GIOTTOBLAU UND LABYRINTHISCHE GÄNGE


In Mailand decken Raum- und Lichtinstallationen von Lucio Fontana eine weitgehend vergessene Seite des Künstlers auf, der mit seinen aufgeschnittenen Leinwänden in die Kunstgeschichte eingegangen ist.

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Lucio Fontana, Neonstruktur für die IX. Triennale in der Ausstellung „Ambienti/Environments“ im Hangar Bicocca (Mailand)

Mailand (Hangar Bicocca bis 25. Februar) Das Mailänder Piccolo Teatro, das gerade sein 70jähriges Bestehen feiert, begann 1947 in einem umgebauten Kinosaal in der Innenstadt der lombardischen Metropole mit den Aufführungen. Viele Besucher, die dieses historische Theater – heute eine von drei Spielstätten des Piccolo – besuchen, wissen nicht, dass sie unter der Decke eines der bedeutendsten italienischen Nachkriegskünstlers sitzen. Wer den Blick nach oben richtet, kann immerhin ahnen, dass Licht und Luft durch viele unregelmäßigen Löcher fallen, die kein anderer als Lucio Fontana in die Deckenverspannung gestanzt hatte.

Lucio Fontana, geboren in Rosario (Argentinien) 1899, gestorben in Varese (Italien) 1968, hatte wie kaum ein anderer versucht, bildende Kunst und Architektur miteinander zu verbinden. Er öffnete seine Leinwänden zur Skulptur, indem er sie zunächst ab Ende der 1940er Jahre durchlöcherte und schließlich von 1958 mit den berühmten „tagli“ (Schnitten) zu Concetti spaziali („räumlichen Konzepten“) auffaltete. Auf der Suche nach neuen Formen in der Kunst wollte er das Bild aus dem Rahmen und die Skulptur aus der Vitrine befreien. Und er begann 1949 mit einem, wie er es nannte, Ambiente spaziale („räumlichen Umfeld“) zu experimentieren: schwarze, fluoreszierende Elemente, die unter der Decke eines Raumes installiert waren.

Wieder aufgebaut nach Dokumenten der Originale

Das war der Anfang einer ganzen Reihe von solchen Arbeiten mit Neon oder Wood-Lampen, die er in den Jahren bis zu seinem Tod in unterschiedlichsten Variationen meist für Galerien und Ausstellungen kreierte. Arbeiten mit einem flüchtigen Charakter jedoch, die bis auf eine für die Galleria del Deposito in Genua, die noch bis zum 7. Januar auf der Biennale von Lyon zu sehen ist, am Ende zerstört wurden. Deshalb ist das eine historische Leistung, wenn jetzt im Mailänder Hangar Bicocca der Pirelli Kunststiftung neun dieser Ambienti spaziali nach Dokumenten der Originale wieder aufgebaut und mit zwei Licht-Installationen des Künstlers ergänzt wurden.

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Ambiente spaziale (1967) für das Stedelijk Museum Amsterdam

Dazu gehört etwa der labyrinthische Raum, der von zwei roten Neonlinien durchzogen wird, die ihn in ein veilchenblaues Licht tauchen, der für das Steidelijk Museum Amsterdam (1967) erdacht wurde. Oder die verwinkelten weißen Gänge für die documenta 4 (Kassel 1968), die zu einer schwarz „aufgeschnitten“ Wand führen. Auftakt der Schau macht die beeindruckende Deckeninstallation mit Kreislinien aus Neon vor einem Hintergrund in gleichsam Giottoblau, die Fontana ursprünglich für eine Ausstellung der Mailänder Triennale (1951) konzipiert hatte. Und sie endet mit quer durch eine Halle gespannte grüne Neonlinien unter dem Titel Fonti di energia („Energiequellen“) anlässlich der Feiern 100 Jahre nach der Gründung Italiens (Turin 1961).

Innovation und kulturelles Neuland

Die Ausstellung in den Hallen der ehemaligen Fabrikanlage Pirellis – nebenan wachsen Anselm Kiefers Himmelstürme unter die Decke – wirft nicht nur Licht auf eine weitgehend vergessene Seite des Künstlers. Sie macht zugleich deutlich, wie sehr Fontana den Minimalismus und die Konzeptkunst eines Dan Flavin oder eines Bruce Naumann beeinflusst, wenn nicht antizipiert hatte. Und sie unterstreicht seine bis zum Tod 1968 anhaltende Suche nach Innovation und kulturellem Neuland. Die Ausstellung wurde von der Kunsthistorikern Marina Pugliese (Universität San Francisco) nach einer siebenjährigen Arbeit in Archiven und Museumsdepots für ihren Ph.D-Abschluss eingerichtet. Ihr zur Seite standen Barbara Ferriani, die angesehene Restauratorin von Fontana-Arbeiten, und Vicente Todolí, Chefkurator des Hangar Bicoccas.

Den langen Weg in der künstlerischen Entwicklung Fontanas kann man gerade bei einer Ausstellung in Ravenna über moderne Mosaikskulpturen („Montezuma, Fontana, Mirko“) noch bis zum 7. Januar verfolgen. Sie zeigt, wie der Künstler während der 1930er Jahre in Argentinien von den Mosaikarbeiten der Azteken beeinflusst phantasievolle Skulpturen in dieser antiken Technik schuf. Das gegenwärtige Interesse an dem vielseitigen Lebenswerk schlägt sich schließlich auch auf dem Kunstmarkt nieder. Bei Auktionen kamen kürzlich Arbeiten seiner aufgeschnittenen „Concetti spaziali“ bei jeweils über 20 Millionen Euro unter den Hammer.

Lucio Fontana – Ambienti/Environments. Pirelli Hangar Bicocca, Mailand, bis 25. Februar.
Info: hangarbicocca.org/