Mit dem Tod von Vittorio Taviani endet die Zusammenarbeit zweier Brüder, die das italienische und das europäische Kino geprägt haben
Mailand / Rom – In der italienischen Filmwelt gab es kaum jemanden, der das volkstümliche Kino so mit dem poetischen verbinden konnte wie das Bruderpaar Vittorio und Paolo Taviani aus San Miniato bei Pisa. Arbeiten von Allonsanfan (1974) über Padre Padrone (1977, Goldene Palme in Cannes) bis Cesare deve morire (2012, Goldener Bär in Berlin) haben die Geschichte des europäischen Films geprägt. Bei ihrer letzten Produktion Una questione privata (2017) nach einer Erzählung von Beppe Fenoglio musste der jüngere Paolo (geboren 1931) allein am Drehort in den Hügeln des Piemonts Regie führen, während der ältere Vittorio (geboren 1929), der noch das Drehbuch mitgeschrieben hatte, krank in Rom zurückblieb. Nun ist Vittorio Taviani im Alter von 88 Jahren in Rom gestorben.
Die Brüder Taviani stammten aus einer kulturell imprägnierten wie antifaschistisch engagierten Familie der Toskana. In ihren Filmen haben sie nie Hehl aus einer politischen Grundeinstellung gemacht, die in einem unorthodoxen Marxismus verwurzelt war. Doch arbeiteten sie gerade zu unideologisch mit poetisch-ästhetischen Mitteln und scheuten aufgesetzte Botschaften. Die Taviani haben mit dem wachen Betrachter gerechnet, der aus ihren Kinostücken Anstöße für sein eigens Denken filtern konnte. Sie waren gleichsam träumerischen Neorealisten, die in Filmen wie La notte di San Lorenzo (1982) konkrete Lebensbedingungen mit Mythologie zu verknüpfen wussten. Regional verankerte Erzählungen durchdrang ein Atem, der über Italien hinaus wies.
Eine Privatangelegenheit
Zugleich fanden sie Stoffe bei Literaten von Boccaccio bis Tolstoi, von Pirandello und Ledda bis Fenoglio. Gerade in dem letzten Film Una questione privata („Eine Privatangelegenheit“) über Liebe und Freundschaft in Zeiten von Krieg und Widerstand zeigten sich aber auch die Grenzen einer Ästhetik, die sich aus Modellen des vergangenen Jahrhunderts speist. So unaufdringlich wie ihr Filmen gestalteten Vittorio und Paolo Taviani ihr Leben zurückgezogen und abseits medialer Aufgeregtheiten. Folglich ist die Trauerfeier zum Tod Vittorios im Familienkreis eine Privatangelegenheit geblieben. Mit dem Tod von Vittorio Taviani endet nicht nur die brüderliche Zusammenarbeit. Es endet auch eine Epoche des italienischen, des europäischen Kinos.
Auf Youtube der Film La notte di San Lorenzo in voller Länge.
Der Film Una questione privata wurde 2017 auf dem Festival Toronto sowie auf dem römischen Filmfest gezeigt und lief im Herbst 2017 in den italienischen Kinos.
Zum Trailer hier.