Ferrara


Die Landschaft als Protagonist : In Rovigo erzählt die Ausstellung „Cinema!“, wie das Po-Delta italienische Kinogeschichte geschrieben hat.   Rovigo (Palazzo Roverella bis 1.7.2018) – Was haben Viscontis Film „Ossessione“ (1943), Antonionis „Il grido“ (1957) und Montaldos „L’Agnese va a morire“ (1976) gemeinsam? Diese Kinofilme wurden im Polesine, im Schwemmland des Po-Deltas gedreht. Wie viele, viele andere Produktionen auch. Die Ausstellung „Cinema!“, die im Palazzo Roverella  zu sehen ist, geht von rund 500 (!) Spiel- und Dokumentarfilmen sowie TV-Serien aus, die hier entstanden sind. Mit dem Untertitel „Geschichten, Protagonisten, Landschaften“ werden Videoausschnitte, Fotos von Dreharbeiten, Szenenfotos, Plakate, Drehbücher, Kartenmaterial sowie andere Dokumente von den 1940er Jahren bis heute gezeigt. Der Kurator Alberto Barbera und seine Mitarbeiter haben einen faszinierender Parcours durch die italienische Filmgeschichte gesteckt, der zugleich die Geschichte einer Landschaft erzählt.

WO SICH HIMMEL UND ERDE BERÜHREN


Rovigo, Ende April – Es ist nicht leicht, sich der Provinzstadt (51.000 Einwohner) am südlichen Rand des Po-Deltas zwischen Etsch und Canal Bianco zu nähern. Eine wild gewachsene, gesichtslose Peripherie mit Kleinbetrieben, Lagerhallen und verstreuten Wohnsiedlungen hat sich um sie gelegt und verbinden sich mit der von Adria. Pulsierende Verkehrsstraßen durchschneiden das Schwemmland des Polesine und seine Wasserwege. Rosenzüchtungen, wie Ariost sie Rovigo in seinem Rasenden Roland andichtete, wird man heute kaum noch finden. Der regellosen Hektik entkommt man jedoch im hübschen Zentrum mit ehrwürdigen Palazzi und harmonischen Platzanlagen.

In Rovigo



Ferrara zwischen Mussolinis Rassengesetzen, der deutschen Besatzungszeit und dem Kampf um Erhaltung der Kulturgüter nach dem Krieg. Carl Wilhelm Macke erinnert an den Avvocato Paolo Ravenna Ferrara – Slargo Avvocato Paolo Ravenna steht auf dem Straßenschild. Im Deutschen könnte man Slargo vielleicht mit „Ausbuchtung“ oder „Verbreiterung“ übersetzen. Ungefähr auf der halben Wegstrecke von Ferraras wunderbaren Renaissancestrasse Via Ercole Primo, unmittelbar nach dem Ausstellungszentrum im Palazzo Diamanti und in der Nähe jener versteckt liegenden Grundstücke, wo sich vielleicht der Garten der Finzi Contini befunden haben könnte, stößt man auf einen solch kleinen, unscheinbaren Slargo. Wahrlich keine spektakuläre Piazza – und in Tourismusführern wird man vergeblich nach ihm suchen. Wer aber war dieser Avvocato Paolo Ravenna – in Ferrara 1926 geboren und 2012 ebenda gestorben – an den hier mit der ihm angemessenen Nüchternheit seit Anfang des Jahres 2018 erinnert wird?

EIN KLEINER WINKEL AM RANDE


Carl Wilhelm Macke im Gespräch mit Esther Kinsky, die ihrem Buch „Hain. Ein Geländeroman“ drei eher unbekannte Landstriche Italiens zum Sprechen bringt Ferrara/München – Mit dem Buch „Hain. Ein Geländeroman“ von Esther Kinsky werden viele Buchhändler ganz besondere Probleme haben. Stellt man das Buch nun in die Abteilung mit Reiseführern durch Landschaften Italiens? In den Überschriften der drei Kapitel werden die Etappen des Aufenthalts der heute 61jährigen Autorin in Italien genau angegeben: Olevano nordöstlich von Rom, Chiavenna an der lombardisch-tessiner Grenze und schließlich Comacchio im Po-Delta östlich von Ferrara. Doch der Esther Kinsky, die aus dem Rheinland stammt und heute in Berlin lebt, geht es um keine touristischen Reiseerlebnisse. Stattdessen blickt sie mit großer Geduld und literarischer Sensibilität auf vergessene Gelände, von der Natur und den Menschen zerstörte Landstriche.

„MICH INTERESSIERT DER RAND MEHR ALS DAS ZENTRUM“



Eine Ausstellung in der norditalienischen Stadt zeigt die metaphysische Malerei von Giorgio de Chirico 1915-18 und sein Einfluss auf die europäische Avantgarde Ferrara (Palazzo dei Diamanti bis 28.2.) In der Biographie von Giorgio de Chirico (1888-1978) markieren die Jahre, die der italienische Maler vor einhundert Jahren in Ferrara verbrachte, einen tiefen Einschnitt. Eine repräsentative Auswahl von Bildern der Zeit ist gerade in einer gelungenen Ausstellung im Palazzo dei Diamanti der Stadt zu sehen. Sie zeigt mit rund 70 Exponaten ebenso Arbeiten unter anderen von Carlo Carrà, Giorgio Morandi, Max Ernst oder René Magritte. Gemälde und Zeichnungen, die den Einfluss von de Chirico auf verschiedene Strömungen der europäischen Avantgarde dokumentieren.

STILLE JAHRE IN FERRARA