Die Weltausstellung zu Ernährungsfragen vor der Stadt und ein tolles Kulturprogramm im Zentrum
Mailand: Das war ein Wettlauf mit der Zeit. Kurz vor der Eröffnung der Expo 2015 war auf dem 110 Hektar großen Ausstellungsgelände bei der Ortschaft Rho am nordwestlichen Stadtrand noch der Teufel los. Doch Italiener sind Endspurtweltmeister. Und selbst wenn jetzt zur Eröffnung der Weltausstellung am 1. Mai hier und da noch Nachholbedarf besteht, dann wird sich das in den kommenden Wochen erledigen lassen. Wer will denn da schon pingelig sein angesichts der großen Fragen, die im Mittelpunkt stehen. „Den Planeten ernähren – Energie fürs Leben“ lautet das Thema der Superschau mit über 140 Nationen und Organisationen als Teilnehmer (55 davon mit einem eigenen Pavillon). Angesichts der dramatischen Ernährungslage einer immer schneller wachsenden Weltbevölkerung gibt es hier ein brennend aktuelles Problem. Und, wie man gleich am Eingang in dem von Michele De Lucchi als aufgeschnittene Hügellandschaft entworfenen „Padiglione Zero“ (Pavillon Null) in einer eindrucksvollen Mammutausstellung sehen kann, ist das eine der ganz großen kulturgeschichtlichen Fragen überhaupt.
Diese Weltausstellung will keine Leistungsschau sein, sondern ein Forum für Diskussionen über Modelle, Theorien und Technologien, die zum Ziel haben, dass sich alle Menschen gerecht und gesund ernähren können. In neun Clustern werden Produktionsketten von Kaffee bis Reis, von Obst bis Getreide sowie die Bedeutung der Ökosysteme für die Landwirtschaft untersucht. Im September soll eine „Charta von Mailand“ verabschiedet werden, mit der sich die Teilnehmer unter anderem verpflichten, für nachhaltige Landwirtschaftstechniken einzusetzen und Maßnahmen zu ergreifen, um eine weltweite Reduzierung der Verschwendung von Lebensmitteln um 50 Prozent bis zum Jahr 2020 zu erreichen. Erwartet werden 20 Millionen Besucher. 130 Restaurants sorgen dafür, dass man nicht nur über Ernährung redet.
Holz ist der meist verarbeitete Baustoff
Kunst und Kultur haben seit der ersten Expo in London 1851 auf den Weltausstellungen immer eine Rolle gespielt. Anfangs eher als Dekor aber im Laufe der Jahre immer öfter als Träger von Botschaften. Die Architektur als Ausdruck von Fortschrittsgläubigkeit spielte da eine herausragende Rolle. Der Pariser Eiffelturm (1889) oder später das Brüsseler Atomium (1958) sind die sinnfälligsten Beispiele. In Mailand will man eher durch Nachhaltigkeit Zeichen setzen. Bis auf den italienischen Pavillon sollen alle anderen architektonischen Strukturen nach dem Ende der Expo am 31. Oktober wieder abgebaut werden. Teils will man sie umsetzen (etwa der der Golfstaaten wandert nach Abu Dhabi), teils die benutzen Materialen weiter verwenden. Holz ist der meist verarbeitete Baustoff.
Da hätte man sich im Schnitt mehr spielerische Phantasie erwarten können. Immerhin liefern Architekten wie Daniel Libeskind (für den chinesischen Privataussteller Vanke), Norman Foster (Vereinige Arabische Emirate), Christiàn Undurraga (Chile) oder Italo Rota (Kuwait) virtuose Fingerübungen. Bei Coca-Cola und anderen privaten Ernährungskolossen gibt es offensichtlich einen Zusammenhang von langweiliger Architektur und ihren Produkten. Der deutsche Pavillon (Büro Schmidhuber, München) will eine Feld- und Flurlandschaft symbolisieren, wirkt aber eher wie eine Mischung aus Insektenpanzer und Autokarosserie mit angebauter Terrasse.
Sinn und Unsinn solcher Großveranstaltungen
Umstritten bleibt das Wahrzeichen, der 35 Meter hohe „Baum des Lebens“ vor dem italienischen Pavillon, der in seiner Krone Michelangelos Bodenmuster des römischen Kapitols aufnehmen will, und doch eher andas Gerippe eines Regenschirmes erinnert. Nur im Dunkeln leuchtet er bunt. Ein bisschen Kitsch gehört wohl dazu. Ästhetisch gelungen und technisch interessant erweist sich dagegen die Bedeckung der 1,6 Km langen Decumanus, der Hauptachse des Geländes. Ein Korridor von zeltartigen Dächern, die von Stahlseilen getragen werden, führt bis zur Expo-Arena. Nach Studien des Mailänder Polytechnikums bildet sich darunter ein Luftzug, der die Temperatur um 4 bis 5 Grad gegenüber den Freiflächen absenkt. Den einzigen „Pavillon“, der nicht auf dem Ausstellungs-Gelände steht, findet man Mitten in der Stadt. Im Gebäude der Triennale, das ganz von der Expo vereinnahmt wurde, ist die spektakuläre Ausstellung „Arts & Foods“ mit Kunst- und Kulturobjekten von 1851 bis heute zu sehen.
Großveranstaltungen dieser Art bringen immer heftige Debatten um Sinn oder Unsinn mit sich. Zumal es im Vorfeld ermüdende Streitereien um Zuständigkeiten und Grundstücke wie peinliche Korruptionsaffären gegeben hatte. Radikale Gegner erhoffen sich miesepeterig einen totalen Flop, fanatische Befürworter glauben, dass Italien sich so gleichsam am eigenen Schopf aus dem Krisensumpf ziehen kann. Interessanter waren da eher Diskussionen am Rande in der „Designhauptstadt“ Mailand über Formen der visuellen Kommunikation. Während etwa das Expo-Logo (ein Entwurf des 33jährigen Architekten Andrea Puppa), das eine Jury unter dem Vorsitz von Giorgio Armani ausgewählt hatte, in der Designer Szene allgemein als gelungen gilt, wird etwa die Maskotte „Foody“ und ihre Familie als „disneyhaft“ und „Mailand unwürdig“ abgelehnt.
Ein Kulturschub für die Stadt
Aber selbst Skeptiker des Expo-Spektakels können nicht darüber hinwegsehen, dass die Veranstaltung einen Kulturschub in der Stadt ausgelöst, der sich in Sonderspielzeiten der Skala und des Piccolo Theaters ebenso ausdrückt, wie in großen Ausstellungen (Leonardo, Giotto) und hunderten von kleineren Veranstaltungen, in den auch gerade die Kunst der Moderne und der Gegenwart eine wichtige Rolle spielen. „Expo in Città“ – „Expo in der Stadt“ heißt ein prall gefülltes Programm, dass allein einen Mailand-Besuch in diesen Monaten lohnen würde. Juan Muñoz im Hangar Bicocca, Tony Cragg auf dem Dach des Domes, eine bislang nie gezeigte Groß-Installation von Lucio Fontana in der Fondazione Marconi und ein gleichsam Nationalmuseum der italienischen Moderne auf Zeit durch Leihgaben aus allen Regionen des Landes im Museo del 900. Oder die Superschau „La grande madre“ über die Mutterschaft in der Kunstgeschichte, die Massimiliano Gioni für Trussardi zusammen gestellt hat und ab dem 25. August zu sehen sein wird.
Die Stadt schmückt sich derweil mit neuen Architekturen, etwa dem Sitz der Prada-Stiftung von Rem Koolhaas wie dem allerdings im Streit geborenen ethnologischen Museum der Kulturen von David Chipperfield. Auf dem Gelände der alten Messe wachsen Hochhäusern des Projektes City Life von Arata Isozaki, Zaha Hadid und Daniel Libeskind 200 und mehr Meter hoch in den Himmel. Bereits voller Leben zeigt sich das ebenso hoch aufragenden Viertel zwischen Porta Garibaldi und Porta Nuova mit Arbeiten von Cesar Pelli oder den mit Bäumen bepflanzten preisgekrönten Wohntürmen „Bosco in Città“ von Stefano Boeri. Und zu Füßen dieser Türme, wo im kommenden Jahr der drittgrößte Stadtpark der lombardischen Metropole entstehen soll, wächst gerade auf einer rund fünf Hektar großen Fläche langsam Weizen, der im Juli geerntet werden soll. Die Amerikanische Künstlerin Agnes Denes wiederholt hier im Zentrum von Mailand mit „Wheatfield“ eine Aktion, die sie im kleineren Maßstab schon mal 1982 im New Yorker Battery Park realisiert hatte – jetzt als Hommage an die Weltausstellung draußen vor den Toren der Stadt.
Infos:http://www.expo2015.org; http://it.expoincitta.com
(Erstveröffentlichung in gekürzter Form in „Kunstzeitung“ Mai 2015)