Italien erinnert an den großen Kinoautor und Filmregisseur Federico Fellini (1920-1993), der am 20. Januar 100 Jahre alt geworden wäre. Den Auftakt macht eine Ausstellung in seiner Heimatstadt Rimini.
Mailand/Rimini – Der Legende nach wurde Federico Fellini in einem Eisenbahnwaggon erster Klasse eines Zuges geboren, als dieser den Bahnhof von Rimini passierte. Diese originelle Geschichte würde zum vitalen Regisseur und Autor passen, der uns in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts von „La strada“ über „La dolce vita“ bis „Satyrikon“ oder „Orchesterprobe“ rund zwei Dutzend phantasiepralle Kinofilme geschenkt hatte. Doch seine Biographen haben die Legende (leider) widerlegt: ausgerechnet am 20. Januar 1920, als der kleine Federico auf die Welt kam, bestreikten Gewerkschaften die Eisenbahnstrecke längs der Adria vorbei an Rimini durch die Landschaft der Romagna bis nach Bologna: alle Züge standen still.
Richtig ist: Fellini erblickte in Rimini das Licht der Welt. Sein Vater war ein Handelsvertreter für Kaffee und Käse, der aus einem Dorf der Romagna stammte, seine Mutter kam aus Rom, hatte aber romagnolische Vorfahren. Hier an der Adria also wuchs der spätere Regisseur auf. Federicos spätere Andeutungen, sich als lustlosen, unbeständigen Schüler darzustellen, widerspricht sein Freund und Biograph Tullio Kezich (Diogenes Verlag). Die schulischen Leistungen seien normal gewesen, Geniestreiche würden fehlen. „Er war ein x-beliebiges Kind, das hübsch zeichnen konnte, in einer x-beliebigen Kleinstadt in einem bodenständigen Italien, das zwischen Faschismus und Katholizismus eingezwängt war.“ Abenteuerlich ging es eher in den Ferien im Landhaus der Großmutter väterlicherseits zu, das später in Filmen wie „La strada“ oder „Amarcord“ wieder auftauchte. Da gab es noch eine bäuerliche Welt mit archaischen Sitten und Gebräuchen, in der sich schräge Typen, Vagabunden und Zigeuner tummelten.
Der Realist muss ein Visionär sein
Fellini ging später nach Rom, versuchte sich als Zeichner und Journalist. Er schrieb Texte fürs Radio, wobei er auch seine spätere Ehefrau Giulietta Masina kennen lernte. Erste Drehbücher fürs Kino entstanden, als er etwa Cesare Zavattini zuarbeitete. Als Mitarbeiter eines Drehbuchs erhielt er die ersten seiner vielen Nominierungen für den „Oscar“: 1946 für „Roma città aperta“ und 1949 für „Paisà“, beides Filme von Roberto Rossellini. Doch der Neorealismus jener Jahre, war eigentlich nicht der Stil Fellinis. Ihm wird der Satz nachgesagt, dass der wahre Realist ein Visionär sein müsse. Zusammen mit Alberto Lattuada arbeitete er als Co-Regisseur. Mit „Lo sceico bianco“ (Der weiße Scheich) drehte er dann 1951 seinen ersten Film. Der römische Komiker Alberto Sordi spielte die Hauptrolle. Die Musik komponierte der Mailänder Nino Rota, der als Freund und Mitarbeiter von Stund an zum Schaffen Fellinis einen kongenialen Beitrag lieferte. Seine Melodien haben sich in vielen Filmen mit den Bildern des Kinozauberers aus Rimini so eng verwoben, dass das eine ohne das andere kaum noch denkbar ist. Man erinnere sich nur an das von einer Trompete gespielte Leitmotiv von „La strada“ – wer Rota hört, sieht Fellini ( – hier zum Soundtrack).
Rom wurde Fellini so endgültig zum Lebensmittelpunkt. Dort starb er auch 1993, begraben aber wurde er nach seinem letzten Willen in Rimini. Die Landschaft der Adria-Region Romagna und ihre Menschen hatten sein visuelles Denken und Träumen geprägt. Von ihrer Provinzialität wollte er sich befreien und spürte zugleich – wie der Film „Amarcord“ eindrucksvoll unterstreicht – schmerzlich den Verlust von Heimat. Fellini selber sei ist ein wunderbares Beispiel, „wie wichtig die Geographie, die unterschiedlichen Landschaften, die unterschiedlichen Menschen, die unterschiedlichen Dialekte sind für die italienische Filmgeschichte sind.“ Kommentiert der Soziologe Peter Kammerer von der Universität Urbino, keine 50 Kilometer von Rimini entfernt. Weil sich jetzt sein Geburtstag zum 100. Mal jährt, lädt Rimini jetzt zu einer Jubiläumsausstellung ein, die noch bis zum 15.März zu sehen sein wird.
„Marcello come here! Hurry up!“
Gleich zu Beginn der Ausstellung taucht der Besucher in Fellinis Film „La dolce vita“ ein, wo Anita Ekberg in Rom Marcello Mastroianni zu einem Bad im rauschenden Trevibrunnen einlädt: „Marcello come here! Hurry up!“ – hier die Szene. Ein Film der schon vom Titel her zu einem Markenzeichen für ganz Italien wurde. Dabei ist das ein bitterer Film, ein Mosaik von Episoden, die von dem Journalisten Marcello, eine Art Alter Ego Fellinis, zusammen gehalten wird. Ein „nächtliches Tagebuch“ mit orgastischen Szenen, einem Selbstmord, leeren Vergnügungen und der Einsamkeit des Protagonisten und seiner Unfähigkeit, sich zu binden. Der Film beginnt mit dem Flug einer Christusstatue über Rom und endete mit dem Fang eines Fisch-Ungeheuers am Strand – eine Szene, die Fellini aus seiner Erinnerung an einen Vorfall seiner Jugendzeit in Rimini konstruiert hat.
Die mit Musik und Stimmen untermalte Ausstellung bietet ein Mix aus Videoinstallationen, Filmausschnitten, Interviews, Fotos, Fellini-Zeichnungen aus dem „Buch der Träume“, sowie Plakaten und Kostümen. Das Mailänder Studio Azzurro und seine Experten für digitale Animationen haben sie eingerichtet. Ein Kinosaal, in dem Ausschnitten aus Dokumentarfilmen mit Fellini-Takes gemischt werden, gerät zu einer Art Zeitmaschine, die Ereignisse von den 1920er bis zu den späten 1980er Jahren wieder aufleben lässt – von Mussolini zu Berlusconi.
Einführung in die kreative Phantasie
Die Ausstellung Fellini 100 Genio immortale feiert schon im Titel das „unsterbliche Genie“. Sie zieht die spektakuläre Präsentation vor und sieht dabei von vielen inhaltlichen oder kritischen Bezügen ab. Man kann es ihr nicht übel nehmen, dass sie die Rimini-Bezüge etwa durch den Film „Amarcord“, von dem lange Passagen gezeigt werden, betont. Vieles wird nur angedeutet, die Zusammenarbeit mit Weggenossen etwa, von denen einige wie der Lyriker Tonino Guerra (Drehbuchautor u.a. für „Amarcord“ oder „Schiff der Träume“) wie der Maestro aus der Romagna stammten. Es fehlen die Debatten zum Beispiel in der intellektuellen Öffentlichkeit Italiens, in der der „barocke“ Fellini lange ein Außenseiter blieb und erst spät als „Künstler“ akzeptiert wurde.
Es gelingt der Ausstellung jedoch umgekehrt, eine Einführung in die pralle, kreative Phantasie dieses Mannes zu geben. So kann man auch Il libro dei sogni digital durchblättern. Diese „Buch der Träume“, eine Art Tagebuch, in dem Fellini seine Ängste, Träume und erotischen Phantasien in Form von Zeichnungen notierte, ist gerade von Electa/Rizzoli wieder aufgelegt worden ( auf deutsch hier). Eine Praxis, die ihm der deutsche, in Rom praktizierende Psychoanalytiker Ernst Bernhard, ein Jungianer, nahe gelegt hatte. Kino sei, so Fellini, „der Traum eines Geistes im wachen Zustand.“ Und: „Freund zwingt uns zu denken, Jung erlaubt uns zu träumen.“ Schon als Kind war ihm das Kino mit der Nacht verbunden: den vier Bettpfosten im Landhaus seiner Großmutter gab er die Namen der vier Kinosäle Riminis: Fulgor, Savoia, Sultano und Opera Nazionale Dopolavoro – das letzte war das Kino einer faschistischen Freizeitorganisation.
Italien beginnt in diesen Tagen, sich an diesen großen Kinomacher und seine kreative Energie zu erinnern. „Robinson“, die wöchentliche Kulturbeilage der römischen Tageszeitung la Repubblica, hat gerade eine Ausgabe allein ihm unter dem Titel „Ci vorrebbe Fellini – Man bräuchte Fellini“ gewidmet. Neue Bücher sind erschienen, ältere Titel werden wieder aufgelegt, das Fernsehen zeigt seine Filme. Die Filmkunstkinos nehmen die berühmtesten ins Programm, Zeitungen legen DVD bei. Doch erzählen sie nicht nur von einer anderen Zeit, sie wirken auch wie eine andere Zeit. Und wirklich: wer gerade jugendliche, von Netflix-Rhythmen geprägte Zuschauer fragt, die Videos seiner Arbeiten gesehen haben, hört nicht selten das Urteil: langweilig, irgendwie von gestern. Wie könne man heute noch, wie die Protagonisten von „Amarcord“, angesichts eines Ozeandampfers in Aufregung geraten?
Fellini 100 Genio immortale. La mostra. Castel Sismondo, Rimini, bis 15. März. Tgl. außer montags 10 bis 23 Uhr. Eintritt: 10 Euro. Info hier. Die Ausstellung soll anschließend weiter wandern nach u.a. Rom, Moskau und Berlin. Im Castel Sismondo ist in Zusammenarbeit mit der Fondazione Fellini die Einrichtung eines Fellini-Museums geplant, das im Dezember 2020 eröffnet werden soll.
Ein ähnlicher Text ist in der Stuttgarter Zeitung vom 8.1.2020 erschienen.