CASANOVA AUCH ICH


Ein neues Casanova-Museum in Venedig setzt ganz auf virtuelle Realität. Der Besucher soll sich selbst als Abenteurer und Freigeist im 18. Jahrhundert erfahren. Und als Libertin.

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Bildnis von Giacomo Casanova (1725 – 1798) – das Museum zeigt eine Kopie (Ausschnitt) nach einem Gemälde von Anton Raphael Mengs

Venedig – Wer und was war Casanova – Schürzenjäger oder Freigeist? Ein frecher Hochstapler oder ein belesener Intellektueller, ein abgekochter Spion oder doch ein sprachgewandter Diplomat? In vielen Rollen taucht dieser Giacomo Girolamo Casanova auf, der 1725 in Venedig als Sohn einer Schauspielerin und eines Schauspielers geboren wurde. Und 1798 im Alter von 73 Jahren auf Schloss Dux in Böhmen starb. In Venedig eröffnete jetzt ein Casanova-Museum, das sich vorgenommen hat, seiner ganzen Persönlichkeit gerecht zu werden.

Liebhaber, Philosoph, Politiker – Das waren Rollen und Identitäten, in denen Casanova sich selbst inszeniert hatte, denn alles, was wir über ihn wissen, wissen wir fast ausschließlich aus seinen autobiographischen Schriften, allen voran den in französischer Sprache abgefassten Memoiren Histoire de ma vie. Im kollektiven Gedächtnis ist jedoch vor allem das Bild Casanovas als Frauenheld und Abenteurer verankert. Kreuz und quer musste er durch Europa hasten. Spektakulär gelang ihm die Flucht aus den Bleikammern, den berüchtigten Gefängnisanlagen von Venedig.

Zeit für Außenseiter

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderte neigte sich eine Epoche dem Ende zu. Risse im sozialen und politischen Gefüge der Gesellschaften Europas ließen bereits kommende Umbrüche erahnen, während Angehörige der Schichten, die es sich leisten können, sich auf Kostümfesten amüsieren. Es war die Zeit auch von Außenseiterfiguren wie Giacomo Casanova. Der Doktor beider Rechte, also des weltlichen und des kanonischen Rechts, brach eine Laufbahn als Priester ab und legte sich den Phantasienamen Chevalier de Seingalt zu. Wie er es bei seinen Eltern gelernt hatte, wusste er in Kleidung, Sprache und Auftreten die verschiedensten Rollen einzunehmen.

„Casanova war ein exzellenter Benutzer der Zeichensysteme,“ sagt Marita Liebermann, Autorin einer grundlegenden Studie über Casanova.  „Er war das Kind einer Zeit, die ganz elaborierte Systeme hatte zu kommunizieren. Dass er mit Zeichen nach Belieben umgehen konnte, dass er da so virtuos war, macht denn auch seinen Erfolg aus.“ Die Literaturwissenschaftlerin Marita Liebermann lebt als Leiterin des Deutschen Studienzentrums Venedig in der Lagunenstadt. Casanova sah sich vor allem in der Rolle des philosophe, also des Aufklärers, des Denkers. „Heute würde man sagen: des Intellektuellen.“ Er zitiert, wo er nur kann Horaz, Livius, Cicero. Aber auch zeitgenössische Philosophen wie Voltaire oder Rousseau. Seine Lebensgeschichte „ist durchsetzt mit einer Meta-Ebene, auf der er über das Leben, die Politik, alle möglichen Dinge nachdenkt.“ Kurz: er ist ein Freigeist, der sich mit Literaturgeschichte wie mit sozialen Verhältnissen beschäftigt. Aber natürlich spielen auch seine erotischen Abenteuer eine „selbstinszenierte Rolle“. Rund ein Drittel des Textes seiner Lebenserinnerungen ist diesem Aspekt gewidmet. Marita Liebermann hat genau nachgerechnet.

Ein Museum für alle

Zur Stadt  Venedig gehört jetzt auch das neues Museum, das dem virtuosen Zeitgenossen Casanova auf die Spur kommen möchte. Es ist in sechs Räumen auf der Bel étage eines gotischen Palazzo im Cannaregio-Viertel eingerichtet. Der Unternehmer Carlo Luigi Parodi, der unter anderem in London ein Beratungsunternehmen führt, hat das Museum konzipiert und finanziert. Das Museum sei, so Parodi, für alle da: „Es ist für Familien, für Besucher jeder Altersgruppe gedacht.“ Ziel sei es, mit dem Casanova Museum eine Persönlichkeit in Szene zu setzen, „über die viel zu wenig bekannt ist.“

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In Gedanken versunken – an politische Fragen oder das nächste erotische Abenteuer? Casanova im Video

Ein Museum also, in dem zeitgenössische Erinnerungsstücke nur eine untergeordnete Rolle spielen. Bereits der offizielle Titel Casanova Museo Experience lässt erahnen, was auf den Besucher zukommt: Videoprojektionen, digitale Animationen und schließlich das Eintauchen in die Welt der virtuellen Realität mit Hilfe einer VR-Brille. Mit subjektiver Kamera gedreht, sieht man Vorgänge des damaligen Venedigs. Man nimmt an Festveranstaltungen teil, trifft junge Damen auf der Piazza, muss sich aber auch in die piombi, die Bleikammern des Gefängnisses der Repubblica Serenissima einkerkern lassen.

Parodi ist überzeugt, dass Casanova eine Persönlichkeit sei, „die erzählt werden will, die man erleben muss.“ Er und seine Mitarbeiter setzen dabei die technologischen Mittel ein, „die uns heute zur Verfügung stehen, um dem Besucher die Möglichkeit zu geben, die Persönlichkeit in ihrer ganzen Tiefe kennen zu lernen, selbst Casanova zu werden.“

Touristen als Zielgruppe

Doch vertieft werden diese virtuellen Erlebnisse nicht. Das Museum spricht zwar die verschiedenen Rollen Casanovas an, erzählt mit Projektionen von seinen Fluchtbewegungen kreuz und quer durch Europa, aber liefert im Grunde nicht mehr Informationen als eine illustrierte Wikipedia-Seite. Eine Audioführer in zehn Sprachen deutet auf die Zielgruppe hin: die vielen Touristen, die Venedig heimsuchen. Parodi, der auch eine Casanova-Stiftung gegründet hat, möchte im kommenden Jahr ein ähnliches Museum ebenso in Prag einrichten. Geplant ist zudem eine Wanderausstellung, die den virtuellen Casanova zwischen Sankt Petersburg und Paris, Wien und Dresden an die Aufenthaltsorte seines unsteten Lebens führen soll.

Züchtiges Liebesspiel

„Ach die Frauen, Kreuz und Wonne jedes Mannes“ – so wird Casanova aus seinen Erinnerungen zitiert, während im Museum auf einer Glaswand, hinter der ein originales Schlafgemach des 18. Jahrhunderts zu sehen ist, Schattenfiguren ein züchtiges Liebesspiel andeuten. Natürlich klammert die Präsentation den Frauenhelden nicht aus. Diese von Casanova durchaus selbst inszenierte Rolle wird allerdings genauso wenig in der damaligen Zeit vertieft, wie die des selbsternannten Philosophen oder politischen Denkers.

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Schattenspiele vor historischem Alkoven im Casanova Museum

Wie aber heute anlässlich von Me-Too-Debatten mit dieser Rolle des Libertiners umgehen? In der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts war Frauenfeindlichkeit noch weit verbreitet. Casanova hatte sich in seine erotischen Abenteuer nie von Machtpositionen aus, sondern eher von der des begehrenswerten Außenseiters gestürzt. Marita Liebermann meint, dass es sehr leicht sei „ihn abzulehnen, wenn man von heutigen Maßstäben ausgeht.“ Aber man würde ihm ihm damit nicht gerecht wird. Er selbst würde sich auch als jemand sehen, der für die Rechte der Frauen eintritt.

Auch wenn das neue Casanova-Museum von Venedig bei allen Themen wenig in die Tiefe geht, könnte es doch den einen oder anderen Besucher anregen, sich ausführlicher mit diesem genusssüchtigen Freigeist zu beschäftigen. Zum Beispiel seine durchaus unterhaltsamen Lebenserinnerungen lesen.

Der Besuch des Museums wird in Gruppen von 20/25 Personen organisiert, der Rundgang dauert rund 45 Minuten, Eintritt 13 Euro.  Info in italienischer und englischer Sprache hier

Siehe auch den Beitrag im Deutschlandfunk (Kultur heute) vom 2.4. : hier  

Eine Artikel zum Thema in der NZZ vom 5.4.: hier

Eine Selbstdarstellung des Projektes durch den Gründer Carlo Luigi Parodi auf youtube 

Über Marita Liebermann und das Deutsche Studienzentrum Venedig siehe auf Cluverius