SPRÖDE ABER GELUNGEN


Biennale (2): Der deutsche Pavillon erzählt Geschichten über den Abbau von Grenzen und das Entstehen neuer Räume auf dem Hintergrund des Mauerfalls nicht nur in Berlin

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Internationale Klagemauer im deutschen Pavillon: pro und contra Grenzanlagen

Venedig (Giardini della Biennale bis 25.11.2018) – Die Welt wächst zusammen und zugleich nimmt der Protektionismus zu. Das reicht von den Sperranlagen um den Gaza-Streifen bis zum geplanten Mauerbau an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Im deutschen Pavillon der Architekturbiennale wird die Debatte um Öffnung und Ausgrenzung vor allem auf lokaler Ebene geführt – als deutsche Geschichte und Gegenwart. Wenn man den Pavillon betritt, sieht man sich einer schwarzen Wand aus Mauer hohen und versetzt aufgestellten Stelen gegenüber. Erst wenn man diese Mauer durch die Lücken zwischen den Stelen gleichsam „überwindet“, fängt der Pavillon an, Geschichten zu erzählen.

Die Autoren dieser Erzählungen sind die Architekten Lars Krückeberg, Wolfram Putz und Thomas Willemeit vom Studio Graft (Berlin/Los Angeles), die im Westen geboren und aufgewachsen sind. Ihr Thema: architektonische Beispiele vom Trennen und Zusammenwachsen auf dem Hintergrund der deutschen Teilung und Einigung. Um den Blick von der anderen Seite mit einzubeziehen, holten sie sich eine ostgrüne Politikerin ins Team: Marianne Birthler, die ehemalige Bundesbeauftragte für die Verwaltung der Stasiakten.

Über den Rückbau von Mauern

28 Jahre stand die Mauer von 1961 bis 1969. Seit 28 Jahren ist auch Deutschland vereinigt Diese Zeitgleiche nehmen die Kuratoren auf und beschreiben auf die hellen Rückseiten der Stelen 28 Fälle von „Unbuilding Walls“, von Rückbau von Mauern. Etwa das Projekt eines Neubaues des Springer Verlages auf dem ehemaligen Todesstreifen zwischen Kreuzberg und Berlin Mitte. Der Entwurf von Rem Koolhaas führt den Mauerverlauf als Leerstelle durch das Gebäude, so dass ein freier Innenraum entsteht. Ein anderes Beispiele erzählt vom „Parlament der Bäume“, die von dem Aktionskünstler Ben Wagin initiierte Gedenkstätte für die Toten an der deutsch-deutschen Grenze, die zugleich das Verhältnis von Stadt und Natur thematisiert. Ein Raum, so Thomas Willemeit, „der von realer Erinnerung befreit oder geräumt war.“

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Marianne Birthler und Graft-Architekten, Kuratoren des deutschen Pavillons

In gewisser Weise wurde Deutschland durch ein Biotop geteilt. 1378 Kilometer lang war die Grenze, die die zwei deutsche Staaten trennte. Auf östlicher Seite schloss sich ein 10 Meter breiter Kontrollstreifen und ein 500 Meter breiter Schutzstreifen an. Auf vielen Abschnitten konnte sich hier die Natur austoben, einen Freiraum erobern, in dem Menschen nicht erwünscht waren. Umsiedlungen aus Dörfern in unmittelbarerer Grenznähe führten etwa in Jahrsau (Sachsen-Anhalt) oder Lankow (Mecklenbueg-Vorpommern) zu sozialen und urbanen Katastrophen.

Mentale Mauern halten länger

Der Rückbau von Mauern ist ein komplexer gesellschaftlicher und kultureller Prozess. „Die mentalen Mauern wirken viel nachhaltiger als die realen Mauern“, betont Marianne Birthler. Das lernt man ausgerechnet aus der Geschichte einer Kleingartenanlage zwischen Neukölln und Treptow. 1961 wurde sie getrennt. Es bildeten sich zwei Kleingartenvereine, die auch nach 28 Jahren deutscher Einheit nichts miteinander zu tun haben wollen. All Versucher gemeinsamer Aktivitäten liefen ins Leere.

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Beispielhaft: Geschichten vom Rückbau der Maueranlagen

So Vielseitig aber diese Erzählungen – „ohne den Zeigefinger zu heben“ (Lars Krückeberg) – auf den Rückseiten der Stelen auch sein mögen, sie wirken mit den Elementen Schrift, Foto, Karte doch etwas didaktisch. Spektakulär international gibt sich der deutsche Pavillon mit zwei Klagemauern. Auf Videoclips reden Menschen, die in der Nähe von Grenzbefestigungen der unterschiedlichsten Art leben. Das sind Beispiele aus dem Nahen Osten, Zypern oder Korea. Eine „Mauer der Meinungen“ möchten die Kuratoren so aufrichten, mit denen der Besucher sich auseinander setzen kann. Argumente gegen Grenzbauten werden ebenso laut wie welche dafür. Mauern können auch schützen. Es kommt immer auf den Blickwinkel an – und auf die Intention, mit der Mauern errichtet werden.

Mauern weisen auf Notstände hin

Doch Mauern, so die Kuratoren, weisen immer auf Notstände hin. Die zu überwinden, Mauern aktiv zurück zu bauen, ist nicht nur in Deutschland ein schwieriger, langwieriger, umstrittener Prozess. Das Gebäude des deutsche Pavillons, wegen seiner Naziarchitektur auf ewig umstritten, ist den Kuratoren dagegen kein Thema. Als die Architekten vom Studio Graft vor ein Jahren befragt worden waren, was man mit ihm tun sollte, hatten sie noch geantwortet: „abreißen“. Jetzt nutzen sie ihn. Und wie sie das machen, hinterlässt trotz aller Spröde einen guten Eindruck.

Unbuilding Walls. Vom Todesstreifen zum freien Raum. Deutscher Pavillon, Giardini della Biennale, bis 25.11. Im Berliner Birkhäuser Verlag (De Gruyter) ist dazu ein Katalog Deutsch/Englisch erschienen (228 Seiten, 14,95 Euro). Info hier

Ein ähnlicher Beitrag ist in der Stuttgarter Zeitung vom 26. Juni erschienen: siehe hier

Siehe auch auf Cluverius den Bericht über die Architekturbiennale 2018 „Five O’clock Tea und bunte Tücher