Treviso, Anfang Juni – Venetien ist eine wasserreiche Region, aber wenige Städte im Nordosten Italiens werden von so vielen Bachläufen und Kanälen durchquert wie Treviso. Das ist eine Folge einiger Karstquellen, die hier kräftig sprudeln und ihre Wasser in immer neue Arme („cagnani“) verzweigen. Hinzu kommt noch der Sile-Fluss, den es dann zum Meer zieht, wo er bei Jesolo in die Adria mündet. So begleitet eine Grundmelodie, ein stetes Rauschen, Glucksen und Sprudeln von Wassern das Leben der rund 85.000 Einwohnern dieser sympathischen Stadt, denen eine gewisse Lebenslust nachgesagt wird. An Lebenswert hat jedenfalls die Innenstadt in den vergangenen Jahren gewonnen- kulturell wie urban.
In das ehemalige Gefängnis hinter dem Mitte des 19. Jahrhunderts errichteten Palazzo del Tribunale ist ein Museum eingezogen. Die von Tobia Scarpa für die Fondazione Benetton umgebauten „Gallerie delle Prigioni“ zeigen mit wechselnden Ausstellungen jeweils Teile der von Luciano Benetton initiierten Sammlung Imago Mundi. Was hier vor dem Palazzo del Tribunale noch fehlt, kann man anderswo beobachten: Vom Autoverkehr befreite Platzanlagen bilden Bühnen für Treffpunkte. Neue Cafés und Weinbars schießen wie Pilze aus dem Boden. Stadtraum kann zunehmend als Freilichtmuseum genutzt werden. In diesen Wochen für eine Art Festival der Fotografie. Auf der Piazza dell’Università präsentieren Stipendiaten der Benetton Kreativ-Akademie „Fabrica“ aus zehn verschiedenen Ländern ihre Arbeiten. Fotos stehen auch am Zugang zur Pescheria-Insel.
Und auf der Piazza Rinaldi hat Oliviero Toscani großformatige Abbilder seiner Serie „Razza Umana“ aufgestellt, was allerdings ästhetisch einen gewissen Déjà-vu-Effekt hat. Doch bleibt, wie die Porträts vermitteln, Verschiedenheit ein Zeichen gesellschaftlichen Reichtums. Das ist eine positive Botschaft zumal in Zeiten, in denen man auch in Italien durch das Schüren von Ängsten Wahlen gewinnen kann – so auch die Lega in Treviso bei den jüngsten Kommunalwahlen, die damit die Mitte-links-Verwaltung ablöste, die die Stadt am Sile-Fluss die vergangenen Jahre regiert hatte.
Die Fotos hielten immerhin einem gewaltigen Gewitterregen stand, der an einem Dienstagabend vor allem die Südstadt wie eine Sintflut überschwemmte. Als hätte Treviso nicht schon Wasser genug. Am Morgen danach war die Flut in die Cagnani abgeflossen. Nur die Pflaster glänzten noch in der Sonne.