Vor zehn Jahren bekam Rom das MAXXI geschenkt. Zaha Hadid schuf einen innovativen Museumsbau. Wegen Corona wird die Jubiläumsausstellung verschoben
Rom – Wer nach Rom fährt, sucht erst einmal nicht die Gegenwartskunst. Die Bühnen dafür in Italien sind Venedig, Mailand und Turin. Aber um die Hauptstadt auch museal der Zukunft zu öffnen, beschloss die Italienische Regierung in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, in Rom den Bau eines Museums für die Kunst des 21. Jahrhunderts zu finanzieren. Vor genau zehn Jahren konnte das MAXXI, (Museo nazionale delle arti del XXI secolo) am 27. Mai 2010 mit mehreren Ausstellungen eröffnet werden. Große Feierlichkeiten fallen nach dem langen Corona-Lockdown erst einmal aus. Immerhin bietet das Museum seit dem 22.Mai mit einem Notprogramm Besuchern wieder Eintritt.
Erinnern wir uns: Zu einem 1998 international ausgeschriebenen Architekturwettbewerb wurden 273 Entwürfe eingereicht. Bei der Endauswahl entschied man sich dann für ein innovatives Projekt der britischen-irakischen Architektin Zaha Hadid (1950 – 2016). Viele bürokratische Hürden mussten genommen werden, bis die Bauarbeiten im Flaminio-Viertel am nördlichen Stadtrand von Rom beendet wurden. Die Römer staunten nicht schlecht, als sie im November 2009 zum ersten Mal die noch leeren Räume ihres neuen Museums für die Kunst des 21. Jahrhunderts besichtigen konnten. Tänzerinnen und Tänzer der Choreografin Sasha Waltz bewegten sich mit ihnen zusammen durch kurvige Gänge und schräge Galerien (- hier zum Video).
Noch bevor der Neubau als Museum und Ausstellungsstätte offiziell eröffnet wurde, zeigte diese Raum-Choreografie mit dem Titel „Dialog 09 – MAXXI“, dass die Kunst des 21. Jahrhunderts weniger von Wandbild oder Skulptur und mehr von Fotografie ,Video, Rauminstallationen und auch von performativen Künsten geprägt ist. Aber vor allem angesichts der Architektur des Gebäudes, das in eine ehemalige Kasernenanlage aus dem späten 19. Jahrhundert eingepasst worden war, kamen die Besucher aus dem Stauen nicht heraus. Und auch wer sich heute zum ersten Mal dem MAXXI nähert, fragt sich: Was für ein merkwürdiges Gebilde ist das denn?
Eine Glasfront guckt frech über die Dachfläche
Zunächst sieht man von der Straßenfront in der nördlichen Vorstadt von Rom aus nicht viel mehr als einen grauen Betonklotz, der sich über einen parallel zur Straße liegenden weiß gestrichenen Altbau mit Räumen für ein Cafe und einen Museumsladen erhebt. Seitlich davon betritt man einen lang gestreckten Platz, der nach hinten bis zur nächsten Querstraße mit Blick auf Wohnhäuser offen ist. An der rechten Seite wird er von ehemaligen Kaserneneinrichtungen begrenzt, in denen Verwaltung, Archiv und Bibliothek des Museums untergebracht sind. Aber links schwingt sich kurvig ein neues, dreistöckiges Betongebäude am Platz entlang und biegt am Ende wie bei einem „L“ ab, das auf den Kopf gestellt ist. Es setzt sich aus mehreren teils übereinander gelagerten Strängen zusammen, von denen sich ein Strang mit einer Glassfront frech über die Dachfläche schiebt und gleichsam von oben auf die Platzfläche guckt.
Zaha Hadid zeigte sich nach Fertigstellung mit der von ihr gestalteten Anlage zufrieden. Das Fließende sei gelungen, sagte sie im Gespräch, „trotz der Komplexität, denn der Bauplatz ist L-förmig und wir haben uns lange den Kopf zerbrochen, wie wir die verschiedenen Ebenen übereinander legen und verflechten können.“
Innen geht es fließend weiter. Von einem hohen Atrium aus gehen Treppen und Rampen ab, die in die verschiedenen Gebäudeteile führen, in denen sich Galerien öffnen, die wiederum mit kurvigen, auf- und absteigenden Gängen verbunden sind. Künstliche Beleuchtung wechselt mit natürlichem Licht. Fließen, Bewegung und schnelle Abwechslung sind Gestaltungsmerkmale der Arbeiten von Zaha Hadid. Zum Beispiel in der Feuerwache in Weil am Rhein oder im Wissenschaftszentrum in Wolfsburg – zwei Bauten, die im selben Zeitraum entstanden sind.
Eine kosmische Heimsuche zu Eröffnung
Am 27. Mai 2010 wurde das MAXXI mit Ausstellungen der Sammlungsbereiche Bildende Kunst und Architektur offiziell eröffnet. Dazu gehörten unter anderem Arbeiten von Mario Merz, Anselm Kiefer oder Joseph Beuys. Im Hof begrüßte eine acht Meter lange Skelett-Skulptur von Gino De Domincis unter dem Titel „Calamita Cosmica – Kosmische Heimsuchung“ die Ehrengäste. Unter Ihnen auch die Architektin Zaha Hadid. Sie erhielt viel Zustimmung, musste sich aber auch Kritik stellen. Der Kunsthistoriker Vittorio Sgarbi etwa monierte in der römischen Tageszeitung la Repubblica, das Museum sei eine sich selbst genügende Ikone: „Dieser Bau weist die Kunstwerke ab, als wolle er sagen: das Werk bin ich!“
Das MAXXI hat die Aufgabe, Werke der Gegenwart vor allem aus Italien in den Bereichen Bildende Kunst, Architektur und Fotografie zu sammeln, Wechselausstellungen zu organisieren, Fonds von Dokumenten zu verwalten, eine Bibliothek für Forschungszwecke aufzubauen und mit didaktischen Programmen die Kunst des 21. Jahrhunderts einem breiten Publikum zu präsentieren. Die fließenden Räumlichkeiten machen es vor allem den Ausstellungsmachern nicht leicht, gibt heute auch Giovanna Melandri, die Präsidentin der Stiftungsgesellschaft des MAXXI zu. Es gebe wenige gerade Wände, es sei schwer Bilder zu hängen, „doch bei allen Problemen kann gerade das Künstler, Kuratoren und schließlich das Publikum selbst bereichern.“ Das Gespräch wurde Anfang März wenige Tage vor der Aussetzung aller kulturellen Aktivitäten wegen der Corona-Pandemie geführt.
Ein visionäres Projekt
Die frühere Politikerin Giovanna Melandri hatte Ende der 1990er Jahre als Kulturministerin Italiens die Ausschreibung des Architekturwettbewerbs für das MAXXI zu verantworten. Sie ist heute mehr denn je von dem Bau überzeugt: „Das Projekt von Zaha Hadid ist ein geradezu visionäres Projekt für ein Museum, für das die Architektin auch mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet worden ist. Es lebt von diesem kontinuierlichen Übergang von Bewegen und Anhalten, von Innen und Außen, von Museum und Stadt.“
Stolz präsentiert die Chefin Zahlen: in diesen zehn Jahren kamen über 3,3 Millionen Besucher, es wurden mehr als 100 Ausstellungen in den Kernbereichen Kunst, Architektur und Fotografie/Medien produziert, eine feste Sammlung von bislang 530 Werken konnte aufgebaut werden, dazu kommen mehrere Dutzend Archivfonds. Im Aufbau ist eine Dependance in der Stadt L’Aquila (Region Abruzzen), die das vom schweren Erdbeben 2009 getroffene Gebiet kulturell unterstützen soll. Die für Juni angedachte Eröffnung wird vermutlich wegen Corona verschoben.
Hoch gelobt im nationalen Umfeld
Doch hat das Museum nicht die internationale Aufmerksamkeit, die es sich wünscht. Ausstellungen wie zuletzt über Maria Lai (hier auf Cluverius) oder den Mailänder Architekten Gio Ponti, hoch gelobt im nationalen Umfeld, werden jenseits der italienischen Grenzen weniger beobachtet. Das Budget für 2020, das vorwiegend durch Mittel der öffentlichen Hand finanziert wird, beträgt fast 14 Millionen Euro. Mit Genugtuung unterstreicht die in New York geborene Präsidentin, dass rund 60 Prozent davon in kulturelle Aktivitäten investiert werden kann. Zum Leitungsgremium gehört neben anderen der aus China stammende aber in den USA verwurzelte Kunstkritiker Hou Hanru als künstlerischer Direktor. Nach wenigen Tagen der Wiedereröffnung bleiben jedoch Aussagen über die Aktivitäten der kommenden Wochen verständlicherweise vage.
Aber der Trumpf des Hauses ist das Haus selbst: der Bau nach dem Entwurf von Zaha Hadid. Um diese Architektur zu erleben, muss man allerdings nach Rom fahren.
Der Deutschlandfunk hat ein Kalenderblatt (27.5.) zur Erinnerung an die Eröffnung vor zehn Jahren gesendet. In der „Kunstzeitung“ (April 2020) ist ein Kommentar zum Thema erschienen.