KOMMT ZEIT, KOMMT PATINA


Mit einem Konzert von Riccardo Muti ist in Venedig das Gran Teatro la Fenice als neues Theater mit altem Anstrich eingeweiht worden

Mailand/Venedig (16.12.2003) – Das tut gut: endlich wieder auf diese strahlend weiße Fassade zugehen und eintreten zu können in das lichterglänzende Foyer unter den apollinischen Sälen. Stimmen zu hören, die nicht von Baugeräuschen übertönt werden, sondern von Musikern, die ihre Instrumente einspielen. Die Aura eines 212 Jahre alten Theaters zu erleben, das zugleich ganz neu ist – so wie jedes Musikstück immer wieder neu hervorgebracht werden will. Und wie man über die Interpretation einer Partitur streiten kann, so wird jetzt über die Arbeit diskutiert, mit der Architekten, Künstler und Handwerker das Gran Teatro la Fenice wieder aufgebaut haben, das Ende Januar 1996 bei einem Brand fast vollständig zerstört worden war.

Auf der einen Seite überwiegt die von einer meist jubelnden Berichterstattung in den Medien getragene Begeisterung. Auf der anderen Seite hört man Fragen: Ist die Fenice genau so wie sie war? Sollte sie überhaupt so sein? Ist sie nicht zu bunt geworden? Wie ein „Wiener Zuckerbäckerei“, schimpfte Paolo Isotta, der Papst der italienischen Musikkritik, im Corriere della Sera über die Farben des hufeisenförmigen Zuschauersaales mit seinen klassischen fünf Rängen: wasserblau die Wände der Logen, gold die Putten und die Verzierungen auf cremefarbenem Grund, azur die Decke, dunkelgrün der Samtvorhang und gedecktes Rosa die Sitze. Tauscht die Sitze schnell wieder aus! – grantelte Isotta.

Eine Interpretation, keine Kopie des alten Saals

Enttäuscht bleibt auch der, der sich eine Fotokopie des alten Theaters erwartet hat. Die Patina der Malereien und Goldbeläge, die den Charme der alten Fenice ausgemacht haben, wird sich erst in ein paar Jahrzehnten wieder einstellen. Der neapolitanische Bühnenbildner Mauro Carosi, der diesen Raum auf der Grundlage von Zeichnungen, Fotografien und Fotogrammen (u.a. aus dem in der Fenice gedrehten Visconti-Film „Senso“) entworfen hat, spricht denn auch von einer Interpretation des alten Saales. Eine Kopie, so Carosi, wäre einer Fälschung gleichgekommen. Dennoch kann man sich nicht ganz des Gefühls erwehren, dass das Theater selbst zur Kulisse geworden ist, der besonders die bonbonfarbenden Malereien einen Stich ins Kitschige geben.

Viel ist in diesen Tagen von den Handwerksmeistern die Rede, die versucht haben, dem neuen Theater einen alten Anstrich zu gegeben. Aber grundlegend ist das Projekt des Mailänder Architekten Aldo Rossi, das nach seinem Tod 1997 von Mitarbeitern wie Massimo Scheurer u.a. weitergeführt wurde (siehe SZ vom 13.10.). Aldo Rossi setzte in allen Bauteilen des Opernhauses eigene architektonische Zeichen vom Probenraum für das Orchester unter dem Zuschauersaal über die „Sala Rossi“ mit ihren Palladio-Zitaten bis zum ausgebauten Eingang an der Kanalseite. Von einer Nebenbühne und der komplett neuen technischen Ausstattung ganz zu schweigen. Dreimal ist dieses Opernhaus in seiner Geschichte abgebrannt, dreimal ist es wieder aufgebaut worden – und es wurde dabei immer ein bisschen anders, ein bisschen schöner und ein bisschen zeitgemäßer als früher.

Wagner als Höhepunkt

Am Sonntag ist also dieses Gran Teatro la Fenice mit einem festlichen Konzert nach fast achtjähriger Bauzeit und einer höchst verwickelten Baugeschichte wieder eingeweiht worden – kurz nachdem ausgerechnet Feuerwehrleute mit lauter Popmusik auf dem Weihnachtsmarkt des Campo Santo Stefano gegen ihre Unterbezahlung protestiert hatten. Am Campo San Fantin dirigierte Riccardo Muti dann etwas unkonzentriert Chor und Orchester der Fenice für die Psalmensymphonie von Igor Strawinskij (der in Venedig begraben liegt), fand sich mit dem Te Deum des venezianischen Barockkomponisten Antonio Caldara besser zurecht, und führte die Musiker mit zwei symphonischen Märschen von Richard Wagner (der in Venedig gestorben ist) zum pompösen Höhepunkt des Abends. Zur Einweihung des Hauses gab es aber – nach der Mameli-Hymne, immerhin saß Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi in der schmuckkästchenhaften Ehrenloge – das Orchesterstück „Die Weihe des Hauses“, das Ludwig van Beethoven anlässlich der Eröffnung des Wiener Josephstadttheaters am 3. Oktober 1822 komponiert hatte.

Obwohl an diesem Abend nicht so sehr Musik aufgeführt wurde, sondern das Theater selbst, war man doch sehr auf die Akustik gespannt. In den vergangenen acht Monaten hatte der Toningenieur Jürgen Reinhold von der Münchener Müller BBM jeweils abends gewartet bis der letzte Arbeiter die Baustelle verließ, um mit seinen akustischen Messungen zu beginnen, die oft die ganze Nacht andauerten. Er brachte dann zuweilen Architekten und Handwerker zur Verzweiflung, weil er etwa die Decke der Vorbühne abschrägen, Türen versetzen oder Polsterungen verändern ließ. Der fast ganz aus Lärchenholz gebaute Zuschauerraum wurde seitwärts verankert und schwebt gleichsam über den Grundmauern. Die Folge, man hört die Musik nicht nur, man spürt sie geradezu in den Beinen. Reinhold zeigte sich auch nach der ersten Veranstaltung mit einem vollbesetztem Haus zufrieden: die Nachallzeit (bis der Schallpegel im Raum um 60 dB abgefallen ist) beträgt 1,8 Sekunden und erreicht damit sogar Konzertsaalqualität.

Warten auf die erste Operninszenierung

Allerdings können wir erst in zehn Monaten wissen, wie eine Oper in diesem Theater klingen wird. Zur Eröffnung der Spielzeit 2004/2205 soll Lorin Maazel die „Traviata“ dirigieren, die Verdi 1853 eigens für Venedig geschrieben hatte. Bis dahin wird noch im Bühnenzelt auf der Tronchetto-Insel gespielt oder im kleinen Teatro Malibran aus dem 17. Jahrhundert, das nach langer Restaurierungszeit inzwischen wieder zur Verfügung steht. Während der Zeit des Exils im „PalaFenice“ hat die Oper mit niedrigen Preisen und einer teilweisen populären Programmpolitik ein neues Publikum aus dem venezianischen Hinterland gewonnen. Vermutlich wird nur ein kleiner Teil dieses Publikums der Fenice auch ins Stammhaus folgen.

Intendant Giampaolo Vianello setzt in Zukunft vor allem auf die „melomani“, die Musikbesessenen. Das, so sagt er in einem Gespräch mit der SZ, seien diejenigen, die in New York ins Flugzeug steigen, um eine Salomé in London wegen dieses Dirigenten oder jenes Sängers zu sehen. Venedig müsse mit entsprechenden Programmpolitik dieses Publikum zurückgewinnen. Für die kommenden drei Jahre sind dabei Werke von Rossini und Verdi geplant, die entweder direkt für die Fenice geschrieben oder mit ihr in einem Traditionszusammenhang stehen. Dazu soll Wagners Ring kommen. Und die eine oder andere „Überraschung von zeitgenössischer Musik, etwa im Zusammenhang mit der Biennale musica.“ Das kann der neuen alten Fenice wirklich nur gut tun.

Veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung im Dezember 2003