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60 Jahre deutsche Kulturarbeit in Mailand. Ein Auszug aus den Erinnerungen von Johannes Hösle, dem ersten Leiter des Goethe Instituts der Stadt

Zur Untermiete – die Deutsche Bibliothek und die ersten Jahre des Goethe Instituts im dritten Stock der Deutschen Schule Mailand

Mailand – Im Herbst 1958 wurde in Mailand ein deutsches Kulturinstitut unter der Federführung des Auswärtigen Amtes gegründet – die Deutsche Bibliothek. Als erster entsandter Leiter kam ein paar Monate später später der Schriftsteller und Übersetzer Eckart Peterich in die aufstrebende Wirtschafts- und Finanzmetropole Italiens, der sich den hier lebenden jungen Literaturwissenschaftler Johannes Hösle zum Stellvertreter wählte. Als Peterich Ende 1960 nach München berufen wurde, um die Kulturarbeit aller deutscher Kulturinstitute im Ausland unter dem Dach des Goethe Instituts e. V. zu koordinieren, folgte ihm Hösle in der Leitung des Institutes nach, das dann 1962 zum Goethe Institut Mailand umgeformt wurde.

Johannes Hösle war mit einer Mailänderin verheiratet. Die Kinder Vittorio und Clara kamen hier zur Welt. 1965 zog er mit seiner Familien nach Tübingen, um sich an der Universität zu habilitieren. Und wurde bald darauf als Ordinarius für Romanische Literaturwissenschaft an die Universität Regensburg berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung lehrte. Johannes Hösle starb vor wenigen Wochen am 29. Dezember 2017 im Alter von 88 Jahren in Regensburg.

Ein kulturelles Feuerwerk

Die ersten Jahre der Deutschen Bibliothek und des Goethe Institut Mailand unter der Leitung von zuerst Peterich und dann Hösle waren von einem reichen Kulturprogramm geprägt, wie man es sich heute wieder wünschen würde. Im Institut traten italienische Intellektuelle wie der Lyriker Franco Fortini, die Germanisten Cesare Cases und Giorgio Dolfini, der Komponist Luigi Nono oder die Thomas-Mann-Übersetzerin Lavinia Mazzucchetti auf. Aus Paris kamen Paul Celan oder Annette Kolb. Von Ascona aus besuchte Walter Mehring das Institut. Aus Deutschland reisten neben anderen an: Inge Aichinger oder Alfred Andersch, Hans Magnus Enzensberger oder Martin Walser, Günter Grass oder Uwe Johnson, Walter Höllerer oder Hermann Kesten, Hans Erich Nossack oder Christoph Meckel. Man diskutierte mit Verlagsvertretern von Feltrinelli, Mondadori oder dem 1962 gegründeten Adelphi Editore. Kabarettisten wie Hanns-Dieter Hüsch oder Werner Finck spielten ihr Programm…

Wie es aber vor diesem kulturellen Feuerwerk überhaupt zur Gründung kam, erzählt Johannes Hösle in einem Kapitel seiner Erinnerung „Die Mailänder Jahre“, aus dem Cluverius zum ersten Mal auf Deutsch aus dem Manuskript Auszüge veröffentlicht.

Johannes Hösle: Die Mailänder Jahre (Auszug)

»Ende der fünfziger Jahre wurde in Mailand mit dem allmählichen Aufbau des zunächst unter dem Namen Deutsche Bibliothek geführten Kulturinstitutes der Bundesrepublik begonnen. Ein Studienrat der Deutschen Schule, Eckart Plinke, wurde damit beauftragt und im Gegenzug von einem Teil seiner Unterrichtstätigkeit freigestellt. Internationes übernahm es, einen zunächst zwar kleinen, aber schnell und ständig anwachsenden Bestand an vorzüglich ausgewählten Büchern auszuliefern. Sie wurden von einer Hilfskraft zügig katalogisiert und dann schon bald als Präsenzbibliothek der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die unbürokratische und wenig zeitraubende Konsultation des Vorhandenen verschaffte den Benützern die Möglichkeit, an Texte zu gelangen, deren Erwerb an den verschiedenen germanistischen Instituten der drei Mailänder Universitäten wegen der eingeschränkten Haushaltsmitteln kaum möglich war (…).

Nach den noch etwas tastenden Präludien zu dem künftigen Kulturinstitut wurde dann Eckart Peterich als erster Leiter der Deutschen Bibliothek ernannt und im Herbst 1959 feierlich in sein Amt eingeführt. Der Generalkonsul lud zu einem Empfang in den Räumlichkeiten des Instituts. Es war im dritten Stock der erst wenige Jahre zuvor in einen Neubau in der via Legnano 24 umgezogenen Deutschen Schule untergebracht (…).

Zwischen mehreren europäischen Sprachen

Schon bei dem ersten offiziellen Auftritt Peterichs wurde das in seiner künftigen Funktion von ihm Erstrebte klar und deutlich. Von allem Anfang an wollte er sich unmißverständlich von der Kulturpropaganda der Achse Rom-Berlin unseligen Angedenkens absetzen. Die Veranstaltung trug, wie ich in den folgenden Monaten erkannte, seine unverwechselbare Handschrift. Peterichs unübersehbares Selbstwertgefühl hatte nichts Aufdringliches. Aber die überlegende Sicherheit seines Auftretens verkrafteten nicht alle. Die Nonchalance, mit der er sich zwischen mehreren europäischen Sprachen bewegte, empfanden einige einflußreiche Vertreter der deutschen Kolonie als eine beschämende Zumutung, hatten sie doch oft auch nach jahrzehntelangem Aufenthalt in Mailand ihren harten deutschen Akzent immer noch nicht eingebüßt und ihr oft rudimentäres Italienisch kaum wesentlich verbessert.

Übersetzer und Brückenbauer

Die zu seiner Inthronisierten Geladenen sollten, das war Peterichs Absicht, ein für allemal und gleich zu Beginn seiner Tätigkeit erfahren, wer sich fortan in Mailand um deutsch-italienische Kulturarbeit kümmerte. Ein bißchen Eitelkeit mag mit im Spiel gewesen sein, als der im Mittelpunkt der Abendveranstaltung Stehende nach den verschiedenen bei diesem feierlichen Anlaß gehaltenen Reden Jenseitsgedichte in fünf europäischen Sprachen und in jeweils auch deutschen Übersetzungen vorlas. Er wollte damit zeigen, wie viel ihm neben den Kontakten zum Gastland auch an denen zu den anderen in Mailand vertretenen europäischen Kulturinstitutionen und Auslandsvertretungen lag und wie sehr er sich mit seiner Tätigkeit als Übersetzer auch als Brückenbauer verstand. Wenn er gerade den Themenkreis Jenseitsgedichte gewählt hatte, so wollte es der sich ausdrücklich zum Katholizismus bekennende Literat auch als Huldigung an den für den Bayerischen Rundfunk von ihm übertragenen Dante, den größten Dichter des Gastlandes verstanden wissen (…).

Ein Gespräch in der Via Legnano

Nach einer von mir besuchten Veranstaltung an der Deutschen Bibliothek trat Peterich eines Abends auf mich zu und erkundigte sich, ob ich Zeit hätte, in den nächsten Tagen einmal bei ihm in der Via Legnano vorbeizuschauen. „Aus gegebenem Anlaß“, ergänzte er, nicht ohne sich mit ironischem Lächeln von dem für ihn so untypischen Bürokratendeutsch zu distanzieren (…). Unsere zahlreichen Begegnungen, erklärte er, hätten ihm inzwischen hinreichend Gelegenheit gegeben, sich ein Bild von mir zu machen. Heute wolle er mich daher kurz und bündig fragen, ob ich vielleicht Lust hätte, im kommenden Jahr als sein Stellvertreter zu fungieren. Vor kurzem sei ihm nämlich zusätzlich zu der Leitung der Mailänder Deutschen Bibliothek auch die der römischen angeboten und ihm auch dort bereits ein Stellvertreter zugesichert worden. Von einem Mann seines Vertrauens. Die Deutsche Bibliothek unterstehe nämlich, wie ich wohl wisse, der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes. Deren eben erst ernannter Leiter, Dieter Sattler, sei ein alter Freund von ihm und habe ihn als Direktor einer noch zu schaffenden Programmabteilung in der Münchner Zentrale des Goethe-Institutes vorgesehen. Sobald der bürokratische Instanzenweg durchlaufen sei, würden dann seine Stellvertreter in Rom und Mailand die Leitung der dortigen Institute übernehmen.

Viele schreckliche Erinnerungen

Mit dem Auswärtigen Amt und seiner Kulturabteilung verknüpfte ich lediglich verschwommene Vorstellungen. Auch die Namen der von Peterich neben Dieter Sattler genannten Personen waren mir unbekannt. Dies konnte ihm kaum verborgen bleiben. Er machte kein Aufhebens davon, erklärte vielmehr, das Entscheidende bei den an deutschen Kulturinstituten in Italien zu organisierenden Veranstaltungen sei neben einem klaren Konzept ein behutsames Vorgehen. Schließlich seinen noch keine zwanzig Jahre seit der italienischen Kapitulation am 8. September 1943 vergangen. Die darauffolgende Besetzung Mailands und Norditalien durch die Deutschen habe viele schrecklichen Erinnerungen hinterlassen. Dessen müsse man sich bewußt bleiben. Angesichts der Normalisierung der internationalen Beziehungen und der für den Aufbau deutscher Institute vorhandenen Gelder wäre es jedoch trotz allem kaum zu verantworten, jetzt nicht wenigstens einen Anfang zu machen, selbstverständlich in steter und enger Zusammenarbeit mit den örtlichen kulturellen Institutionen, mit Verlagen und Universitäten (…).

Peterich hatte in den frühen fünfziger Jahren als Journalist in der französischen Hauptstadt gearbeitet und seine dort gewonnenen Eindrücke in zahlreichen Artikeln und dann auch in dem 1954 erschienenen Buch „Pariser Spaziergänge“ veröffentlicht. Zu seinen bleibenden Eindrücken gehörten dabei die aus nächster Nähe des Kunsthistorikers Wilhelm Hausenstein beobachtete Tätigkeit. Dieser war von Adenauer 1950 im Rang eines Generalkonsuls auf die nach den Jahren des Krieges besonders schwierige Pariser Auslandsvertretung entsandt und mit deren Aufbau betraut worden. Hausenstein als ein keineswegs mit allen Wassern gewaschener Diplomat im herkömmlichen Sinn, sondern als ein geschäftigem Treiben entrückter, vielseitig interessierter humanistischer Schöngeist und homme de lettres entsprach in vielem Peterichs Idealbild eines für die Kulturarbeit seines Landes zuständigen Deutschen.

Im Zug nach Brixen

Es war Anfang Juli, als ich bei großer Hitze mit Peterich im Zug saß. Er hatte mich telephonisch von einem für uns beiden wichtigen kurzfristig vereinbarten Termin informiert. Unser Reiseziel war Brixen. Dort absolvierte sein Freund Dieter Sattler derzeit eine mehrwöchige Kur. Immerhin erspare uns das die wesentlich weitere Fahrt nach Bonn und gebe uns gleichzeitig die Möglichkeit zu ausführlichen Gesprächen. Bei dem für meine Anstellung bei der Deutschen Bibliothek zuständigen Sattler, erklärte mir Peterich, handele es sich um einen Menschen, der die den Freuden des Lebens zugewandte liberalitas bavarica geradezu idealtypisch verkörpere, in seinen Ansichten wie auch in seiner äußeren Erscheinung. Als bayerischer Staatssekretär für die Schönen Künste in München und anschließend als Kulturreferent an der Deutschen Botschaft in Rom habe er seine Kompetenz zu kulturellen Dingen vertieft und schon wegen der Beziehungen seines Großvaters, des Bildhauers Adolf von Hildebrand, zu Italien sei er besonders geeignet, gerade in dem ihm ganz besonders am Herzen liegenden Land gute Arbeit in stetem Kontakt mit den Auslandsvertretungen und örtlichen Institutionen zu fördern.

Eine abgebrochene Unterhaltung

Im Zug zwischen Verona und Bozen unterbrach unerwartet ein hinter einer aufgeschlagenen Zeitung versteckter Fahrgast unser auf deutsch geführtes Gespräch. Er gab sich als ein neuer Vizekonsul des Mailänder Generalkonsulats zu erkennen. Wo er während des Krieges gewesen sei, wollte Peterich wissen. „In der Schweiz“. Da habe er ja Glück gehabt. Ja, aber man sei dort ständig dem Druck der feindlichen Nachrichten ausgesetzt gewesen. Er verstehe nicht so richtig, wunderte sich Peterich. Ob er die Nazimeldungen damit meine? Nein, er rede von denen der mit Deutschland im Krieg befindlichen Länder. Das reichte Peterich. Er brach die Unterhaltung abrupt ab. Ob ich vielleicht Lust hätte, im Speisewagen ein Bier mit ihm zu trinken, fragte er mich. Um diesen schrecklichen Diplomaten hinunterzuspülen, ergänzte er, sobald wir auf dem Gang und außer Hörweite waren. Der Mann in unserem Abteil sei ja, wie er erzählt habe, auf dem Weg nach Meran. Es empfehle sich also, meinte mein Begleiter, als wir im Speisewagen Platz genommen hatten, bis Bozen sitzen zu bleiben und schon bald noch ein weiteres Bier zu bestellen, um ihn damit vollends zu ertränken.

Wir hätten es bei Sattler tatsächlich mit keiner zusammengekniffenen Büroklammer zu tun, sondern mit einem aufgeschlossenen und urbanen Menschen, hatte mir Peterich erklärt. Diese Charakterisierung bestätigte sich, als wir am Abend in Brixen auf der Terrasse des Hotel Elefants zusammensaßen und mir Sattler, ohne mich zuvor eigens ins Gebet genommen zu haben, schon nach kurzem alles Gute zu meiner Tätigkeit als Stellvertreter Peterichs wünschte.«

Auszug aus dem 5. Kapitel („Berufung, Vaterschaft, Erkrankung“) der Erinnerungen von Johannes Hösle „Die Mailänder Jahre“. Zitiert nach dem Manuskript der deutschen Urfassung mit freundlicher Genehmigung von Vittorio Hösle. Die Zwischentitel wurden von der Red. hinzugefügt. Gedruckt liegt nur die italienische Übersetzung vor: Al bivio. Gli anni milanesi. Con una lettera di Luisa Adorno all’autore e una Presentazione di Vittorio Hösle. Herrenhaus Edizioni, Seregno (MI) 2009. Info: www.herrenhaus.it     

Johannes Hösle (1929-2017)

Die der Mailänder Zeit voran gegangenen Jahre hat Johannes Hösle in den Bänden „Vor aller Zeit“ (2000) sowie „Und was wird jetzt?“ (2002) beschrieben, die im Beck Verlag (München) und dann als Taschenbuch bei dtv (München) erschienen sind – auf Italienisch liegen „Prima di tutti i secoli“ und „E adesso?“ bei Meridiano Zero (2003/2206) vor.

Zum Mailänder Goethe Institut heute unter dem Dach des Goethe Institut Italien siehe hier

Zur Person von Dieter Sattler hier