Thomas Bernhards italienische Fassung von „Vor dem Ruhestand“ mit Elena Bucci und Marco Sgrosso, die das Stück auch inszeniert haben, zwischen menschlicher Tragödie und politischer Satire
Mailand (Teatro dell’Elfo) – Das Stück, das wegen seiner realen politischen Bezüge eine Sonderstellung im Werk von Thomas Bernhard (1931 – 1989) hat, ist sperriger, als es zunächst scheint. Es nimmt den Fall des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU) zum Anlass, der währende der NS-Zeit als Marinerichter Todesurteile und Hinrichtungen zu verantworten hatte, was erst in den 1970er Jahre bekannt wurde und schließlich zum Rücktritt 1978 Filbingers führte. Der hatte sein Tun mit dem Satz entschuldigt „Was damals rechtens war, kann heute kein Unrecht sein“. Er war zuvor mit hohen Orden geehrt worden, unter anderen auch mit dem Verdienstorden der italienischen Republik (Ordine al Merito della Repubblica Italiana), was in Italien so gut wie unbekannt ist.
Bernhard erzählt in „Vor dem Ruhestand“ von dem ehemaligen Nazirichter Rudolf Höller, der in der Bundesrepublik wieder Karriere gemacht hat. Rudolf lebt zusammen mit seinen beiden Schwestern – die inzestuös geliebte Vera sowie die nach Kriegsverletzungen an einen Rollstuhl gefesselte Clara – in einem Haushalt. Jedes Jahr feiert er im Oktober den Geburtstag Himmlers. An solch einem Abend kurz vor seiner Pensionierung, an dem das Stück spielt, hat er dafür seine alte Uniform als SS-Obersturmbandführer angelegt. Hoch erregt und betrunken bedroht er die Schwestern mit einer Pistole und bricht schließlich nach einem Herzkollaps zusammen.
Wie Populisten heute
In dem Stück mit dem Untertitel „Eine Komödie von deutscher Seele“ (Uraufführung in Stuttgart 1979) geht es um Politik aber auch um die Lebenskatastrophe von Rudolf, der wie Vera seine alten ideologischen Überzeugen nicht abgelegt hat und weiter gegen „Juden“ und „Geschäftemacher“ hetzt. Zudem spielen die psychologischen Verknüpfungen zwischen den Geschwistern eine Rolle, ihre Träume – eine Reise nach Istanbul – und ihre Ängste, dass die Vergangenheit sie wieder einholen könnte. Erschreckend, wie die Tiraden von Vera und Rudolf in einer Sprache, die aus der Vergangenheit kommt, den Floskeln ähneln, die man in nur leicht anderen Schattierungen von Populisten heute hören kann.
Die Inszenierung „Prima della Pensione“ von Elena Bucci und Marco Sgrosso, die zusammen mit Elisabetta Vergani (Clara) auch als Vera und Rudolf auf der Bühne stehen, versucht diese drei Ebenen miteinander zu verbinden, stellt dabei aber die Beziehungen der drei Personen in den Vordergrund. Doch springt im psychologischen Spiel kein Funke über. Besonders im ersten Akt, der von langen Monologen Veras geprägt ist, kommt die Inszenierung nur in wenigen Passagen über ermüdende traditionelle Theatralik hinaus. Anzurechnen ist, dass die Satire nicht in Klamauk umschlägt.
Prima della Pensione. Una commedia dell’anima tedesca. Übersetzung: Roberto Menin (Ubulibri, Mailand 1999). Produktion Emilia Romagna Teatro Fondazione, Premiere 9. Januar 2017 in Bologna (Arena del Sole). Gastspiel im Teatro dell’Elfo (Mailand) bis 26. Februar.