„EIN EXTREM SPANNENDER ORT“


Das Kunsthistorische Institut in Florenz versteht sich 120 Jahre nach seiner Gründung als ein Labor für global vernetzte Wissenschaft. Zugleich führt der digitale Umbruch in Photothek und Bibliothek zu einer überraschenden Neubewertung analoger Medien.

copyright Photothek, KHI Florenz

Mehr als ein Abbild – Giorgio Sommer, Ansicht des Florentiner Doms um 1870

Florenz – Welche Aufgaben hat eine moderne Kunstgeschichte? Der Kunsthistoriker Gerhard Wolf sieht sein Fach „in der Verantwortung von großen Fragen“. Dazu gehören: Das kulturelle Erbe, das kollektive Gedächtnis, die visuelle und die materielle Kultur im weitesten Sinne. Der Wissenschaftler leitet zusammen mit Alessandro Nova das Kunsthistorische Institut in Florenz (KHI), das seit 2002 zur Familie der Max-Planck-Gesellschaft gehört. Das Institut, eine der ältesten kunsthistorischen Forschungseinrichtungen weltweit, feiert jetzt am 12. Dezember sein 120jähriges Bestehen.

Als in Deutschland in dem noch jungen Fach Kunstgeschichte über einen Ort diskutiert wurde, wo Grundlagenforschung betrieben werden konnte, bot sich Italien als Wiege der Renaissance, bot sich Florenz mit seinen Kirchen und Museen, Plätzen und Palazzi und mit der die Stadt umgebenen Kulturlandschaft geradezu an. Eine erste Anregung war bereits Anfang der 1890er Jahre vom internationalen Kunsthistorikerkongress in Nürnberg ausgegangen. Als sich gerade entwickelnde Disziplin wollte man sich mit dem Standort Florenz auch von den Archäologen emanzipieren, die bereits in Rom mit staatlicher Hilfe aus Deutschland ein Institut betrieben. Eine Privatinitiative von Gelehrten wie August Schmarsow oder Aby Warburg führte dann im Spätherbst 1897 zur Gründung in Florenz.. Das war also eine „bürgerlich-liberale Einrichtung“, so Gerhard Wolf. Der Stadtgeschichte von Florenz gemäß und nicht „durch Mäzenatentum gegründet“ wie wenig später die Bibliotheca Hertziana 1913 in Rom.

Das Florentiner Institut wurde über viele Jahrzehnte vom deutschen Regierungen unterstützt und hielt sich durch zusätzliche private Spenden am Leben. Im Jahr 1970 wurde es dann als unselbständige Bundesanstalt vom Ministerium für Bildung und Wissenschaft übernommen. Und kam 2002 schließlich unter das Dach der Max-Planck-Gesellschaft, wo bereits die Hertziana zuhause war.

Ein neoklassizistischer Palazzo

Das KHI ist in einem neoklassizistischen Palazzo mit einer schönen Gartenanlage an der Via Giusti im Viertel hinter der Piazza Annunziata untergebracht. Zum Institut gehört seit 2004 die Casa Zuccari, das ehemalige Florentiner Wohnhaus des manieristischen Malers Federico Zuccari (1539-1609), in dem Ausstellungen und Veranstaltungen stattfinden. Das Jahresbudget schwankt zwischen sieben und acht Millionen Euro, die Drittmittel für spezielle Forschungsauftrage durch private Stiftungen (wie etwa die Getty-Foundation) nicht mitgerechnet. Eine Ausstattung, die „gut ist aber nicht exzellent“, so Wolf.

Der Anfang vor 120 Jahren war mehr als bescheiden: Ein großer Raum in der Privatwohnung des Kunsthistorikers Heinrich Brockhaus mit zwei Tischen und 200 Büchern. In einem Schrank war eine erste Fotosammlung mit rund 2500 Abzügen unterbracht. Heute besitzt das Institut 360.000 Bände – jährlich kommen rund 7000 dazu – und in der Photothek lagern etwa 615.000 Abzüge und Drucke von Fotografien abrufbereit. Ziel war es damals, Gelehrten und Studierenden eine „möglichst vollständige“ kunstwissenschaftliche Bibliothek und eine Sammlung von Abbildungen in „passenden Arbeitsräumen“, wie es in einem Aufruf Anfang der 1890er Jahre hieß, unter einem „allseitig gebildeten Kunstgelehrten“ als Leiter zur Verfügung zu stellen.

copyright: KHI Florenz / Micaela Mau

Eingang zum Institutsgebäude in der Via Giusti

Heute werden nicht nur Arbeitsmaterialen bei idealen Studienbedingungen geboten, sondern ist längst eigene Forschungsarbeit hinzu gekommen. Gab es ursprünglich noch eine Arbeitsteilung zwischen Hertziana (Studien über Rom und Süditalien) und KHI (Florenz, Mittel- und Norditalien), „machen heute alle alles“, sagt Gerhard Wolf.

Globale Neubestimmung des Fachs

Das Institut ist dem 65jährigen ein Labor, Kunstgeschichte auf neue Wege zu führen. In Berlin (FU, Humboldt Universität, Staatliche Museen) ist das vom KHI initiierte Forschungsprogramm „Art Histories and Aesthetic Practices. Kunstgeschichte und Ästhetische Praktiken” angesiedelt. Es zielt darauf, kunsthistorische Forschung jenseits der traditionellen Grenzziehungen auf einen weltweiten Horizont zu öffnen. Durch die Einrichtung von mehreren Jahresstipendien für Postdoktoranden, Workshops und Travelling Seminars soll ein internationales Netzwerk etabliert werden, das an der globalen Neubestimmung kunsthistorischer Fragestellungen mitwirkt.

Italien sei „als Scharnier zwischen dem Mittelmeerraum und Europa ein extrem spannender Ort“ ist. Ein großes Thema sind Sakraltopographien, interreligiöse Räume rund ums Mittelmeer zwischen Christentum, Judentum und Islam von der Spätantike bis zur Neuzeit. Ein weiteres ist Ökologie und Ästhetik in der von Menschen gestalteten Landschaft. Auch spielen Fragen der „post-katastrophischen Stadt und Landschaft“, die sich nach Erdbeben oder Kriegen stellen, eine Rolle. Gerade werden in einem Projekt auch mexikanische Partner hinzugezogen. Das seien alles Themen, so Wolf, „wo ich mein Fach neu anfangen sehe.“

Die Edition Giorgio Vasari

Zugleich glänzt das Institut ganz traditionell mit einer kunsthistorischen Jahrhundertleistung: Die „Edition Giorgio Vasari“, eine Neuübersetzung und Kommentierung von Vasaris „Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten“ (1550/1568), die der andere Direktor Alessandro Nova herausgegeben hat. Sie ist im Berliner Verlag Wagenbach erschienen (als Print abgeschlossen 2015, letzte Nachträge kommen jetzt als E-Book heraus).

Nun wäre die Arbeit des Instituts mit seinen rund 60 festen wissenschaftlichen Mitarbeitern und weiteren 40 Angestellten undenkbar ohne die beiden Säulen Bibliothek und Photothek. Dass Kunstgeschichte in ihren Anfängen auf Zeichnungen und Stiche als Arbeitsmittel angewiesen war, belegt eine aktuelle Online-Ausstellung des Instituts über Johann Anton Ramboux (1790-1866) aus Trier, der auf mehreren Reisen durch Italien systematisch Gemälde und Fresken kopierte. Dann verdrängte die vermeintlich objektive Fotografie die künstlerischen Kopien. Eigene Fotokampagnen bereichern seit 120 Jahren die Bestände. Zuletzt etwa von Elfenbeintafeln des 11./12. Jahrhunderts im Diözesanmuseum von Salerno oder von romanische Kapitellen in Kreuzgängen des Mittelmeerraums (Projekt Cenobium).

Die Fotografie als eine Art Ökosystem

Auch hier geht längst nicht mehr um „nur“ Bereitstellung von Arbeitsgrundlagen. Fotografien sind wie Bücher selbst Gegenstand von Forschung geworden. Costanza Caraffa, die seit elf Jahren die Photothek des KHI leitet, ist nicht nur dabei, eine eigene Fachbibliothek über die Rolle von Fotografie und andere Medien in der Wissenschaft der Kunstgeschichte aufzubauen. Ihr geht es grundsätzlich um das materielle Objekt der Fotografie, das im Abzug oder digitalen Print mehr ist als das Abbild eines Artefakts. Sie bereitet gerade für die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin die Ausstellung „Unboxing Photographs. Arbeiten im Fotoarchiv“ (16. Februar – 27. Mai 2018) vor. Die will die materielle Vielfalt von Fotografien als dreidimensionale Objekte vom Glasplattennegativ über den Kleinbildfilm bis zum Abzug auf Albumin- oder Silbergelatinepapier zeigen. Fotos als Objekte und nicht nur als Bilder ernst zu nehmen, erlaube es, ihre vielfältigen Geschichten zu erzählen.

copyright KHI Florenz

KHI-Fotokampagne 2005: Fresken der Casa Zuccari

Die Fotografie sei, so Costanza Caraffa, ein „vielfältiges Ökosystem, in dem das digitale Foto als neue Spezies hinzugekommen ist.“ Im Deutschen Kunstverlag hat die Wissenschaftlerin das Buch „Fotografie als Instrument und Medium der Kunstgeschichte“ herausgegeben. In einer „Florence Declaration“ macht sie sich für den Erhalt analoger Fotoarchive stark. Nur die Integration analoger und digitaler Formate, heißt es darin, könne einen angemessenen Erhalt des fotografischen Erbes auch für die zukünftige Forschung garantieren und gleichzeitig das Potential digitaler Werkzeuge kreativ ausschöpfen.

Im Verbund mit Paris, Rom und München

Die Digitalisierung sorgt für gewaltige Umbrüche. Das gilt auch für das Katalogwesen zum Beispiel im „Kubikat-Verbund“ mit Paris (Deutsches Forum für Kunstgeschichte), Rom (Bibliotheca Hertziana) und München (Zentralinstitut für Kunstgeschichte). Digital werden heute vor allem Zeitschriften verbreitet und genutzt. Die Bibliothek des KHI ist dabei, den historischen Altbestand (8000 Titel) elektronisch zur Verfügung zu stellen. Doch spielt bei Wissenschaftlern, so der Leiter der Bibliothek Jan Simane, weiterhin das gedruckte Buch die Hauptrolle und sei im Leseverhalten dem E-Book überlegen. Das macht ein Rundgang durch die Präsenzbibliothek deutlich, in der die Bücher nach Sach- und Themengebieten aufgestellt sind. So wächst der Bedarf an Platz unaufhörlich.

Die Photothek ist derweil provisorisch in einem historischen Palazzo in der Via dei Servi untergebracht. Um ihr einen festen Platz zu geben und die Erweiterung der Bibliothek zu sichern, konnte gerade in der nahe gelegenen Via Modena ein Gebäude erworben werden, in dem nach Umbauarbeiten wohl ab dem Jahr 2021 ebenso Räume für Seminare und Tagungen eingerichtet werden. Das Kunsthistorische Institut in Florenz kann also nicht nur auf 120 Jahre erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit zurückblicken, sondern ist aktiv mit der (eigenen) Zukunft beschäftigt.

Jedes Jahr 7000 Bände mehr - Bibliothek des KHI

Jedes Jahr 7000 Bände mehr – Bibliothek des KHI

In kürzerer Form ist der Beitrag auch in der Stuttgarter Zeitung  vom 15.12.2017 erschienen.

Info 120 Jahre KHI: www.khi.fi.it

Hier zur Online-Ausstellung Ramboux

Projekt „Art Histories and Aesthetic Practices. Kunstgeschichte und Ästhetische Praktiken”:
www.art-histories.de

„Florence Declaration“:  www.khi.fi.it/de/Declaration

Kubikatwww.khi.fi.it/

 

Costanza Caraffa (Hrsg.): Fotografie als Instrument und Medium der Kunstgeschichte. Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2009. 163 S., 24,90 Euro.
Siehe auch auf Cluverius: „Digitaler Schatten