EIN PROVOKATEUR DER ARTE POVERA


Jannis Kounellis ist im Alter von 80 Jahren in Rom gestorben. Er nannte sich einen „Maler, der aus dem Bild ausbrechen und mit dem Publikum ins Gespräch kommen wollte.“

Jannis Kounellis (1936-2017) vor einer Arbeit für ein Mailänder Krankenhaus

Jannis Kounellis (1936-2017) vor einer Arbeit für ein Mailänder Krankenhaus

Rom – Jannis Kounellis wurde 1936 in Piräus geboren. Mit zwanzig Jahren verließ er Griechenland und ging nach Italien, wo er in Rom und Umbrien seinen Lebensmittelpunkt fand. Nach dem Studium an der römischen Kunstakademie brach er in ersten Ausstellungen mit der Traditionen der klassischen Moderne und verabschiedete sich vom Leinwandbild. Kunst, so glaubte er, könne nur noch in der „Theaterhaftigkeit des Raumes“ zu sich selbst kommen. Zusammen mit anderen Künstlern nutzte er Alltagsmaterialen aller Art, grobe Stoffe, Holz, Eisen oder Kohle, die er in Installationen wie für ein „Theater der Armen“ arrangierte und bearbeitete. Der Kritiker Germano Celant schuf für diese heterogene Gruppe von Einzelpersönlichkeiten unterschiedlicher Herkunft und jeweils eigener Poetik, zu der Alighiero Boetti, Luciano Fabro, Giulio Paolini oder eben Jannis Kounellis gehörten, den Oberbegriff „Arte Povera“. Installationen von Kounellis, die im wahrsten Sinne des Wortes mit ihrem Einsatz wuchtiger Materialen den Begriff „Arbeit“ deutlich machten, waren auf der Kassler documenta (1972 und 1982) wie auch mehrfach auf der Biennale von Venedig zu sehen.

Kunst ist sichtbare Sprache

Provokativ suchte der Italo-Grieche immer wieder den Dialog mit der Öffentlichkeit. 1969 zeigt er lebendige Pferde in einem Galerieraum und stellte so ähnlich wie Joseph Beuys den gesamten Ausstellungsbetrieb in Frage. Und er formuliert, wie andere seiner Generation auch, den Kunstbegriff neu. Es sei die Aktion des Künstlers, die Kunst hervorrufe. Oder anders ausgedrückt, so Kounellis in einem Gespräch mit Beuys, ein Werk sei „sichtbare Sprache“. Nicht alle haben sie verstanden (oder verstehen wollen). Aufsehen erregte etwa eine Aktion in Schwäbisch Gmünd Anfang der 1990er Jahre, als er neben dem Münster einen Galgen aufrichten ließ, an dem ein mit Möbeln gefüllter Leinenbeutel hing. Es hagelte Protest und nachdem ein Unwetter die Installation beschädigt hatte, wurde sie eingemottet.

Ein Labyrinth mit alten Möbeln

Deutschland spielte seiner Meinung nach für die europäische Kultur „im Guten wie im Bösen“ eine Schlüsselrolle. Zwischen 1993 und 2001 hatte er einen Lehrauftrag an der Kunstakademie Düsseldorf. Die Hamburger Kunsthalle widmete ihm 1995 eine große Ausstellung. Er war eng mit Heiner Müller befreundet, für den er auch Bühnenbilder schuf. Noch Ende 2015 setzte er sich mit Müller auseinander, als er für eine Performance nach Motiven der „Hamletmaschine“ am Mailänder Piccolo Theater ein Labyrinth mit alten Möbeln schuf und auch den Zuschauerraum mit einbezog.

Schuhwerk - Installation im Metrobahnhof "Dante" von Neapel

Schuhwerk – Installation im Metrobahnhof „Dante“ von Neapel

Emblematisch erscheint ein Werk, an dem täglich Tausende Menschen in der Station „Dante“ der U-Bahn von Neapel vorbeilaufen. Dutzende alter Schuhe werden hinter langen Stahlträgern eingeklemmt. Bewegung und Stillstand, Freiheit und Zwang sind Grundbegriffe im Werk dieses Künstlers, wo sich Soziales und Individuelles vermischt.

Zuletzt waren Arbeiten von ihm in China zu sehen. Jannis Kounellis ist am Donnerstag in Rom kurz vor seinem 81. Geburtstag (23. März) gestorben. Über sich selbst hatte er einmal gesagt: „Ich bin nur ein Maler, der aus dem Bild ausbrechen und mit dem Publikum ins Gespräch kommen wollte.“

 

Ein ähnlicher Text ist auch in der Stuttgarter Zeitung vom 18. Februar 2017 erschienen.
Siehe auch auf Cluverius den Beitrag über die Mailänder Performance „Teile einer Maschine“