROF), das seit 44 Jahren veranstaltet wird, zu den Höhepunkten des Jahrs als Kulturhauptstadt gehört. Und so bot das ROF (7. – 23. August) ein besonders reiches Programm. Es nahm Erfolgsinszenierungen wie „Il barbiere di Siviglia“ (aus dem Jahr 2018) oder „L’equivoco stravagante“ (2019) wieder auf. Dazu wurden die „Messa di Ravenna“ und eine Reihe von Konzertabenden gegeben. Im Mittelpunkt standen jedoch die beiden Neuinszenierungen von „Bianca e Falliero“ (Dirigent: Roberto Abbado/ Regie: Jean-Louis Grinda) und „Ermione“ (Michele Mariotti/Johannes Erath). Man unterstrich damit das große Verdienst des Festivals, das von Beginn (1980) an die verschüttete Tradition von Rossini als Komponisten der Opera seria wieder aufleben ließ. Und damit weltweit eine Rossini-Renaissance ausgelöst hat. Zuvor war die Rezeption des Komponisten auf wenige Werke der Opera buffa beschränkt geblieben.
Das ROF lebt von einer überzeugenden Formel: Aufführungen nach den strengen musikalischen Vorgaben der musikkritischen Edition der Fondazione Rossini bei absoluter Freiheit der Regie, sie in Szene zu setzen. In Folge der von Alberto Zedda parallel zum Festival gegründeten – von ihm bis zu seinem Tod 2017 geleiteten – und weiterhin aktiven Gesangsakademie kann das ROF auf einen Stamm von im Belcanto ausgebildeten Stimmen zurückgreifen. Die auch in diesem Jahr das Publikum begeisterten und die Kritik überzeugten. Darunter vor allem Anastasia Bartoli (Sopran) und Enea Scala (Tenor) in Ermione. In der musikalisch von Michele Mariotti und dem Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI großartig getragenen Aufführung konnte ebenso ein Pesaro groß gewordener Star wie Juan Diego Flórez brillieren. Flórez prägt heute als künstlerischer Leiter zusammen mit dem Intendanten Ernesto Palacio – obendrein ein ausgebildeter Tenor und viele Jahre Manager von Flórez – das ROF.
Freude am Spiel und an der Musik
Traditionell bringen die Teilnehmer der Gesangsakademie an zwei Tagen „Il viaggio a Reims“ auf die Bühne. Das sind Auftritte, bei denen die Freude am Spiel und an der Musik der jungen Sängerinnen und Sängern aufs Publikum überspringen. Und sich auch Nachwuchsdirigenten auszeichnen können – in diesem Jahr Davide Levi aus Mailand. (Und hier das Programm von 2025)
Auch wenn Rossini und die Musik die Hauptrolle spielen – diesmal kamen über 21 tausend Besucher und damit so viel wie nie zuvor zum Festival – bot und bietet Pesaro das ganze Jahr über ein vielfältiges Programm. Als Kulturhauptstadt steht es unter dem Motto „La natura della cultura“ (Die Natur der Kultur). In der ersten Jahreshälfte reichte der Bogen vom traditionellen Filmfestival bis zu einer Ausstellung und einem Event mit Marina Abramovic‘ („The Life“), jetzt in der zweiten Jahreshälfte ist ein Projekt von Rimini Protokoll über künstliche Intelligenz angekündigt oder ein Pop-Konzert mit Laura Pausini. Dazu Theateraufführungen, Lesungen und eine Vielzahl von Initiativen wie Besichtigungstouren durchs ehemalige Ghetto und zu Ausgrabungsstätten.
Denn es ist Ziel der Stadtverwaltung, die 4,3 Millionen Euro in das Hauptstadtprogramm investiert hat, den Kulturtourismus neben dem Badetourismus zu einer Säule in der Stadtökonomie zu entwickeln. Allerdings beklagt man sich, dass die Region Marken wenig Interesse gezeigt und sich nur bescheidenen finanziell beteiligt hat. Dabei ist die Einbeziehung des Hinterlands mit Programmpunkten in sogenannten „Hauptstadtgemeinden“ zwischen Urbino und Fano, Fossombrone und Gola del Furlo besonders gelungen. Als Kulturhauptstadt spiegelt sich Pesaro nicht nur in seinen Highlights wie dem Rossini Opera Festival, sondern führt auch vor, dass mit Kultur Verbindungen in einen Raum hinein geschaffen werden. Ein Netz, das zudem von landschaftlichen Schönheiten geprägt ist, die den Reichtum Italiens ausmachen.