VON SCHATTEN DURCHZOGEN


Montecassino/Mailand (3): Wer (und warum) rettete Kunstschätze und Dokumente der Abtei vor der Zerstörung durch den Bombenangriff? Eine Geschichte mit Elementen zu einem Kloster-Krimi

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Entrückt und voller ungeklärter Fragen – das Kloster Montecassino heute

Montecassino/Mailand – Wer Glück hat, kann sich von Don Luigi Maria Di Bussolo die Räume der Bibliothek mit dem historischen Bestand – heute unter staatlicher Verwaltung – zeigen lassen. Don Luigi, ist einer von zehn Mönchen, die gegenwärtig im Kloster leben und mit Hilfskräften die gesamte Anlage am Leben halten. Der Bestand der Bibliothek, so der Benediktiner, sei einzigartig auf der Welt. Dazu gehöre ein Kodex aus dem 6. Jahrhundert, ein Kommentar der Paulus Briefe durch den Kirchenvater Ambrosiaster. Oder das erste bekannte Dokument in italienischer Sprache („volgare campano“), die Placiti Capuani, über Rechtsstreitigkeiten eines Klosters in Süditalien aus dem Jahr 960.

In der Bibliothek werden frühe in Italien gedruckte Bücher (Cinquecentine) aufbewahrt, man findet historische Chorbücher und neben religiösen und theologischen „auch Arbeiten der lateinischen und der griechischen Literatur, der Medizin, der Philosophie, der Kunst und Wissenschaften.“ Das sei, so Don Luigi eine „ herausragende Klosterbibliothek, in der das ganze menschliche Wissen aufbewahrt wurde“. Denn, so fügt der Mönch hinzu, „die Klöster waren und sind Kulturzentren“. Der Bestand der Bibliothek wurde vor der Bombardierung, so Don Luigi, „von den Deutschen in Sicherheit gebracht.“

War es so?

Im Kloster wird ein Dokumentarfilm gezeigt, nach dem die Initiative zur Rettung der Kulturgüter von einem kunstsinnigen deutschen Stabsarzt, Hauptmann Maximilian Becker, ausging. Der fürchtete wegen der heranrückenden Front um die Klosterschätze. Becker wurde bald von dem österreichischen Oberstleutnant Julius Schlegel von der Panzerdivision Hermann Göring unterstützt. Schlegel holte sich die entsprechenden Genehmigungen von seinen Vorgesetzten, die Schätze einschließlich der Gebeine Benedikts mit Lastwagen der Division nach Rom in die Engelsburg zu transportieren. Abt Diamare stimmte nach anfänglichem Zögern zu. Die Aktion konnte im November 1943, knapp drei Monate vor der verheerenden Bombardierung, abgeschlossen werden (- hier die Darstellung auf der Homepage des Klosters).

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Julius Schlegel und der Abt von Montecassino Gregorio Diamare im Winter 1943

In Montecassino hatten aber nicht nur Kulturgüter und Dokumente des Klosters gelagert. Weil die Anlage lange Zeit als sicher galt, waren hier auch Gegenstände aus dem römischen Keats-Schelly-Museum untergebracht worden. Zudem wertvolle Kunstwerke aus der neapolitanischen Gemäldegalerie Capodimonte, darunter die „Danae“ von Tizian. Diese Arbeiten wurden von Montecassino aus nach Spoleto gebracht und Göring, der sich an geraubter Kunst aus ganz Europa bereicherte, übergeben. Sie tauchten nach Kriegsende in einem Salzlager in den Alpen auf.

Rettung durch Propaganda

Als auch Bestände der Mönche nach Spoleto und nicht nach Rom transportiert wurden, griff Becker zu einer List – so wird es jedenfalls im Film des Klostermuseums geschildert. Becker überzeugte die Heeresleitung, einen Propagandafilm über die komplette Übergabe des Klosterbesitzes unter Teilnahme des Abtes und hoher katholischer Würdenträger des Vatikans zu drehen. Die hätten sich aber nicht für eine nur teilweise Übergabe zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise wanderten auch, die nach Spoleto „umgeleiteten“ Klosterbestände nach Rom in die Engelsburg.

Einer anderen Quelle nach habe Göring persönlich Schlegel für den verhinderten Raub der Klostergüter verantwortlich gemacht und wollte ihn hinrichten lassen. Was angeblich durch den Einsatz der Benediktiner, des Vatikans und vor allem des kommandieren Generals des 14. Panzerchors verhindert worden sein soll. Jedenfalls wurde Julius Schlegel nach dem Krieg wegen seiner Rettungsaktion vielfach geehrt und starb 1958 in seiner Heimatstadt Wien.

Die Geheimnisse der Abtei

Eine vor einigen Jahren in Italien erschienende Untersuchung kratzt allerdings an diesem heroischen Bild. In dem Buch „I misteri dell’Abbazia. La verità sul tesoro di Montecassino“ (Le lettere, Firenze 2014) beschreiben zwei Journalisten, wie Becker und Schlegel im Auftrag Görings von Anfang an den Raub aller in der Abtei gelagerten Kunstschätze einschließlich des Klosterschatzes geplant hätten. Ein Strich durch die Rechnung machte ihnen den Autoren nach der Kommandeur des 14. Panzerchors General Fridolin Ritter und Edler von Senger und Etterlin – jener Kommandeur, der Schlegel vor der Hinrichtung gerettet haben soll. Der konservative Baron, ein NS-Gegner, polyglott, in Oxford studiert und Mitglied einer Laienbruderschaft der Benediktiner, habe schließlich dafür gesorgt, dass wenigstens der gesamte Klosterschatz der Mönche dem Vatikan übergeben wurde. Und er habe Schlegel entsprechende Befehle gegeben.

Die Mönche hätten außerdem bereits heimlich Teile der Bibliothek ohne deutsche Hilfe nach Rom gebracht. Die Autoren berufen sich auf Briefdokumente aus dem Nachlass des Generals, der nach dem Krieg beim Aufbau der Bundeswehr mitgewirkt hatte (- hier eine Besprechung des Buches im Sole 24 ore ).

Oder war es doch ganz anders? Wäre das nicht eine lohnende Aufgabe für Historiker, Licht in diese von vielen Schatten durchzogene und teilweise romanhafte Geschichte zu bringen?

Auf Cluverius:

Montecassino (1) : Eine sinnlose Zerstörung

Montecassino (2): Der Frieden der Mönche