Paolo Rumiz macht sich in seinem Buch „Der unendliche Faden“ auf die Reise zu den Benediktinern, den Erbauern Europas
Mailand/Venedig – Paolo Rumiz, der aus Triest stammt, ist Italiens bekanntester Reiseschriftsteller. Zuletzt hatte er von einem Fußmarsch auf der Via Appia von Rom bis Brindisi erzählt. In seinen Büchern, zum Beispiel über einen monatelangen Aufenthalt auf einer einsamen Leuchtturminsel im Mittelmeer, mischt er Beobachtungen und Reflexionen, erfreut sich an Schönheiten und klagt Missstände an. Europa, so seine wachsende Sorge, droht der Verlust der mühsam erworbenen Einheit durch die Wiedererweckung längst überwunden geglaubter nationaler Vorurteile. Fremdenhass und Abschottung würden die Solidarität innerhalb der EU untergraben. So hat sich der inzwischen 74jährige Rumiz mal wieder auf den Weg gemacht, diesmal um die Spur der Benediktiner aufzunehmen.
Ausgehend von ersten Klostergründungen im italienischen Apennin durch Benedikt von Nursia (ca 480 – 547) hatten die Benediktiner im angeblich „dunklen“ Mittelalter ein Netz von Abteien kreuz und quer durch Europa von Irland bis Deutschland, von Frankreich bis Ungarn gesponnen. Mit der Grundregel „Ora et labora et lege – Bete, arbeite und lese“ schufen sie einen die Völker überspannenden Imperativ, verknoteten mit einem „unendlichen Faden“ Glauben, Landwirtschaft und Bildung. Keiner Wunder also, dass Benedikt von Nursia für die katholische Kirche einer der Schutzheiligen Europas wurde.
Die Einheit der Regel
In seiner Reise zu den Benediktinern heute beschränkt sich Paolo Rumiz auf 15 Klöster im mitteleuropäischen Raum. Genug, um auf eine Kaleidoskop von Verhaltensweisen und Charaktere, Speisepläne und Baustile zu treffen. Eine Vielfalt die durch die Einheit der Regel zusammen gehalten wird. Er taucht in die Stille der Pilgerzellen ein, hörte die Stimme des Windes in den Klostergärten und labt sich an von Mönchen gebrautem Bier.
Man folgt gerne den abwechslungsreichen Erzählungen des Autors, wenn er Abt Notker in Sankt Ottilien begegnet, wo man die „bäuerliche Seele Bayerns“ atmet, „eine weibliche Seele – wie im Süden Italiens, wo die Muttergottes viel wichtiger ist als Christus.“ In Orval (Belgien) erlebt er Gastfreundschaft als Maschinerie. In Muri-Gries (Südtirol) gibt er sich ganz die Macht der Musik hin und trifft auf Pater Urban, den Organisten, für den das Mönchtum der „einzig funktionierende Kommunismus“ ist. In Citeaux (Frankreich) lernt er „Handwerker des Friedens“ kennen. In Pannonhalma (Ungarn) hört er fassungslos einen Priester sagen: „Europa sollte Ungarn dankbar sein, dass es die Flut der Muslime gestoppt hat.“
Trotz Unterschiede und Widersprüche entdeckt Paolo Rumiz bei seiner Pilgerfahrt „die Kraft einer gemeinsamen Kultur“, die in der Lage sei „die Mauern der Intoleranz zu demolieren.“ Europa sei eine Anomalie, die sich gegen „Absolutismus, Mafia, Fundamentalismus und räuberische Ökonomien zur Wehr setzt, die unseren Planeten plündern.“ Es sei angesichts dieser Probleme ein „Wahnsinn“ zuzulassen, „dass sich unsere Welt noch einmal dem nationalistischen und suprematistischen Rausch hingibt.“
Als das Buch im Frühjahr 2019 in Italien erschien, gab es noch keine Pandemie, die inzwischen in Europa weitere Gräben aufgerissen hat. Paolo Rumiz erinnert in seinem jetzt so liebevoll auf deutsch übersetzten Buch eindringlich und gelegentlich mit Pathos daran, dass es Brücken gibt, die diese Gräben überwinden.
Paolo Rumiz: Der unendliche Faden. Reise zu den Benediktinern, den Erbauern Europas. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Folio Verlag, Bozen/Wien. 237 Seiten, 22 Euro
Auf Cluverius über Rumiz siehe u.a. in den Briefen aus der Quartantäne, sowie über die Appia-Wanderung „Als Rebell unterwegs“ und über seine Po-Reise „Auf jeder Insel Feuer machen„