Triest, im Februar – „Wir sind heute mit dem Hofzug angekommen“, schreibt Constantin Christomanos, Griechisch Lehrer und Begleiter der Kaiserin Elisabeth („Sissi“), im späten Winter 1892 in sein Tagebuch. „Auf dem Bahnhof von Grignano ausgestiegen. Der Park des Schlosses reicht bis hier herauf, und er duftet und dampft nach dem Regen.“ Den Bahnhof Triest-Grignano gibt es nicht mehr. Park und Schloss Miramare, wo Sissi sich mehrfach in der Sommerresidenz der Habsburger aufhielt, sind dagegen heute eine Attraktion für Touristen und Triestiner gleichermaßen.
Das Castello und seine Parkanlagen entstanden auf einem Felsenvorsprung des Karsts in der Bucht von Grignano nach Willen des Erzherzogs Ferdinand Maximilian von Habsburg (1832-1867), dem jüngeren Bruder des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. Der Bau „schneeweiß, völlig intakt, hübsch mittelalterlich, mit Umrissen und Flächen wie aus einem Scherenschnitt“, kommentiert der Schriftsteller Mauro Covacich über 200 Jahre später. Und er stellt sich Sissi heute vor und vergleicht sie mit der Stadt, „wie Triest eine junggebliebende Vierzigjährige unserer Tage, tätowiert, trainiert, gesundheitsbewusst.“
Sissi liebte die Spaziergänge im Park und stets ohne Eskorte. Ein Park auf einem ursprünglich kargen, fast vegetationsfreien Felsvorsprung, den Maximilian mit Hilfe seiner Architekten und Gärtner in eine botanische Traumlandschaft zwischen Renaissancegarten und englischem Landschaftspark, der heute überwiegt, verwandeln ließ. Dafür wurde fruchtbarer Erdboden aus der Steiermark und aus Kärnten herbeigebracht. Und Bäume und Sträucher aus aller Herren Länder. Noch von Amerika aus, wo Maximilian 1864 auf Beitreiben von Napoleon III. zum Kaiser von Mexiko ernannt worden war, sorgte er sich mit immer neuen Anweisungen um das Schloss und den Park, für den er auch Pflanzen aus Mexiko schicken ließ.
Dem Wahnsinn verfallen
Der Erzherzog und seine Frau Charlotte von Belgien waren fest überzeugt, bald wieder nach Triest in ihr neues Anwesen Miramare („Meeresblick“) zurückkehren zu können. Ohne militärische Unterstützung durch Frankreich, für die Charlotte etwa durch eine Reise auch bei Papst Pius IX. so eindringlich warb, dass man ihr „Wunderlichkeit“ unterstellte, geriet Maximilian aber in die Wirren der mexikanischen Revolution. Er wurde von Republikanern gefangen genommen und im Juni 1867 erschossen – Manet hat es in einem berühmten Gemälde dargestellt. Charlotte soll daraufhin ganz dem Wahnsinn verfallen sein. Sie wurde im Gartenhaus von Miramare eingeschlossen, bevor ihr Bruder sie zurück nach Belgien holte. 1870 konnten dann die Arbeiten an Repräsentationsräume im ersten Stock abgeschlossen werden – Miramare wurde so zur Sommerresidenz des k.u.k. Herrschaftshauses aus Wien.
Christomanos schreibt über die Inneneinrichtung mit „wundervoll geschnitzten Treppen, die von knarrenden Schritten träumen.“ Und von „rotseidenen Möbel mit hohen vergoldeten Lehnen. In dem Seidenstoff ist der mexikanische Adler, ein Reptil im Schnabel zerbeißend eingewoben – eine Ironie der Geschichte, dass der Adler an dem Reptil selbst zugrunde gegangen, bevor noch der Stoff abgenützt worden…“
Spaziergänge mit Sissi
Und immer wieder Spaziergänge mit der Kaiserin: „Wir sind an einer großen Pinie vorübergegangen, die in rotes Gold gebadet war. Aus ihrer Krone erhob sich lautes Geschrei von streitenden Sperlingen. – Sie macht sich gar nichts daraus, sagte die Kaiserin. Die Linien ihrer Krone bleiben dieselben.“ Dann bleiben sie vor dem „Chalet“, in dem Charlotte eingesperrt war, stehen.
Christomanos: „Als Wahnsinnige hat sie es bewohnt, als solche es auch verlassen. Einsam und stumm steht es da mit fest verschlossenen Fenstern. Zweignetze von Kletterrosen, die noch ganz dürr sind, umschlingen die Veranda und die Mauern. Man kann sich bei ihrem Anblick kaum ausdenken, dass sie jeden Sommer ein neues schauerndes Leben von Blumen über dieses schlafende Haus ergießen. (…) Wortlos ging die Kaiserin einigemale um die Umfriedung aus lebenden Pflanzen. Ihre Blicke glitten über die verschlossenen Fenster, auf die auch einige rabenschwarze Zypressen, einen durchdringend bitteren Duft von sich gebend, starr und unverwandt hinblickten.“
Aus einem Dornröschenschlaf erwacht
Der Schriftsteller Mauro Covacich erinnert in seinem kleinen Buch „Triest verkehrt. Fünfzehn Spaziergänge in der Stadt des Windes“ (Verlag Klaus Wagenbach) an das Gerücht, dass Charlottes angebliche Umnachtung nur eine „ausgefuchste Methode des Hofes“ gewesen sei, ihre Sympathien für den Kommunismus auf möglichst diplomatische Art „unter Verschluss“ zu halten.
Heute erfüllt die Naturschutzorganisation WWF das Gartenhaus mit Leben. Das Castello Miramare (als Museum) und der Park sind längst der Öffentlichkeit zugänglich. Mit vielen Initiativen unter der neuen Leitung der vom Kulturminister berufenen Kunsthistorikerin Andreina Contessa ist die Anlage am Rand von Triest und in Nachbarschaft einer internationalen Hochschule aus einem langen Dornröschenschlaf aufgewacht. Im Museum ist noch bis Mitte Februar eine kleine Ausstellung „Die Wissenschaft des Sehens. Fotografie und optische Instrumente zur Zeit Maximilians von Habsburg“ zu sehen, die sich um ein „Megaletoskop“ dreht – als Gerät zur Betrachtung von Farbdrucken mit unterschiedlichen Lichteffekten aus dem Jahr 1860 eine Art Diaprojektor ante litteram. Und im Park, der unter der neuen Direktorin seine ursprüngliche Bestimmung zwischen Kunst und Natur wieder gefunden hat, warten hunderte von gelben Osterglocken gerade darauf, aufzublühen.
Ein guter Rat
„Dieser wunderschöne Park, der so liebevoll von den Gärtnern Maximilians von Österreich angelegt wurde, wird heute von indischen Mathematikern und Marathonläuferinnen in Gogo-Girl-Outfit bevölkert,“ schreibt Mauro Covacich. Die Miramare sei ein „Muss für jede Generation“ und viele Triestiner würden diesen Park lieben, „sie machen aus ihm einen der wenigen Orte, wo Touristen und Einheimische aufeinandertreffen, wenn auch nur zufällig.“
Und dann gibt der Autor allen Besuchern noch einen Rat für den Gang durch die prächtigen Schlossräume. Trotz Spitzen und Kronleuchter, bitte, „vergesst eines nicht: Sucht ein Fenster, schaut hinaus, auf die Sonne, das Meer, und bedenkt, dass Triest eine mediterrane Stadt ist, die südlichste Stadt Nordeuropas.“
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