Briefe aus der Quarantäne (3): Ein Leben ohne Bars und Restaurants
Mailand (12. März) – Donnerstag, der fünfte Tag im Ausnahmezustand. Gerade ist die Müllabfuhr durch unsere Straße gefahren, wer das Schlafzimmer zur Straßenseite hat, benötigt keinen Wecker. In Mailand hört man, wenn der Tag beginnt. Das sonst morgendliche Rumoren der Stadt hat jedoch merklich nachgelassen. Keine fröhlichen Kinderstimmen mehr. Die Schule gegenüber ist schon seit über zwei Wochen geschlossen. Nach den allerneuesten Bestimmungen, die am Abend zuvor erlassen wurden, gelten die Schließungen nun auch für alle Läden – Ausnahme: u.a. Lebensmittel, Tankstellen –, und ebenso für Restaurants und Bars. Kein Frühstückscaffè heute in Gesellschaft, zuhause wird die Mokkakanne aufgesetzt.
Draußen trifft man nur vereinzelt Passanten. Einige tragen eine Atemmaske. Die custodi, die Hausmeister und Hausmeisterinnen, holen die leeren Mülltonnen von der Straße. Bei relativ angenehmer Temperatur bleibt der Himmel heute grau wie die Stimmung. In der Lombardei (rund 10 Millionen Einwohner) sind bis gestern (Mittwoch Abend) über 7200 Personen positiv auf den Coronavirus getestet worden, in der Stadt Mailand (1,4 Millionen Einwohner) sollen 359 Personen betroffen sein. Gestorben an (oder mit) der Infektionskrankheit – über die genauen Zusammenhang herrscht oft Unklarheit – sind bislang in ganz Italien 827 Menschen, davon allein 617 allein in der Lombardei, 20 in Mailand.
An einem Balkon in der Via Lecco hängt ein Laken mit einem etwas unbeholfen gemalten Regenbogen und der Hashtag-Hoffnung „#andràtuttobene“, alles werde gut werden.
Noch aber geht nichts mehr: Absolut alle Veranstaltungen werden abgesagt, darunter die Spiele der Serie A, der ersten Fußballliga. Nur Begegnungen der Champions- oder der Euroleague finden als Geisterspiele vor leeren Rängen statt. Wer weiß, wie lange noch. Der Virus hat auch Spieler infiziert, die Mannschaften von Juve und Inter stehen unter Quarantäne. Weiterhin keine Einschränkungen gibt es für Supermärkte, Bäckereien etc, Apotheken, sowie für Zeitungskioske, Tankstellen, Eisenwarenhandlungen, Optiker. Auch nicht für die „tabacchi“, die Tabakhandlungen. Information muss sein, Nikotinsucht auch.
Gebet vor der Madonnina
Und wie geht man mit dem Tod um? Beerdigungsfeiern sind nicht erlaubt. Die Kirchen sind offen, aber es dürfen keine Messen gelesen werden. Für die Verwandten und Freunde der Verstorbenen ein Drama im Drama. Der Erzbischof stieg am Mittwoch auf das Dach des Domes, um vor der „Madonnina“, der vergoldeten Marienstatue auf dem Kuppeltambour, zu beten. Maria, die Schutzheilige Mailands.
Man wird an die Zeit der Pest in Mailand im frühen 17. Jahrhundert erinnert, die Alessandro Manzoni in seinem berühmten Roman I Promessi Sposi („Die Brautleute“) beschrieben hat. Damals wurde hinter Mauern bei der Porta Venezia ein mehrere Hektar großes Lazarett errichtet. Nachgeblieben ist, wenige Schritte von meiner Wohnung entfernt, die kleine Kirche San Carlo al Lazzaretto, die damals den Kranken Trost spenden sollte und heute die Gläubigen zur Sonntagsmesse empfängt. In Zeiten des Coronavirus ist San Carlo, wie auf einem Aushang zu lesen ist, „bis auf Weiteres geschlossen.“
Wird fortgesetzt