HUND UND KATZE VERGIFTET


Ovidio Marras, ein alter Hirte und Kleinbauer kämpft auf Sardinien gegen die Bauspekulation von Großindustriellen

© Cluverius

Der David Ovidio Marras gegen den Othello der Großindistriellen

Cagliari – Eine der schönsten Straßen Italiens führt in Südsardinien, rund 40 Kilometer von der Regionalhauptstadt Cagliari entfernt, längs der Costa del Sud zum Porto di Teulada.  Sanft rollt ein Vorgebirge dem Meer zu. Kleine Buchten mit traumhaften, vom Tourismus weitgehend unberührte Stränden schließen sie ab. Hinter jeder Kurve öffnen sich neue  Blicke auf prächtige Landschaftbilder mit buschigem Rosmarin, wilden Olivenbäume und kleinen Wäldern immergrünen Steineichen, die bis an das glasklare Meer heranreichen, das blaugrün in der Herbstsonne blinzelt. Einige alte, in traditioneller Lehmbauweise errichtete Bauernkaten stehen hier und von einer Landzunge bei Capo Malfatano grüßt ein Wachturm aus den Zeiten der aragonischen Besatzung.

Dann, der Schock. Hinter der nächsten Kurve, wo sich das Flüsschen Tuerredda dem Meer zu schlängelt, stechen halbfertige Bungalows und Reihenhäuser ins Auge. Das ist das erste Baulos einer riesigen, kaum 300 Meter vom Meer entfernten Anlage mit Wohn- und Ferienhäusern, einem Hotelkomplex und Serviceeinrichtungen auf insgesamt 700 Hektar Bodenfläche. Architektonische Dutzendware, die ein Forriadroxiu, wie die alten Katen in der sardischen Sprache heißen, geradezu belagert. Vor dem Forriadroxiu steht ein alter Mann, stützt sich auf seinen Stock und schimpft wie ein Rohrspatz. Der Bauer Ovidio Marras, 81 Jahre alt, wohnt wenige Schritte vom Strand entfernt allein in der Kate, in der schon Vater gelebt hat.  Anders als seine Nachbarn hat Ovidio sein Land nicht an das Konsortium verkaufen wollen, in dem sich italienische Großunternehmer wie  der Baulöwe Caltagirone aus Rom, der Benetton Konzern aus Venetien oder das Bankhaus Monte die Paschi aus Siena zusammen geschlossen haben.

„Ich bin unbequem, deshalb will man mich hier weghaben“, schimpft er.  Ein Hund und eine Katze habe man ihm schon vergiftet. Wer? „Na wer wohl“, schnaubt Ovidio. Der kleine Mann, krumm wie eine sardische Eiche, brummelt unverständliche Sätze im Dialekt und zeigt auf die braunen Bungalows vor seiner Bauernkate, wo noch vor wenigen Monaten ein Orangenhain leuchtete. Ovidio ist in wenigen Wochen zu einer bekannten Persönlichkeit geworden. Ein sardischer David, der den italienischen Goliath herausgefordert hat. Zeitungen wie der Mailänder Corriere della Sera haben über ihn berichtet, sogar ein Journalist des Guardian aus London hat ihn in seiner Kate besucht. „Sardischer Schafshirte bringt umstrittenes Tourismusprojekt ins Wanken“, stand über dem Artikel. „Von wegen Hirte“, poltert Ovidio. Er sei Bauer, kein Hirte.

Ein Starrkopf seltz sich durch

Aber es stimmt. Das Konsortium hat wohl gedacht, es könne den Kleinbauern, der eine Schule nur bis zur 4. Klasse von innen gesehen hat, mir nichts dir nichts über den Tisch ziehen. So hat man einen Weg überbaut, dessen Besitz sich Ovidio mit der Baugesellschaft teilt. Und ihm dafür einen neuen Weg angelegt. Doch der Starrkopf will seinen alten Weg wieder haben. Er hat geklagt und bereits in zwei Instanzen Recht bekommen. Wenn jetzt das Kassationsgericht, wie zu erwarten, die beiden Urteile bestätigt, muss das Konsortium einen Teil seiner Häuser wieder abreißen und den Bauplan ändern.

Der Umweltschutzverband Italia Nostra unterstützt den Streit von David Ovidio gegen Goliath Konsortium. Und er hat eine Klage gegen das Gesamtprojekt, das eine der schönsten Landstriche Sardiniens verschandelt, vor dem Verwaltungsgericht eingereicht. Das Projekt würde, so Maria Paolo Morittu von der sardischen Sektion des Verbandes gegen eine ganze Reihe von Naturschutzbestimmungen und Gesetze verstoßen. Und es würde auch, von einigen Saisonarbeitern abgesehen, keine neue Beschäftigung in diese von Armut geplagte Gegend bringen. In der Gemeinde Teulada (3.800 Einwohner), zu der die Traumlandschaft  bei Capo Malfatano gehört, liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 50 Prozent.  „Doch die Leute hier“, so Maria Paola Morittu, „verstehen nicht, dass die Natur ihr eigentlicher Reichtum ist.“ Über 600 Wohnungen würden in der Gemeinde leer stehen, da sei jeder Neubau eine Verschwendung. Es ginge darum, einen sanften Tourismus zu entwickeln, indem man etwa die Forriadroxius restauriere und  zu Ferienwohnungen umbaue. Dann würden auch die Gewinne auf der Insel bleiben und nicht wie bei dem Konsortium aufs italienische Festland fließen.

Ausbeutung der Natur

Der Bürgermeister von Teulada, Gianni Albai, glaubt jedoch, dass seine Gemeinde keine andere Wahl hat, um Arbeit und ein bisschen Wohlstand auch in diesen Landstrich zu bringen. Viele Einwohner von Teulada halten Ovidio für einen alten Querkopf, der ihre Zukunft bedrohe. Mit Vertretern von Italia Nostra gab es auch schon mal handgreifliche Auseinandersetzungen. Die Menschen würden von einem Rimini an der Costa del Sud träumen, sagt der Schriftsteller Giorgio Todde aus Cagliari, der mit Italia Nostra zusammen arbeitet, jedoch Verständnis für Träume zeigt. Dieses Projekt sei allerdings nur eines von vielen auf Sardinien, bei denen Festlandsgelder investiert werden, welche die Schönheit der Natur ausbeuteten, ohne sich um lokale Begebenheiten zu kümmern. Und wenn jemand nach Rimini wolle, würde er in den Originalort fahren und nicht an eine Kopie in einem abgelegenen Landstrich Sardiniens.

In Ovidios Kate knistert das Kaminfeuer. Ein Spieß mit einem abgezogenen Spanferkel steht  bereit. Das will seine Nichte Consolata,  die bei ihm ab und zu nach dem Rechten sieht, heute noch über den offenen Flammen braten. Consolata zeigt Solidaritätsbriefe, die aus anderen Teilen Sardiniens  aber auch aus Italien kommen. „Ovidio, halte durch“, steht da etwa zu lesen.  Der Alte sitzt derweil auf einem Schemel vor dem Feuer und reibt sich die von der Gicht knorrigen Hände. Warum, fragt er immer noch brummig, „müssen wir gehen, damit hier Leute vom Festland Platz bekommen?“

veröffentlicht  in Süddeutsche Zeitung (Panorama) 20.10.2011