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Von der Scala-TV über Technologiereformen bis zu neuen Werkstätten – die Mailänder Oper im Zeichen von Erneuerung und Modernisierung

© Brescia e Amisano / Teatro alla Scala

Vom Mittelalter in die Gegenwart – Inszenierung von Verdis „I Vespri Siciliani“ in der Scala – zugleich Auftakt für die Scala-TV

Mailand – Die Scala ist mit Boris Godunov (Mussorgski) und Salome (Strauss) erfolgreich in die Spielzeit gestartet. Auf dem Programm der Opern-, Ballett- und Konzertsaison 2022/2023 stehen über 250 Veranstaltungen. Der dritte Operntitel, Verdis I Vespri Siciliani, hat jetzt eine absolute Neuheit in der Geschichte des Mailänder Opernhauses eröffnet: La Scala TV. Am 14. Februar wurde die Inszenierung unter der musikalischen Leitung von Fabio Luisi in der Regie von Hugo De Ana (u.a. mit Marina Rebeka, Piero Pretti, Luca Micheletti) im Livestream übertragen. Mit diesem Auftakt bietet die Scala-TV einen Streaming-Dienst an, der es erlaubt, Opern, Ballette oder Konzerte exklusiv des Teatro alla Scala sowohl live als auch on demand über das Internet abzurufen.

„Wir wollen weltweit jede Wohnung, ob in Städten oder Dörfern, jede Gemeinschaft, ob in Kulturinstituten oder in Schulen erreichen können“, so der Intendant und künstlerische Direktor Dominique Meyer. Der 67-jährige Elsässer führt seit 2020 die Mailänder Nobelbühne, nachdem er zuvor zehn Jahre lang die Wiener Staatsoper geleitet hatte. Auf Meyers Initiative wurde in den vergangenen Jahren im historischen Opernhaus (Piermarini 1776/1778) die technischen Voraussetzungen nach dem Wiener Vorbild gelegt. Seitdem kann jede Veranstaltung im Saal in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Der künstlerische Koordinator der Scala-TV André Comploi hofft so, in wenigen Jahren einen Katalog aufbauen zu können, „der der ganzen Welt zur Verfügung steht“.

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Vorhang auf für die Scala-TV 

Die vorläufigen Preise reichen von 2,90 Euro bei Konzerten aus dem Katalog bis zu 9,90 Euro in HD ( bzw. 11,90 Euro in UHD) beim Direktstreaming ausgewählter Titeln der Opern- und Ballettsaison. Ein erworbener Titel soll 72 Stunden zur Verfügung stehen. Neun fest im Saal installierte TV-Kameras wollen ein Erlebnis der Veranstaltung bieten, das dem des Theater-Publikums entsprechen soll. „Nicht wie oft bei Fernsehübertragungen, bei denen man mit Großaufnahmen den Künstlern, ihrem Schweiß, ihren Zähnen gleichsam pornografisch ganz nah kommt“, wie der Corriere della Sera Dominique Meyer zitiert. Hauptsponsor der Scala-TV ist die Bankgruppe Intesa Sanpaolo, ein Extra-Programm für Schulen wird dagegen von der Fondazione Cariplo unterstützt.

Der Turmbau von Mario Botta

Die Einrichtung der Scala-TV ist das sichtbarste Ereignis eines seit einigen Jahren andauernden Erneuerungs- und Modernisierungsprogramms. Der hatte mit einer (eher zurückhaltend propagandierten) Verbesserung der Akustik in vielen Logen durch die Techniker der Münchener Müller BBM begonnen. Ein neues Energiekonzept wurde bereits während der Covid-Pandemie erprobt und umgesetzt. In der Via Verdi steht ein Turmbau von Mario Botta im Rücken der Gesamtanlage vor der Vollendung (2024?), in dem weitere Probensäle sowie Verwaltungsräume der Fondazione des Teatro alla Scala untergebracht werden sollen. Am östlichen Stadtrand (Zone Rubattino) warten Pläne zur Errichtung eines neuen Komplexes von Werkstätten und Lagerhallen auf ihre Umsetzung. Wohl ab der Jahresmitte sollen die altbackenen Untertiteleinrichtungen im Saal auf dem Rücken der Sitze durch handliche Tablets ersetzt werden, die Informationen in bis zu acht Sprachen bieten können.

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Jeden Monat neu: die Theaterzeitschrift des Opernhauses

In neuem Gewand und mit einer frischen Konzeption präsentiert sich inzwischen die monatliche Scala Zeitschrift Rivista del Teatro  (auch online). Unter der Leitung von Pressesprecher Paolo Besana liefert die Redaktion Beiträge nicht nur zum aktuellen Spielplan von Oper, Ballett und Konzert, sondern ebenso Berichte über das Innenleben der Bühne, historische Rückblicke und Kritiken von Büchern, CDs etc. Die Februarausgabe feiert gerade den 70. Geburtstag des musikalischen Leiters Riccardo Chailly (geboren am 20.2.1953 in Mailand). Das Verlagsbüro des Opernhauses bereitet derweil eine Veröffentlichung vor, die die nunmehr 45 Jahre andauernde Beziehung des Chefdirigenten (seit 2015) mit der Scala beleuchten will.

Ein Budget ohne Schulden

Was die Finanzen angeht, konnte der Haushaltsplan der Scala-Stiftung von 2022 mit rund 130 Millionen Euro ohne neue Schulden abgeschlossen werden. In den schwierigen Zeiten, in denen die Folgen der Pandemie ebenso abgefedert wie neue Herausforderungen etwa durch steigende Energiekosten (von jährlich 2 auf 6 Millionen Euro) gemeistert werden müssen, kann sich die Scala auf zwei wichtige Einnahmequellen verlassen. Auf die Treue des Publikums mit einer durchschnittlichen Auslastung der Vorstellungen von 80 Prozent, wobei rund 30 Prozent der Zuschauer aus dem Ausland kommt. Die Einnahmen aus Kartenverkauf und Abonnement machten im vergangenen Jahr 22,8 Prozent des Gesamtbudgets aus. Aber ebenso treu unterstützen private Partner die Mailänder Oper, die so zusammen mit den Eigeneinnahmen des Hauses (d.h. ohne Eintrittsgelder und öffentliche Finanzierung) den Haushalt mit 44 Millionen Euro in 2022 stärkten.

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Von gestern: die Untertitelvorrichtungen auf dem Rücken der Sitze werden demnächst durch Tablets ersetzt

Ob die weitgehende Ruhe bei der Zusammenarbeiten mit den Beschäftigten an der Arbeitsfront anhält, muss sich noch zeigen. Neue Verhandlungen über die Tarifverträge wurden auf 2024 verschoben, für 2023 gibt es Abschlagszahlungen. Allerdings scharrt im Feld der unterschiedlichen, teilweise konkurrierend agierenden Interessenvertretungen eine Basisgewerkschaft (Cub) bereits mit den Hufen. So musste etwa Ende Januar  kurzfristig ein Konzert der Scala-Philharmonie (eine Hommage an Prokofjew unter der Leitung von Riccardo Chailly) ins Teatro Arcimboldi verlegt werden, weil die Gewerkschaft sich geweigert hatte, das Bühnenbild vom Vortag einer Aufführung für Kinder und Jugendliche (Il piccolo Principe von Pierangelo Valtinoni) rechtzeitig abzubauen.

Zuhause, wo man Kultur macht

Italien wäre nicht Italien, wenn der Kulturbereich nicht mit mehr oder weniger lauten Polemiken begleitet würde. Einer, der sich in diesem Bereich besonders wohlfühlt, ist der Kunsthistoriker Vittorio Sgarbi, Staatssekretär im Kulturministerium der neuen rechtskonservativen Regierung. In seiner neuen Rolle forderte er Intendant Dominique Meyer, der nach Stéphane Lissner und Alexander Pereira als dritter Nichtitaliener in Folge die Mailänder Oper leitet, heraus: „Warum muss die Scala eigentlich immer einen fremdländischen Intendanten haben?“ Meyer, dessen Vertrag noch bis 2025 läuft, antwortete, dass ihn das Wort „fremdländisch“ verletzen würde, er fühle sich dort zu Hause, wo man Kultur mache.

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Intendant seit drei Jahren: Der Elsässer Dominique Meyer

Der Tageszeitung la Repubblica sagte Meyer zum Jahreswechsel in einem Interview: „In Mailand bin ich sehr gut aufgenommen worden. Sowohl durch das Theater als auch durch die Institutionen. Es herrscht eine friedliche Atmosphäre, und es ist ein Vergnügen, auf diese Weise mit der Mailänder Gesellschaft zu arbeiten. Ich habe einen ernsthaften Dialog mit den Institutionen aufgenommen, ohne dass es Schwierigkeiten gab. Ich fühle mich hier sehr wohl.“

Infos zur Scala-TV hier, alle weiteren Infos zum Teatro alla Scala hier

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Magisch: Logen im Teatro alla Scala