ZWISCHEN MEER UND MINEN


Sardinien: Michaela Klüver-Spreng unterwegs auf alten Pfaden der Bergleute – Fotografieren zwischen Geschichte und Natur

© Michaela Klüver-Spreng

Masua bei Iglesias: Seit 1993 ist der 133 m hohe Pan di Zucchero „Monumento Naturale“, ein Naturdenkmal. Auf dieser kleinen Kalkstein-Insel sind heute noch Überreste aus der Zeit des Bergbaus zu finden.

Iglesias – Vor dem Frühstück stehe ich auf der Klippe und warte. Darauf, dass die ersten Sonnenstrahlen die kleine Insel vor der Küste treffen. Noch sieht die Szene ein wenig fad aus. Es fehlt das Licht-Schatten Spiel. Auch die sagenhaften Farben, mit denen die Natur hier das Auge verwöhnt, kommen noch nicht raus. Im nächsten Moment hat es die Sonne über den Berg geschafft. Von einer Sekunde zur anderen beginnt der Pan di Zucchero zu leuchten. Umso mehr, als der gegenüberliegende Fels mit dem Porto Flavia Stollen noch im tiefen Schatten liegt. Das allererste Tageslicht bringt die Schönheit der Insel perfekt zur Geltung. Was hat mich dorthin gebracht?

Auf Sardinien fiel mir beim Stöbern in einer Buchhandlung ein schmales Bändchen mit dem Titel Il Cammino Minerario di Santa Barbara,  in die Hände. Der Autor, Giampiero Pinna, beschreibt einen fast 400 km langen Wanderweg zwischen Geschichte und Natur auf den alten Pfaden der Bergleute, der entlang der Südwestküste und durch die Berge, zwischen Meer und Minen führt. Das möchte ich sehen, war mein erste Gedanke. Ob das ein Fotothema werden könnte, der zweite. Das Buch war der Auslöser, mittlerweile bin ich mehrfach auf verschiedenen Teilstrecken des Weges fotografierend auf Entdeckungstour gewesen. Diesen Bericht habe ich aus der Sicht der neugierigen Einsteigerin und Fotografin geschrieben. Mit heutigen Kenntnisstand. Ohne jeden Vollständigkeitsanspruch, denn es wird sicher auch bei jeder zukünftigen Tour für mich wieder neue Dinge zu entdecken geben.

© Michaela Klüver-Spreng

Schutzheilige: Die heiligen Barbara di Nicomedia wird als Schutzheilige der Bergleute verehrt.  

Der Cammino der Santa Barbara führt den Wanderer bis zu den Minen von Montevecchio im Norden und bis nach Sant‘ Antioco im Süden. Die Stadt Iglesias liegt als Start- und Endpunkt in der Mitte. Was zieht mich immer wieder dorthin? Tourismusbroschüren nerven mich mit ihren immer gleichen Superlativen. Selten habe ich das Gefühl, aus diesen Broschüren wirklich etwas Substanzielles zu erfahren. Verglichen damit war der Cammino Minerario di Santa Barbara ein überzeugender Gegenentwurf. Ich habe entlang des Weges sogar mehr Informationen über Natur und Geschichte der Region bekommen, als ich auf Anhieb verarbeiten konnte. Es gibt viele Infotafeln (einigen haben leider Wind und Wetter schon sehr zugesetzt). Jede Tafel liefert ein Informationshäppchen, verknüpfen muss ich das Gelesene später in Ruhe zuhause.

© Michaela Klüver-Spreng

Wegmarkierung: Maler stellten die Heilige Barbara häufig zusammen mit einem Turm dar. Das Turmsymbol wurde darum als Markierungszeichen des Cammino gewählt

Mit dem Cammino soll die Erinnerung an die Männer und Frauen wachgehalten werden, die diese Wege in den vergangenen Jahrhunderten angelegt haben. Gleichzeitig möchten die Initiatoren Wanderer und Urlauber dabei unterstützen, die Schönheit der Landschaft zu Fuß oder mit dem Rad zu entdecken.

Blaues Meer, schöne Strände und ein gutes Hotel, damit sind viele im Urlaub schon zufrieden. Es gibt aber auch diejenigen, die mehr von einer Reise erwarten. Zum Beispiel die engagierten Hobbyfotografen, die ich bei meiner Arbeit kennenlerne. Durch die Auseinandersetzung mit den Fotomotiven werden Auge und Verstand geschult, genauer hinzuschauen. Ich möchte meine Kursteilnehmer dazu motivieren, Fotos heim zu bringen, die Geschichten erzählen. Und natürlich will ich auch das Wissen um das besondere Licht, das die Motive zum Sprechen bringt, vermitteln.

Was der Besucher über die Geschichte des Bergbaus erfährt

Der Südwesten Sardiniens besitzt eine lang zurückreichende Bergbaugeschichte. Von der Nuraghenkultur über die Römerzeit bis in das vergangene Jahrhundert haben viele Völker hier die Erde nach Metallen und Kohle abgesucht. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts stieg die Nachfrage nach Blei und Zink im Zuge der Industrialisierung stark an. Der intensive Ausbau der Bergwerke begann. Gleichzeitig sind Direktionsgebäude, Straßen und Hafenanlagen entstanden. Das Management der Minen lag in den meisten Fällen in den Händen nordeuropäischer Gesellschaften. Der Großteil der geförderten Metalle ging entsprechend auf dem Seeweg nach Nordeuropa. Der Boom hielt bis in die 1950er/1960er Jahre an. Danach begannen die Stilllegungen. Die letzten Schließungen gab es in den 1990er Jahren.

Heute sind die Minen verlassen. Einige bestehen als Museen fort, andere stehen als Mahnmal der Vergänglichkeit in der Landschaft. Um 1995 gab es die Initiative, über den Südwesten hinaus die ehemaligen Bergwerke ganz Sardiniens zu einem GeoPark (genauer „Parco Geominerario Storico e Ambientale della Sardegna“) zusammenzufassen. Am 30. Juli 1999 wurde der GeoPark als UNESCO Weltkulturerbe anerkannt. Aber die bittere Realität ist im Jahr 2020, dass die UNESCO Sardinien 2019 wieder aus dem Netz der GeoParks aus schloss. Dazu Giampiero Pinna, Mitbegründer und Ex Presidente des GeoParks und als Autor des o.a. Buches weiter in der Sache aktiv: „Der Ausschluss war der letzte Tropfen. Der GeoPark hat nicht funktioniert .“ (Siehe auch den Bericht des gegenwärtigen Präsidenten Tarcisio Agus.)

© Michaela Klüver-Spreng

Verlassen: Die Laveria Lamarmora

Minengeschichte zwischen Nebida und Buggerru

Ein alter Bergarbeiterweg führte mich von dem kleinen Küstenort Nebida aus hinab zur Laveria Lamarmora – benannt nach dem piemontesichen General und Naturforscher Alberto LaMarmora (1789-1863), einem profunden Sardinienkenner. Die 1897 erbaute Erz-Waschanlage (Laveria=Wäscherei) für Blei und Zink erstreckt sich über vier Ebenen am Hang bis zum Meer hinunter. An den Seiten sind die Reste zweier Öfen und zwei Schornsteine stehen geblieben. Das hölzerne Dach gibt es nicht mehr, der Steinfußboden ist abschnittsweise eingebrochen. Im Inneren gab es einmal Anlagen zum Sortieren der Erze, Lagerbereiche, eine Dampfmaschine ….

Im untersten Teil, auf Meeresniveau, befand sich ein Depot und ein kleiner Hafen. Dort haben Arbeiter die in der Laveria gereinigten Erze in Körben gesammelt und von Hand auf kleine Segelboote verladen. Diese steuerten mit ihrer Fracht den 30 km entfernten Hafen Carloforte auf der Insel San Pietro an. Sobald genug Material beisammen war, beluden die Hafenarbeiter von Carloforte größere Schiffe, die das Erz nach Nordeuropa brachten. Diese Art des Transports war teuer, langsam und gefährlich. Die kleinen Segelboote konnten bei rauer See nicht fahren. Manche gingen mit ihrer schweren Fracht (Blei!) unter. Die Seeleute arbeiteten hart, oft bei schlechtem Wetter und wurden obendrein schlecht bezahlt. Bei meiner Fotoexkursion zeigte sich das Wetter von seiner besten Seite. Ich bin nicht ganz zufrieden mit meinen Fotos von diesem Tag. Sie zeigen eher die Schönwetter-Postkartenidylle. Beim nächsten Mal werde ich versuchen, hier bei Sturm die Gewalt des Meeres einzufangen.

Tödliche Unfälle

Um den Transport zu vereinfachen, ließ die belgische Minengesellschaft Vieille Montagne 1922 bis 1924 im Nachbarort Masua die 600 Meter lange Tunnel-Anlage Porto Flavia von Bergarbeitern und Sprengstoffexperten in den Fels schlagen. Es entstand ein System aus zwei übereinander liegenden Stollen und neun riesigen Silos von je 1000 Tonnen Fassungsvermögen. Am Landungssteg, der durch den gegenüber liegenden Pan di Zucchero Windschutz hatte, konnten jetzt größere Schiffe anlegen, die innerhalb von zwei Tagen voll beladen waren. Der aufwändige Umladevorgang in Carloforte entfiel, was die Transportzeiten und Kosten für Vieille Montagne drastisch um 70 Prozent verkürzte. Die Planung lag in den Händen des Bergwerksleiters Cesare Vecelli, der den Hafen nach seiner Tochter Flavia benannte.

Heute steht am Eingang ein Tickethäuschen. Die Führung durch den Tunnel bis an die Aussichtsplattform über dem Meer ist ein beeindruckendes Erlebnis. In einigen Nischen sind Szenen aus dem damaligen Arbeitsalltag nachgestellt. Trotzdem ist es in der sicheren Obhut der Führer, ohne Staub und Maschinenlärm, schwer vorstellbar, wie gefährlich die Arbeit im Berg früher sein konnte. Zwar waren die Arbeitsbedingungen in Porto Flavia besser, als in den Minen aber es kam auch hier zu tödlichen Unfällen. Am 5. Dezember 2019 wurde vor Ort mit einer Gedenkveranstaltung an den Arbeiter Vittorio Piras erinnert, der vor 60 Jahren hier zu Tode kam.

© Michaela Klüver-Spreng

Führung durch die Tunnelanlage Porto Flavia bei Masua (Iglesias)

Zwischen Masua und Buggerru führt der Wanderweg zu den Resten der ehemaligen Miniera di Canal Grande. Die Zink-, später auch Bleiglanz- und Silbervorkommen dieser Mine hat ab 1869 die belgischen Gesellschaft Vieille Montagne ausgebeutet. Von dem – damals herrschaftlichen – Gebäude der Minendirektion sind nur noch Mauerreste vorhanden. Ich entdecke verblichene Reste von Wandmalereien und versuche, mir hier einen Menschen am Schreibtisch bei der Verwaltungsarbeit vorzustellen. Weiter hinten bringt eine grasende Ziegenherde mit ihrem Gebimmel die Gedanken wieder zurück in die Gegenwart.

© Michaela Klüver-Spreng

Wo Bauten zur Landschaft werden – Die Ruinen des Direktionsgebäudes der Miniera di Canal Grande 

In Buggerru sind seit 1864 über 1 Million Tonnen Zink und 200 Tausend Tonnen Blei gefördert worden. Nach der Entdeckung von Blei und Zink durch den französische Ingenieur Giovanni Eyquem 1864 erhielt die französische Societa Malfidano die Ausbeutungskonzession für die Minen. Es wurden Arbeiter benötigt. Diese kamen aus ganz Sardinien. Auf den Klippen neben den Zinkspatlagerstätten entstand das Dorf Planu Sartu. Heute stehen nur noch die Mauern der Häuser, überwachsen von Ginster, Wildblumen und kleinen Bäumen. Noch bis in die 1920er Jahre lebten hier 1000 – 2000 Menschen; Bergarbeiter mit ihren Familien. Es gab Geschäfte und sogar eine Schule. Im letzten Abendlicht bin ich durch dieses Geisterdorf gewandert und um die alten Mauerresten herum geklettert ohne einem einzigen Menschen zu begegnen. Wie kommt die Vergänglichkeit am besten im Foto zur Geltung? Ich entschied mich für das letzte Licht der Goldenen Stunde. Kräftige Farben heben damit die Mauerreste aus der Vegetation hervor. Ich wollte diese starken Farben, um die Mauern zum Sprechen zu bringen.

© Michaela Klüver-Spreng

Geisterdorf Planu Sartu – Hier gab es einmal Wohnhäuser, Geschäfte und eine Schule

1865 begann der Bau der Galleria Henry, eines 927 m langen Eisenbahntunnels von Planu Sartu nach Buggerru. Statt mit Mulis konnte das Erz jetzt mit der Dampflok vom Planu Sartu-Plateau in die Erzwäscherei nach Buggerru hinunter transportiert werden. Heute ist die Galleria Henry ein Ausflugsziel für Touristen und weiträumig ausgeschildert. Eine InfoTafel auf dem Weg dorthin erinnert mit wenigen Worten an den Streik von 1904 bei dem drei Menschen getötet wurden.

Harte Arbeitsbedingungen

Alte Bilddokumente vermitteln eine Ahnung davon unter welch harten Bedingungen Männer, Frauen und Kinder in den Minen arbeiten mussten. Das Management lag in französischer Hand. 1904 kam es zum Streik. Die Arbeiter forderten eine Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen. Als Reaktion rief das Management der Minengesellschaft nach dem Arm des Gesetzes. Das herbeigerufene Heer schoss auf die Streikenden. Drei Menschen starben, viele wurden verletzt. Dies geschah am 4. September 1904, einem Tag, der als Tag des Blutbads von Buggerru in die Geschichte einging. Es war die erste gewerkschaftliche Revolte, auf die der erste Generalstreik in Italien folgte.

Resümee: Ich war ohne großes Vorwissen in den Südwesten Sardiniens gereist um mehr über Natur, Landschaft und die Geschichte des Bergbaus zu erfahren. Durch die Beschäftigung mit dem Thema hat sich mein Blick auf die Fotomotive in der Landschaft verändert und ich lerne bei jedem neuen Besuch etwas dazu. Aus Infotafeln, aus den visuellen Eindrücken vor Ort, durch nachträglichen Recherchen in Büchern und im Internet. Doch das ist ganz sicher nur ein Anfang. Die Geschichte der Minen ist ein Thema, mit dem man auch nach jahrelanger Beschäftigung nie ganz fertig wird.

Zum Abschluss ein Foto das am 1. Mai bei einer Führung durch die ausgedehnten Anlagen von Montevecchio entstand.

© Michaela Klüver-Spreng

Wo Maschinen Menschen klein machen – Sullivan-Kompressor im Museum von Montevecchio 

In der Vergangenheit gehörten die Bergwerke von Montevecchio  mit ihren reichen Vorkommen an Zink und Blei zu den produktivsten in ganz Europa. Über mehr als 100 Jahre haben hier die Minengesellschaften bis 1991 industriell Blei, Zink und Silber abbauen lassen. Die Führerin wurde an diesem Tag von einem ehemaligen Bergarbeiter unterstützt. Klein wirken die Menschen neben dem raumbeherrschenden Sullivan-Kompressor, der Druckluft zum Abwassermanagement und zum Betrieb der pneumatischen Werkzeuge unter Tage produzierte.

Zum Thema siehe auch das Internetportal Miniere di Sardegna

© Michaela Klüver-Spreng

Zur Autorin:  Michaela Klüver-Spreng, Diplomphysikerin, Gründerin (2004) und Inhaberin von Highlight Tours. Highlight Tours bietet Fotoreisen und Fotoworkshops in verschiedenen Ländern Europas an – hier zur Homepage. Sie lebt in Worpswede und auf Sardinien (Cuglieri).

Copyright aller Fotos: Michaela Klüver-Spreng