KULTURELLE WENDE


Aldo Manuzio und die Renaissance – eine
faszinierende Ausstellung in Venedig

copyright Katalog Marsilio

Bartolomeo Veneto: Flora (1505/1510) 44 x 35 cm,
aus dem Frankurter Städel

 

Venedig (Galleria dell’Accademia bis 19.Juni) – Aldo Manuzio, 1449 in der Nähe von Rom geboren, hatte in Rom und Ferrara studiert und sich mit neuen Ideen zum Griechischunterricht einen Namen gemacht. In Venedig sorgte er sich vom Ende des Jahrhunderts an bis zu seinem Tod 1515 als Verleger um die Verbreitung der humanistischen Kultur. Dafür entwickelte er eine neue, handliche Form von Büchern, mit denen die Literatur der griechischen und römischen Antike auch einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wurde. Was wiederum das kulturelle Klima in Venedig nachhaltig beeinflusste. Wie in diesem Wechselspiel Künstler mit bislang neuen Bildmotiven reagierten, zeigt die Ausstellung „Aldo Manuzio – die Renaissance von Venedig“.

Die Serenissima hatte sich an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhunderts mit rund 115.000 Einwohnern zu einer der bevölkerungsreichsten Städte Europas entwickelt. Flüchtlinge aus allen Herren Länder, die den kriegerischen Wirren sowohl in Norditalien als auch im Mittelmeerraum entgehen wollten, waren in die wegen ihrer Lage auf den Laguneninseln als sicher geglaubte Stadt gezogen. Darunter auch viele Griechen, die mit ihrer reichen Kultur das intellektuelle Leben in der Stadt beeinflussten. Von dem neuen multiethnisch geprägten kulturellen Klima wurde auch der Humanist und Pädagoge Aldo Manuzio angezogen. Als er um 1490 nach Venedig kommt, trifft er auf eine kosmopolitische Stadt, die langsam ihr mittelalterliches Kleid ablegt und sich den neuen Strömungen der Zeit öffnet. Die Neugier gegenüber der Vergangenheit, auch gegenüber der römischen und der griechischen Kultur, wächst.

copyright Katalog Marsilio

Anker und Delphin – das Verlagsemblem unter einem Text von Erasmus

Festina lente – eile mit Weile

Aldo ist überzeugt, dass die wahre klassische Kultur sich nicht allein auf dem Lateinischen gründen kann. Das Griechische und das Römische gehören zusammen. Doch gibt es in Venedig, was das Griechische angeht, trotz steigender Nachfrage kaum Unterrichtsmaterial in der Originalsprache.

Überhaupt bestehen Bücher in großformatigen, meist mit Hand geschriebenen und an den Rändern mit überlangen Kommentaren ergänzten Blättersammlungen. Aus solche Folianten wird innerhalb einer Gruppe laut vorgelesen. Immerhin gibt bereits erste Versuche mit der neuen Drucktechnik. Aldo Manuzio findet einen interessierten Drucker und gründet mit ihm zusammen einen Verlag. Er fängt an, Bücher im griechischen Original herauszugeben. Das ist eine absolute Neuheit. Die tragen auch bald sein Verlagsemblem, einen Anker mit einem Delphin und das Motto „festina lente – eile mit Weile“. Griechische Zuwanderer haben die Texte mitgebracht. Und unter ihnen gibt es fachkundige Gelehrte, die als Herausgeber auftreten. Dabei beschränkt sich Aldo ganz auf den Originaltext, ohne weitschweifige Kommentare.

Dadurch kann man das Format der Bücher radikal verändern. „Von einem großen, nur schwer zu transportierenden Objekt, wird es etwas, das man fast in die Tasche stecken, oder wie man damals sagte, in die Hand nehmen kann.“ Sagt der Kunst- und Kulturwissenschaftler Guido Beltramini, der die Ausstellung in der Galleria dell’Accademia eingerichtet hat. Rund 100 Exponate – Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Dokumente und natürlich Bücher – erzählen die faszinierende Geschichte einer kulturellen Wende.

copyright Katalog Marsilio

Illustration aus der „Hypnerotomachia Poliphili“ gedruckt von Manuzio 1499

Das schönste Buch der Renaissance

1495 beginnt Manuzio eine Gesamtausgabe von Aristoteles, die bereits drei Jahre später abgeschlossen ist. Und er verlegt das vielleicht schönste Buch der Renaissance, die Hypnerotomachia Poliphili von Francesco Colonna mit ihren Traumgeschichten. Und zahlreichen Illustrationen, die in der Ausstellung dokumentiert werden. Es wäre sicher vermessen, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen diesen Büchern und den radikalen Veränderungen in der Kunst Venedigs zu vermuten. Aber der Klimawechsel ist deutlich zu spüren. Jedenfalls etwa zur selben Zeit wie Aldos Bücher in die venezianische Haushalte kommen, tauchen dort nie gesehene Bildmotive auf. Aldo publiziert Lukian, publiziert die griechischen und lateinischen Klassiker. Und nach und nach, so Beltramini, kommen Bilder und Zeichnungen mit mythologischen Themen in die Häuser, „auch von einem Maler wie Bellini, der kurz zuvor nur Madonnen gemalt hatte.“

Sogar ein Dürer, der 1505 für zwei Jahre nach Venedig kommt, zeichnet Faune und Satyrn. Und es verändert sich die Beziehung zur Natur, die jetzt arkadische Züge annimmt. Etwa im geheimnisvollen Bild „Das Gewitter“ von Giorgione, das zusammen mit der Darstellung der Flora von Bartolomeo Veneto aus dem Frankfurter Städel zu den bildnerischen Höhepunkten dieser Ausstellung gehört.

Eine Revolution auf dem europäischen Buchmarkt

Manuzio ersinnt dann eine weitere Neuheit. Er gibt Publikationen im kleinen Oktav-Format nach dem Vorbild von Andachtsbüchern heraus. Aber mit Texten der Klassiker oder denen von Petrarca, Dante oder Baldassare Castiglione. Ein Erasmus von Rotterdam kommt nach Venedig, um seine Werke von Manuzio verlegen zu lassen. Und als Aldo im Jahr 1515 stirbt, setzt sein Sohn Paolo die Arbeit fort. Diese Aldine genannten Bücher revolutionieren den europäischen Buchmarkt. Und beeinflussen wiederum die Malerei, besonders die Porträtmalerei.

copyright Katalog Marsilio

Tiziano Vecellio „Ritratto di gentiluomo“ (1514/1518) 85 x 72 cm aus London, Sammlung der Queen

Die löst sich langsam davon, vor allem Personen von Rang in ihrer offiziellen Funktion darzustellen. Das private Porträt kommt in Mode. Es zeigt die Persönlichkeit des Porträtierten. Attribute verweisen auf seine Interessen. Ein kleines Buch von Aldo deutet etwa geistige Beschäftigung an, zeigt den Mann oder die Frau als Mitglied einer kulturellen Elite.

So endet diese ebenso anregende wie schöne Ausstellung mit vier großen Porträtbildern von Tizian, Parmigianino, Palma dem Älteren und Lorenzo Lotto bei denen die Abgebildeten jeweils eine Aldina in der Hand halten. Bei Tizians Bild eines Jünglings steckt der Porträtierte sogar einen Finger zwischen die Seiten, um später weiterlesen zu können. Diese Porträts zeigen, wie mit den Büchern von Aldo Manuzio die Lektüre zu einem intimen Vorgang geworden ist. Und wie die Malerei der Renaissance das Individuum entdeckt und seinen Seelenzustand abbilden möchte.

Aldo Manuzio – il rinascimento di Venezia. Galleria dell’Accademia bis 19.Juni 2016. Katalog (Ausgabe entweder ital. oder engl.) 39 Euro in der Ausstellung, 45 Euro im Handel

Dazu im Deutschlandfunk auch ein Beitrag für „Kultur heute“ (26.3.2016)