Lebensqualität (2): Was Mailand so attraktiv macht – und wo es sich schwer tut
Mailand – Die lombardische Großstadt und ihr Umkreis (3,5 Millionen Einwohner) haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Mailand hat das Image einer eher hässlichen, kalten, allein auf Arbeit und Profit zugeschnittenen Stadt abgeschüttelt und sich zu einer international ausgerichteten quicklebendigen Metropole voller kultureller und sozialer Initiativen entwickelt. Aus wirtschaftlichen Grundlagen heraus (Mode- und Designunternehmen, Verlage und Zulieferer) haben sich Großveranstaltungen vom Fuori Salone bis zu Book City (1400 Gratis-Veranstaltungen) und Piano City (450 Konzerte) entwickelt, an denen weite Teile der Bevölkerung teilhaben. Die Stadt ist im Vergleich zu anderen Großstädten von der Fläche her relativ klein, was die Wege kurz und das Leben intensiv macht
Moderne Hochhausviertel sind entstanden und wie bei Porta Nuova/Garibaldi an die alte Stadt angebunden. Auch kleine Platzanlagen erwachen zu neuem Leben. Gepflegte Parkanlagen zeigen ein überraschend „grünes“ Mailand. Die Angebote von Auto- und Bike-Sharing werden von der Bevölkerung angenommen, man baut den öffentlichen Verkehr aus – gerade entsteht die fünfte Metrolinie. Die Stadt gehört in Europa zur Spitzengruppe bei der Mülltrennung. Die Restaurantszene ist von lokal über regional und multiethnisch inzwischen konkurrenzlos in Italien
Die Jugend strömt in die Stadt
Lebensqualität in Mailand bedeutet nicht frühlingshafte Temperaturen noch im November, den Strand vor der Haustür oder ein gemütliches Verbummeln des Nachmittags. Die lombardische Metropole bietet all denen Chancen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollen. Die Jugend strömt in die Stadt – über 200.000 Studenten besuchen die acht Universitäten ( – in Rom sind es 180.000). Die Kneipenszene ist bunt.
Die Expo2015 hatte das neue Bild von Mailand weltweit verbreitet. Rund 9 Millionen Touristen ziehen heute im Jahr durch die Straßen um Dom, Scala oder Castello Sforzesco. Früher verließen Mailänder, die es sich leisten konnten, am Wochenende fluchtartig die Stadt. Jetzt bleiben viele von ihnen da. Anspruchsvoll sind die Spielpläne der Theater, vielfältig die Musikveranstaltungen von Pop bis Klassik, auf höchstem Niveau die der Kunstgalerien oder der Kulturstiftungen von Prada bis Pirelli.
Das Problem mit der Armut
Die Kehrseite: in der Stadt, in der soviel privater Reichtum versammelt ist wie sonst an keinem anderen Ort in Italien, hat sich auch die Schicht der Armen verbreitert. Die positive Grundstimmung, die im Zentrum und zentrumsnahen Gürteln mit den Händen zu greifen ist, schlägt in einigen Bezirken der äußeren Peripherie in Apathie um. Fehlende Sozialwohnungen, hohe Lebenskosten und prekäre Arbeitsverhältnisse – hier sammelt sich sozialer Sprengstoff an. Auch was die Sicherheit (Wohnungseinbrüche, Taschendiebstahl) angeht, schneidet die Stadt ganz schlecht ab (91. Platz auf dem Index zur Lebensqualität).
Die Spitzenstellung in der Untersuchung von il sole 24 ore findet Bestätigung in einer jüngst veröffentlichten Studie (OsservaMi) der staatlichen Universität Mailand über das Verhältnis Bürger Stadtverwaltung. Ein Großteil der Bevölkerung zeigt sich in den meisten Bereichen zufrieden mit der Lokalregierung. Sogar der hohe Anteil von Ausländern und Emigranten – die rund 20 Prozent der Wohnbevölkerung ausmachen – wird jedenfalls nicht als Bedrohung verstanden. Als absolut negativ wird dagegen der schlechte Zustand der Straßen beschrieben. Trotzdem: Bürgermeister Giuseppe Sala, der einer Mitte-Links-Koalition vorsteht, kann (zurzeit) auf 60 Prozent Zustimmung quer durch alle Schichten bauen. Das ist in Italien, wo sonst eher rechtspopulistisch gegen die alten Parteien Stimmung gemacht wird, eine Ausnahme.
Siehe auch auf Cluverius Lebensqualität (1): „Ein buntes Bild von Italien“