Montecassino (2): Mittelalterliche Einrichtungen der Benediktiner in Italien möchten in die Welterbe-Liste der Unesco aufgenommen werden. Ein Gespräch mit dem Kunsthistoriker Ruggero Longo
Montecassino/Mailand – Das Stammkloster der Benediktiner auf dem Monte Cassino spielt eine zentrale Rolle bei einer Initiative, die sich für die Aufnahme der Kulturlandschaft der mittelalterlichen Benediktinersitze Italiens in die Unesco-Liste des Welterbes einsetzt. Die erste Hürde ist genommen und die Kandidatur anerkannt. Es geht um acht Niederlassungen der Benediktiner in Italien. Neben der Abtei Montecassino (Region Latium) und den Klostern in Subiaco (ebenso im Latium), die noch von Benedikt selbst gegründet wurden, gehören dazu unter anderen auch die Abtei San Pietro al Monte (Lombardei) oder die Sacra di San Michele (Piemont) – hier zur vollständigen Liste. Das endgültige Bewerbungsdossier steht kurz vor dem Abschluss. Mit einer Entscheidung kann man ab 2020 rechnen.
Die Fondazione Comunitaria del Lecchese – eine Bankstiftung in Lecco (Lombardei) nach dem US-Modell der Community Foundations – hat die Initiative ins Leben gerufen. Die Kultureinrichtung Istituto Treccani tritt als Sponsor auf. In Rom ergab sich jetzt die Gelegenheit eines Gesprächs mit dem Kunsthistoriker Ph.D Ruggero Longo, der die wissenschaftliche Arbeit der Initiative koordiniert.
Was rechtfertigt die Aufnahme der mittelalterlichen Benediktinersitze in die Unesco-Liste?
Ruggero Longo: „Unesco, das ist die Abkürzung für Educational, Scientific, Cultural Organization der UN. Sie hat also die Mission, das kulturelle Erbe der Menschheit mit Hilfe der Erziehung, der Wissenschaft und der Kultur zu sichern. Diese drei Instrumente bauen historisch in der westlichen Welt auf dem auf, was das mittelalterliche Mönchstum auszeichnet. Die Kultur der Antike konnte so geborgen und für die Zukunft nutzbar gemacht werden. Überspitzt gesagt: Ohne das mittelalterliche Mönchstum würde es heute diese drei Eckpfeiler der Unesco vielleicht so nicht geben.“
Welche Bedeutung fällt der Abtei Montecassino zu?
„Das Herausragende an Montecassino ist die Kraft der Erinnerung. Eine Erinnerung, die verschiedene Phasen durchlaufen hat. Montecassino musste nicht nur die Schreckens erregende Verwüstung von 1944 über sich ergehen lassen. Es gab andere schwere Zerstörungen zuerst durch Langobarden 577, dann durch Sarazenen 833 bis hin zum fürchterlichen Erdbeben des 14. Jahrhundert. Um welche Erinnerung aber geht es? Um die an einen heiligen Mann, an Sankt Benedikt, dessen Überreste noch heute im Kloster ruhen. Er gründet die Abtei von Montecassino und schreibt hier die Klosterregel der Benediktiner. Eine Regel, die im von den karolingischen Kaisern bestätigt wird und weltweite Bedeutung erlangt. Montecassino ist deshalb für die Bewerbung zentral – und seine Steine bestätigen das.“
Steine, die aber relativ neu sind im Vergleich zur langen Geschichte Benedikts. Bei der Bombardierung im Februar 1944 blieb kein Stein mehr auf dem anderen.
„Das Kloster wurde nach 1944 wieder aufgebaut, das war eine historisch treue Rekonstruktion. Um den damaligen Abt Rea zu zitieren, der wollte einen Wiederaufbau ‚ubi erat, sicut erat’, wo es war und wie es war. Das Kloster heute ist authentischer Ausdruck einer Konservierung von Erinnerung. Eine enorme Rolle spielt dabei die Einbettung in die Landschaft, in die Natur. Man darf nicht vergessen, dass unsere Kandidatur der mittelalterlichen Benediktinersitze eine Kandidatur, für die Liste des Weltnaturerbes ist. Kultur- und Naturgeschichte fließen hier zusammen.“
Welche Rolle spielte Montecassino im gesellschaftlichen und religiösen Raum?
„Im Hochmittelalter erlebt das Kloster im 11. Jahrhundert unter dem Abt Desiderio eine Blütezeit. Gesellschaftliche, religiöse und architektonische Bedeutung fließen in der benediktinischen Reform des Mönchstums zusammen. Montecassino wird zu einem Modell für die Organisation des geistlichen und liturgischen Raumes. Für uns ist deshalb ein Projekt wichtig, das wir zusammen mit Elisabetta Scirocco und Tanja Michalsky von der Bibliothek Hertziana sowie Manuela Gianandrea der Universität Rom (La Sapienza) durchführen. Zu den Zielen gehört die Rekonstruktion des sakralen Raum im Mittelalter, um die Dynamiken im Zusammenhang mit der Liturgie zu verstehen, die Rolle der architektonischen Formen, den Einsatz von Marmor. Desiderio ließ Marmor aus Rom kommen und setzte die besten Fachkräfte ein, ihn zu bearbeiten. Der sakrale Raum von Montecassino wurde so zu einem Vorbild des sakralen Raumes im Normannenreich und im ganzen mittelalterlichen Süditalien.“
Wie lässt sich die Erinnerung an diese Zeit dokumentieren?
„Es war ein Glücksfall, dass 1944 viel von dem beweglichen Bestand des Klosters vor der Zerstörung gerettet werden konnte. Der Abt Diamare, der leider unmittelbar nach Kriegsende starb, hatte die Erleuchtung, das materielle Vermögen von Montecassino nach Rom in Sicherheit bringen zu lassen. Manuskripte, Dokumente, der Kirchenschatz blieben erhalten und kehrten später zurück. So wird in Montecassino heute nicht nur eine spirituelle Geschichte bewahrt, sondern auch eine materielle. Wir haben authentische, originale Archivdokumente. Zum Beispiel eine der ältesten existierenden Handschriften der Regel von Benedikt wird heute in Montecassino aufbewahrt, sie ist aus dem 10. Jahrhundert bis zu uns heute gekommen.“
Hier schlagen die langen Wellen der Geschichte an.
„Montecassino ist nicht nur lebendiger Erinnerungsort für die Geschichte des Mönchstums, sondern auch Erinnerung einer Friedensbotschaft. Ausdruck findet sie im polnischen Friedhof, der dort 1945 eingerichtet wurde, sowie in denen der anderen Nationen.“
Siehe auf Cluverius:
Montecassino (1): Eine sinnlose Zerstörung
Montecassino (3): Von Schatten durchzogen