ROSMARIN UND BENZINGERUCH


Ein Vespa-Museum in Pontedera bei Pisa eröffnet.

© Piaggio

Vespa Reklame der 1950er Jahre

Mailand (2000) – Die Hauptdarstellerin ist weiblich und läuft, wenn man Gas gibt, auf zwei Rädern – die Vespa. Ihre Name bedeutet auf Deutsch „Wespe“, und so sticht sie vierrädrige Konkurrentinnen elegant tailleschwingend aus. Denn die „Vespa“ summt ziemlich laut – man könnte es auch knattern nennen – durch die frustriert stehend Autoreihen, überholt mal links, mal rechts, bis sie vor jeder roten Ampel in der Pole-Position steht. Die Italienerin ohne Parkplatzprobleme ist mit weltweit 16 Millionen Exemplaren der Star des Alltags, inzwischen über 50 Jahre jung, und längst ein Mythos der motorisierten Freiheit geworden.

In ihrem Alter muss man aber damit rechnen, als Kultobjekt museumsreif zu werden. So kann man einzelne Exemplare zurzeit im Guggenheim Museum von Bilbao sehen oder auf einer Ausstellung im Pariser Kulturtempel Beaubourg. Aber nirgends zeigt sie alle Seiten ihres Könnens so ausführlich wie im neuen Piaggio-Museum, das gerade in Pontedera auf dem halben Weg zwischen Pisa und Empoli eröffnet worden ist. Dort, wo sich die Toskana ganz arbeitsam schlicht und ohne Schickimicki-Fraktionen gibt, ist sie im Frühjahr 1946 auf die Welt gekommen. Die Firma Piaggio, die bis dato Kampfflugzeuge und Schnellboote hergestellte hatte, war von Kriegs- auf Friedensproduktion umgestiegen. Vespas Vater, der Flugzeugingenieur Corradino D’Ascanio und Erfinder des modernen Hubschraubers, wollte ein Fahrzeug schaffen, dass einfach zu bedienen war, den Fahrer vor Straßenschmutz schützte und Platz für einen Mitfahrer bot.

Die Vespa als Kino-Star

So wurde sie geboren: mit 3,5 Pferdestärken, einem Zweitaktmotor mit 98 Kubikzentimeter und einer Dreigangschaltung unter dem noch wenig attraktiven Modellnamen MP5. Die Erstgeborene, von dem es ganze 15 Exemplare gab, ist im Piaggio-Museum (geöffnet mittwochs bis samstags von 10-18 Uhr) ebenso zu sehen, wie ihre Nachfolgermodelle, von denen bereits 1949 35.000 Stück hergestellt wurden. Insgesamt 60 blankgeputzte und faltenlose Vespas. Darunter die mythische GS von 1955, mit der Audrey Hepburn und Gregory Peck als „eine Herz und eine Krone“ (unter der Regie von William Wyler) durch Rom knatterten. Im kleinen Kinosaal des Museums kann man die Filmausschnitte sehen.

150.000 Dokumente, die in fünf Jahren zusammengesammelt worden sind, und eine ganze Bibliothek erzählen die Liebes- und Sozialgeschichte der Vespa. Denn sie war kein gewöhnlicher Motorroller. Das war ein Gefühl von Freiheit mit Sommersonne, von Stracciatella-Eis mit Fahrtwind und Cappuccino mit Gangschaltung. Rosmarin und Benzingeruch: Italien eben. „Auch ich in Vespalien“ kalauert Peter Roos in seiner wunderschönen Road-Book „Vespa Stracciatella“ (Transit Verlag).

Der Vespa-Knatterton wurde zur italienischen Nationalhymne zur Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Sie war Ehefrau und Geliebte zugleich, teilte mit ihrem Fahrer den Alltag und bot immer wieder zu Träumen Anlass: so die Vespa Alpha, das Einzelstück für den Film „Dick Smart – Agent 2007“, wo sie auch fliegen konnte, und mit wenigen Handgriffen als U-Boot unter Wasser fuhr. Für ihr Alter hat sie vorgesorgt: für die bleifreie, die schreckliche Zeit, gibt es verschiedene Kat-Modelle zum umrüsten. Überhaupt sorgt ein unglaublicher Einzelteilkatalog, dass fast alle Vespa-Modelle, und seien es die aus den fünfziger Jahren, immer noch repariert werden können. Denn eine Vespa liebt man sein Leben lang, man wirft man nicht zum alten Eisen. Wenn sich überhaupt von ihr trennen muß, bringt man sie ins Museum.

 Süddeutsche Zeitung, April 2000

Zum 75. Geburtstag der Vespa 2021 siehe hier in der Repubblica