Die Balzan Stiftung hat die Preisträger (und eine Preisträgerin) für 2024 bekannt geben und setzt auf sozialen, medizinischen und ökologischen Fortschritt. Neugierig macht die Auszeichnung an den Australier John Braithwaite in „Restaurativer Justiz“
Mailand – Die Internationale Stiftung Balzan (Mailand/Zürich) vergibt ihre Preise regelmäßig in vier jährlich wechselnden wissenschaftlichen Fachbereichen – zwei aus den Geistes- und zwei aus den Naturwissenschaften. In diesem Jahr werden der 73jährige Australier John Braithwaite (Kriminologe an der Australian National University) im Bereich Restaurative Justiz, die 73jährige US-Amerikanerin Lorraine Daston (emeritierte Direktorin Max-Planck-Instituts Berlin-Dahlem für Wissenschaftsgeschichte) im Bereich Wissenschaftsgeschichte (Neuzeit und Gegenwart), der 71jährige usamerikanische-schweizerische Molekularbiologe Michael Nip Hall (Biozentrum Universität Basel) im Bereich Biologische Mechanismen sowie der 59jährige usamerikanische Chemiewissenschaftler Omar Yaghi (University of California, Berkeley) im Bereich Nanoporöse Materialien für Umweltanwendungen ausgezeichnet.
Dabei fällt ein Fachbereich wie „Restaurative Justiz“ aus dem Rahmen. Die restaurative Justiz entwickelt sich weltweit als ergänzende Form zur traditionellen Strafjustiz (und nicht im Gegensatz zu ihr). Während sich letztere auf die Bestrafung des Täters konzentriert, gibt erstere den Opfern von Straftaten, die gewöhnlich am Rande der traditionellen Strafjustiz bleiben, eine entscheidende Stimme. Sie zielt darauf ab, Beziehungen zwischen den Personen wiederherzustellen und so die Netze zu stärken, die sie an ihr Lebensumfeld binden. Wobei man von dem Gedanken ausgeht, dass sich die Straftat auf das Opfer bezieht und dabei die Gemeinschaft mit einbezieht. Das Ziel der Wiedergutmachung besteht also darin, Konflikte in Ergänzung zur traditionellen strafrechtlichen Lösung zu befrieden.
Wiedergutmachung strebt über die materiellen und immateriellen Schäden hinaus die Wiederherstellung von positiven sozialen Beziehungen an. Das Thema ist von wachsender Bedeutung, seitdem es seit Anfang der 1980er-Jahre Gegenstand von Resolutionen der Vereinten Nationen und von Richtlinien der Europäischen Union wurde. Es weist deutliche interdisziplinäre Aspekte auf, die es deshalb für den Balzan Preis so interessant machen. Wobei John Braithwaite seit seiner grundlegenden Veröffentlichung „Crime, Shame and Reintegration“ (1989) als wissenschaftlicher Vorreiter und unermüdlicher Verbreiter im Bereich der Restaurativen Justiz gilt.
Ein Generationswechsel in den Führungsgremien
Bei der Bekanntgabe von Preisträger und Preisträgerin trat jetzt in Mailand zum ersten Mal das neue Führungsduo der Stiftung Balzan auf. Das vermittelt der 1956 gegründeten Organisation gegenüber der Vergangenheit ein jüngeres und vor allem weiblicheres Erscheinungsbild. Neue Präsidentin ist die Ärztin und Hochschullehrerin (Universität Mailand-Bicocca) Maria Cristina Messa (geb. 1961). Sie war u. a. Ministerin für Unterricht und Forschung im Kabinett Draghi 2021/22. Das Preisverleihungskomitee, das die Kandidaturen auswählt und bewertet, wird von der Rechtsprofessorin und ehemaligen Verfassungsrichterin Marta Cartabia (geb. 1963) geleitet. Auch sie war parteilose Ministerin im Kabinett Draghi 2021/22 und dort für Justiz zuständig. Die in Zürich angesiedelte zweite Sitz der Stiftung, wo das Vermögen verwaltet wird und der die finanziellen Mittel für die Preisvergabe bereitstellt, wird nach wie vor von Gisèle Girgis-Musy (geb.1949) verantwortet.
In Mailand wurden auch die vier zu prämierenden Fachbereiche 2025 bekannt gegeben: Kunstgeschichte der Gegenwart, Altertumswissenschaften: Athenische Demokratie – neu betrachtet, Atome und ultrapräzise Messung der Zeit, Gen- und genmodifizierte Zelltherapie. Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen aller Welt haben jetzt die Möglichkeit, Kandidaten und Kandidatinnen vorzuschlagen.
Die Übergabe der mit je 750.000 Schweizer Franken dotierten Preise 2024 – wobei die Hälfte des Preisgeldes in Nachfolgeforschungen zusammen mit jungen wissenschaftlichen Kräften investiert werden muss – findet am 21. November unter Beteiligung des italienischen Staatspräsidenten in Rom statt. Insgesamt wurden seit der ersten Preisverleihung von 1961 bis heute 185 Persönlichkeiten (darunter 17 Frauen) ausgezeichnet und Preisgelder im Wert von mehr als 102 Millionen Schweizer Franken vergeben.
Auf Cluverius siehe auch: Der Balzanpreis macht von sich reden (2014)