DER HIMMEL IN EINEM ZIMMER


Die Fondazione Trussardi präsentiert eine Installation von Ragnar Kjartansson in der Mailänder Pestkirche San Carlo al Lazzaretto

© Cluverius

Kraft der Imagination – Der Gino-Paoli-Song „Il cielo in una stanza“ als sechs Stunden loop in der Installation von Ragnar Kjartansson

Mailand (San Carlo al Lazzaretto bis 25.10.) – Die Musikinstallation The Sky in a Room des Isländers Ragnar Kjartansson (1976, Reykjavik), die man in einer kleinen Mailänder Kirche erleben kann, setzt sich auf ganz poetische Art mit der Stimmung in Corona-Zeiten auseinander. Dabei wechseln sich Berufsmusiker ab, die sechs Stunden lang ununterbrochenen ein für Orgel geschriebenes Arrangement des italienischen Chansons Il cielo in una stanza von Gino Paoli (1934, Monfalcone) darbieten. (Hier ein Video Eindruck). 

Ursprünglich vor zwei Jahren für das Waliser Nationalmuseum in Cardiff konzipiert und dort aufgeführt, hat die Installation die Kraft der Imagination („der Himmel in einem Zimmer“) zum Thema. Unter dem Eindruck der Quarantänemaßnamen zur Bekämpfung der Pandemie, die in Norditalien in diesem Frühjahr besonders streng waren, hat sie jetzt eine neue Qualität gewonnen. Kuratiert von Massimiliano Gioni und produziert von der Fondazione Nicola Trussardi trägt dazu auch der Ort der Präsentation bei: San Carlo al Lazzaretto, die alte Pestkirche des ehemaligen Mailänder Lazaretts.

©  Cluverius

San Carlo al Lazzaretto heute, errichtet unter Bischof Carlo Borromeo im 16. Jahrhundert

Ragnar Kjartansson bewegt sich mit seinen Arbeiten auf den Feldern Musik, Performance, Video und Malerei, die er oft untereinander verbindet. Nach einem Biennale-Auftritt in Venedig 2009 (Isländischer Pavillon) hat ihn besonders die multimediale Installation „The Visitors“ (2012) bekannt gemacht, die 2013 auch in Mailand (Hangar Bicocca) zu sehen war. Er habe, so der Künstler über seine jüngste Arbeit, in dem Chanson von Gino Paoli „eine Poesie entdeckt, die erzählt, wie die Liebe und die Musik auch den kleinsten Raum weiten und Himmel und Bäume umarmen kann.“ Die Liebe, so zitiert der Künstler Oscar Wilde, könne lesen, „was auf einem weit entfernten Stern geschrieben steht.“

© Polly Thomas/Fondaz. Trussardi

Ragnar Kjartansson bei seiner Installation in Cardiff

Gino Paoli  beschreibt in seinem Lied, das zum ersten Mal von Mina 1962 gesungen wurde, bevor es Paoli selbst vielfach interpretierte, auf verschlüsselte Weise die Begegnung mit einer Prostituierten in einem Zimmer in Genua. Dazu spielt ein Harmonium, das, so im poetischen Text, „mi sembra un organo/ che vibra per te e per me/ su nell’immensità del cielo.“ (Hier der Mitschnitt einer Zugabe zu einem Jazzkonzert 2011.)

Nun also klingt das Orgel-Arrangement von Ragnar Kjartansson auf der (eigens dafür aufgestellten) Orgel von San Carlo al Lazzaretto. Die kleine Barockkirche wurde im 16. Jahrhundert unter Erzbischof Carlo Borromeo im Zentrum des damals außerhalb der Stadtmauern bei der Porta Orientale (heute Porta Venezia) eingerichteten Lazaretts für Pestkranke errichtet. In der weitläufigen Anlage (378 Meter mal 370 Meter groß) wurden teilweise mehre Tausend Kranke untergebracht.

Nach allen Seiten offen

Ursprünglich nur von Säulen getragen war die kleine Kirche nach allen Seiten offen, damit die Kranken im ganzen Lazarett an religiösen Feiern teilhaben konnten. Wie es etwa Alessandro Manzoni in seinem epochalen Roman „I promessi sposi“ (Die Brautleute) für die Zeit der Pestepidemie um 1628/1629 beschreibt. Später wurden die Außenwände dann geschlossen. Das Lazarett wurde im 19. Jahrhundert aufgelöst und im Laufe der Stadterweiterung als Wohn- und Ladenviertel bebaut. Heute kann man hier einen stark multikulturell durchmischten Stadtteil mit vielen Bars und Restaurants erleben. Die kleine Kirche, die kürzlich restauriert wurde, ist neben einem kleinen Abschnitt der Außenmauern in der Via San Gregorio, das einzige noch existierende Zeugnis der alten Anlage des Lazaretts.

© Cluverius

Infotafel der Installation

Die Installation von Ragnar Kjartansson wurde erst kurzfristig von der Trussardi Stiftung übernommen. Die für dieses Jahr vorgesehene Installation The collectivity project von Olafur Eliasson konnte wegen der notwendigen Beteiligung einer größeren Besucherzahl unter Covid-19-Bedingungen nicht durchgeführt werden und wurde verschoben. Die Fondazione Nicola Trussardi, in Mailand 1996 gegründet, versteht sich als eine Art „Wandermuseum“, das seine Aktivitäten in jeweils unterschiedlichen Einrichtungen der Stadt präsentiert. Neben großen Ausstellungen gehören dazu Installationen wie etwa im vergangenen Jahr die von Ibrahim Mahama (Ghana), der die Zollhäuser der Porta Venezia mit Jute-Säcken verhängte.

Ragnar Kjartansson, The Sky in a Room. Chiesa di San Carlo al Lazzaretto, Largo fra’ Paolo Bellintani, Mailand. Bis 25 Oktober 2020

Info Fondazione Nicola Trussardi hier

Siehe auch auf Cluverius „Heute hier, morgen da“