Ferrara


Eine Ausstellung in der norditalienischen Stadt zeigt die metaphysische Malerei von Giorgio de Chirico 1915-18 und sein Einfluss auf die europäische Avantgarde Ferrara (Palazzo dei Diamanti bis 28.2.) In der Biographie von Giorgio de Chirico (1888-1978) markieren die Jahre, die der italienische Maler vor einhundert Jahren in Ferrara verbrachte, einen tiefen Einschnitt. Eine repräsentative Auswahl von Bildern der Zeit ist gerade in einer gelungenen Ausstellung im Palazzo dei Diamanti der Stadt zu sehen. Sie zeigt mit rund 70 Exponaten ebenso Arbeiten unter anderen von Carlo Carrà, Giorgio Morandi, Max Ernst oder René Magritte. Gemälde und Zeichnungen, die den Einfluss von de Chirico auf verschiedene Strömungen der europäischen Avantgarde dokumentieren.

STILLE JAHRE IN FERRARA


Carl Wilhelm Macke: Auf der Suche nach den kleinen Dingen Ich suchte unlängst in Ferrara nach einem Schneider. Mit dem Fahrrad hin und her durch die Gassen des Centro Storico fahrend, fand ich endlich eine kleine Werkstatt in der Via Ripagrande. Ich fragte den Schneider, ob er an meiner Jacke eine kleine Reparatur vornehmen könne. Höflich, aber auch etwas geschäftsmäßig kühl, begann er sofort mit seiner Arbeit. Während er die Jacke in die Hand nahm, ließ ich meine Augen durch den kleinen Raum schweifen. Überall erblickte ich Kassetten, unendliche viele Kassetten. Bis hoch an die Decke stapelten sie sich, gut nach dem Alphabet geordnet.

DER SCHNEIDER VON FERRARA



Ferrara im November, dichter Nebel begrüßt den Ankommenden am frühen Morgen. Man stapft durchs Laub entlang einer langen Allee zum Zentrum der alten Stadt der Mathilde von Canossa, des Ercole d’Este und der Finzi Contini. Es riecht merkwürdig nach frisch gemähtem Gras. Kaum sind die Backsteingebäude am Straßenrand zu erkennen. Scheinwerfer bohren auf der Fahrbahn durch die dickfeuchte Luft lange Trichter, die sich aber schnell wieder auflösen. Ein Zeitungsstand erscheint einer metaphysischen Insel gleich unter dem Kegel einer Laterne. Gespensterhaft taucht das Castello auf, mächtige Türme verlieren sich im grauen Nichts. Und je näher man kommt, huschen Schatten vorbei. Schemenhaft erkennt man Gestalten, die fleißig putzen, räumen, hin und her huschen. Was geht hier vor? Heinzelmännchen in Ferrara? Später, nach einer Verabredung, trifft man in der Via Garibaldi auf die gleichen Bewegungen. Doch jetzt hat blasses Sonnenlicht den Nebel zu feuchten Schlieren auf das Kopfsteinpflaster gedrückt. Und man erkennt: Die Heinzelmännchen, das sind die Arbeiter der Stadtreinigung. Ferrara wird geputzt. Der Staatspräsident hat seinen Besuch angesagt. Er will eine Ausstellung über Giorgio de Chirico im Palazzo dei Diamanti eröffnen. Und im Castello Werke von Boldini und De Pisis besichtigen. Die sind hier untergebracht, weil das Stadtmuseum seit dem Erdbeben vor drei […]

In Ferrara