Bergamo und Brescia als „Kulturhauptstadt Italiens 2023“: wirtschaftlich reich, künstlerisch lebendig
Mailand – Bergamo leuchtet. Und Brescia auch. Die beiden lombardischen Städte sonnen sich gemeinsam im Licht einer „Kulturhaupt Italiens 2023“, nachdem sie besonders zu Anfang der Pandemie einen hohen Blutzoll entrichten mussten. Unvergessen das Symbolfoto eines Konvois von Militärfahrzeugen, mit denen Dutzende von Särgen aus den überlasteten Krematorien Bergamos abtransportiert wurden. Jetzt sollen und wollen sich die Städte gleichsam in einem Akt der Wiedergutmachung von ihrer guten, ihrer kulturell-touristischen Seite zeigen.
Bergamo (120.000 Einwohner) war mit seiner mittelalterlichen Oberstadt lange Zeit eine Art Geheimtipp für Lombardeireisende, bevor es durch den Flughafen dank Ryanair zum dritten Hub Mailands wurde und davon auch massentouristisch profitieren konnte. Der Aeroporto Internationale Caravaggio beruft sich stolz auf den im benachbarten Marktflecken Caravaggio aufgewachsenen Michelangelo Merisi.
Brescia (200.000 Einwohner), nach Mailand die bevölkerungsreichste Stadt der Lombardei, spielt trotz großartigen, zum Welterbe gehörende antiken und langobardischen Zeugnissen sowie monumentalen Platzanlagen aus der Renaissance eine (noch) untergeordnete Rolle für den Fremdenverkehr. Im Osten der Lombardei gelegen war der Ort mehrere Hundert Jahre Teil des Herrschaftsgebiets von Venedig und trägt deshalb auch den Ehrennamen „La Leonessa“. An Schlechtwettertagen wird er vor allem von Touristen des nahen Gardasees aufgesucht. Als „Kulturhauptstadt Italiens“ will man jetzt ein neues Image gewinnen.
Projekte zur Aufwertung des Kulturerbes
Der Titel wird seit 2014 vom Kulturministerium des Landes für jeweils ein Jahr vergeben und ist gegenwärtig mit 1 Million Euro dotiert. Das Ziel der Veranstaltung sei – wie es im Behördenjargon heißt – „die Förderung von Projekten und Aktivitäten zur Aufwertung des materiellen und immateriellen Kulturerbes Italiens durch eine Form des Vergleichs und des Wettbewerbs zwischen den verschiedenen territorialen Gegebenheiten, um so das Wachstum des Tourismus und der damit verbundenen Investitionen zu stimulieren.“ Das ist für die lokalen Einrichtungen über den eher bescheidene finanziellen Anschub aus Rom hinaus Gelegenheit, in kulturelle Projekte und Institutionen zu investieren – wie etwa in Parma 2021 (siehe Cluverius hier). Nach dem etwas enttäuschenden Auftritt von Procida 2022 nutzen die von reichen Bankstiftungen unterstützen Orte Bergamo und Brescia jetzt den Titel der Kulturhauptstadt 2023 für kulturelle Investitionen von rund 40 Millionen Euro – zum Beispiel in ein neues historisches Museum in Brescia.
Beide Städte liegen jeweils in der Po-Ebene am Rande der Voralpen nur rund 50 km voneinander entfernt. Sie waren sich traditionell nicht immer ganz grün. Aber das gehört zur Folklore von Nachbarorten und in Sachen Kulturhauptstadt setzten sie jetzt ganz auf Gemeinsamkeit. Das reicht von parallelen Events (Feste mit Lichtskulpturen) bis zu einer großen Kunstausstellung, die gerade in Brescia Maler der Renaissance aus dem Raum Bergamo (u. a. Lotto, Palma il Vecchio, Previtali) mit denen aus Brescia (wie Foppa, Moretto, Romanino) zusammen bringt (bis 11.6.). Bergamo trumpft traditionell musikalisch mit den Donizetti Oper Festspielen, Brescia mit einem Festival di Commedia dell’Arte.
Wiedereröffnung der Accademia Carrara
In Bergamo ist die Accademia Carrara, die zu ersten Liga der Kunstmuseen in der Lombardei gehört, zum Jahr der Kulturhauptstadt rechtzeitig renoviert und mit neuer Hängung wieder eröffnet worden. Nach langer Vorbereitung wird hier die erste große Retrospektive von Cecco del Caravaggio (Francesco Boneri 1586-1620) präsentiert (bis 4.6.). Der Maler, der aus Bergamo stammte, hatte Caravaggio Modell gesessen und war wohl auch sein Liebhaber gewesen. Im Herbst folgt in der Accademia eine Ausstellung, die Musik und Malerei der Romantik zusammen bringt. Kostüme, Bühnenbilder etc. aus Aufführungen der Werke von Verdi, Donizetti, Rossini & Co treffen auf Gemälde von Hayez, Grigoletti oder Induno.
Brescia war 2016 planerischer Ausgangspunkt (und dann Ausstellungsort) der letzten großen Aktion von Christo („Floating Piers“), der einen Laufsteg über das Wasser des Lago d’Iseo zur Insel Monte Isola gelegt hatte. Was Gegenwartskunst angeht, gibt sich gegenwärtig Bergamo lebendiger als der Nachbar. Die städtische Galerie für Kunst der Moderne und der Gegenwart (GAMeC) zeigt gerade unter dem Titel „Salto nel Vuoto / Sprung ins Leere“ eine anspruchsvolle Ausstellung über die Suche von Künstlern nach der Leere und die Entmaterialisierung von Kunst u. a. mit Arbeiten von Picasso bis Magritte, von Duane Hanson bis Rebecca Allen (bis 28.5.). Im Herbst organisiert der Palazzo della Ragione eine Schau von Arbeiten der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama.
Die Lombardei, die bevölkerungsreichste Region Italiens, in der mehr Menschen leben als in Österreich, will mit den Veranstaltungen zur doppelten Kulturhauptstadt – allein in Bergamo stehen rund eintausend Termine auf dem Programm – beweisen, dass die Region über die Metropole Mailand hinaus nicht nur ein wirtschaftlich reicher, sondern auch künstlerisch lebendiger Raum, ein kulturelles Fenster auf Italien ist.
Info: bergamobrescia2023.it/en/
Ein ähnlicher Beitrag ist in der Kunstzeitung 305 (Verlag Lindinger + Schmid, Berlin) erschienen