DER ZAUBERLEHRLING


Die Scala nach dem Rücktritt von Riccardo Muti

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Im Zwielicht – die Mailänder Scala ohne musikalischen Leiter

Mailand (4. April 2005) – Jetzt ist der Katzenjammer groß. Der Rücktritt von Riccardo Muti als musikalischer Direktor der Mailänder Scala hat in der Stadt und in ganz Italien Bestürzung ausgelöst. Trotzt des Todes eines Papstes widmete die Tageszeitung „la Repubblica“ am Sonntag sechs ganze Seiten dem Abschied des maestro. Die Scala ist ganz abgesehen von ihrem wirklichen künstlerischen Rang ein Symbol für die gesamte italienische Kultur. Und Muti ist ihr Prophet. So ist auch zu verstehen, dass nicht nur Freunde wie Maurizio Pollini die Umstände seines Rücktritts als „unwürdig“ beklagen.

Die Medien hofieren weiterhin einen Riccardo Muti, der doch in seiner Auseinandersetzung mit dem langjährigen Intendanten Carlo Fontana wie ein Zauberlehrling selbst die Geister gerufen hat, welche die Scala ins Chaos gestürzt haben und die das Haus jetzt nicht mehr los wird: die Politik, die plötzlich in die Oper hinein agieren konnte und mit der Entlassung von Fontana ein jahrelang gewachsenes inneres System von Gleichgewichten zerstörte; die Gewerkschaften, die jetzt Schützengräben ausheben, um verlorene Machtpositionen wieder zu erringen; die Musiker, die den Aufstand proben, weil sie sich von ihrem Dirigenten nicht mehr angeleitet sondern unterdrückt fühlen und ihm den Fenstersturz von Fontana nicht verzeihen.

Zwischen Muti-Gegner und Muti-Freunden

Doch zeigen jetzt auch die Muti-Anhänger an der Scala Flagge: eine Initiative, die den maestro zur Rücknahme seines Rücktritts bewegen will, hat angeblich bereits mehrere Dutzend Unterschriften unter den Orchestermusikern, Chormitgliedern und Bühnenangestellten gesammelt. Auf einer neuen, für heute einberufenen Vollversammlung aller rund 800 Scala-Mitarbeiter könnte es zu einer Schlacht zwischen den Muti-Gegnern und den Muti-Freunden kommen.

Natürlich fragt man sich vor allem, wie es jetzt künstlerisch weitergehen soll. Als erstes muß ganz schnell ein Nachfolger für die Konzertabende nächste Woche gefunden werden, bei der Riccardo Muti mit dem philharmonischen Orchester der Scala Stücke von Schubert und Beethoven aufführen sollte. Und für Verdis „Otello“, der für Muti ab Mitte Mai im Programm stand. Der Verwaltungsrat der Scala wird sicher den Platz eines musikalischen Leiters vorerst nicht wieder besetzen.

Kommt Pereira?

Gesucht wird ein künstlerischer Leiter von Rang, der dann jeweils für die Aufführungen große Dirigenten berufen soll. Für diese Aufgabe zirkulieren Namen vor allem aus dem europäischen Umfeld: Gérard Mortier (zurzeit an der Pariser Nationaloper), Mortiers Vorgänger Hugues Gall oder Alexander Pereira (Oper Zürich). Als Dirigenten für kommende Scala-Inszenierungen werden unter anderen Nikolaus Harnoncourt, Roger Norrington, Riccardo Chailly, Daniel Barenboim oder Daniel Harding genannt. Einem Claudio Abbado, den das Orchester der Scala vor zwanzig Jahren verjagt hatte, würde man heute in Mailand einen dicken roten Teppich auslegen. Aber kaum zu glauben, dass Abbado die Revanche auf dem gegenwärtigen Trümmerfeld akzeptieren könnte.

Völlig offen bleibt auch die Rolle des Neuintendanten Mauro Meli, der vielleicht das nächste Opfer der so provinziell anmutenden Bühnenscharmützel sein könnte. Zumindest werden seine Befugnisse als Intendant gegenüber einem neuen künstlerischen Leiter beschnitten werden. Man hört auch, dass ihm statt der Scala die Leitung des Teatro degli Arcimboldi, der Ausweichbühne der vergangenen Jahre, übertragen werden soll.

Der Mailänder Präfekt Bruno Ferrante versucht weiterhin, zwischen den Bühnengewerkschaften, die den Kopf Melis fordern, und dem Verwaltungsrat, der schlecht einen Kandidaten fallen lassen kann, den er vor vier Wochen inthronisiert hat, zu vermitteln.

Im Arcimboldi fand derweil am Wochenende die Premiere von Händels „Rinaldo“ statt, die viel beklatschte Wiederaufnahme aus Bologna einer Regie von Pier Luigi Pizzi unter der musikalischen Leitung von Ottavio Dantone. Aus dem Publikum kamen Hochrufe: „Viva l’orchestra!“ Wen wird es am 2. Mai hochleben lassen, wenn die Wiener Philharmoniker in der Scala zu Gast sind? Der Dirigent dieses Gastspiels: Riccardo Muti.