Maurizio Cattelan wirbt mit Wandbilder in London, New York, Hongkong und Mailand für eine vom ihm kuratierte Ausstellung in Shanghai über Kopien in der Kunst – Eindrücke von einer Mailänder Straßenszenerie
Mailand – Von der modernen Architektur Mailands beim Garibaldi-Bahnhof hin in die Altstadt und zum Brera Viertel führt ein Spaziergang durch die sich ganz jugendlich, hip-lebendig gebende lombardische Metropole. Im Corso Garibaldi geht es vorbei an neuen Bars und alten Kirchen, bunten Geschäften und lauten Werbeplakaten, an Straßenmusikanten und Bettlern. Man lässt sich treiben – und bleibt plötzlich stehen. Kurz vor dem Largo La Foppa sieht man sich einem Murales gegenüber, das eine vierstöckigen Häuserwand vollständig füllt. Ein überdimensionales Frauengesicht, das Marina Abramovic ähnelt, blickt entrückt über die Flaneure unten auf dem Corso Garibaldi hinweg. „The artist is present“ steht da geschrieben – der Titel einer legendären Abramovic-Ausstellung in New York 2010. Und unter dem Dachfirst sieht man das Logo des Modeimperiums Gucci und liest Namen „Maurizio Cattelan“.
Klar, unter den vielen Führungsrollen, die Mailand heute in Italien und Europa spielt, gibt es auch die der PR-Hauptstadt. Aber wer wirbt hier mit diesem ambient marketing für wen oder was? Wen man näher tritt, findet man am unteren Rand des Wandbildes sozusagen auf Augenhöhe einen Hinweis: Wieder prangt da das Gucci-Logo plus Datum und Ort: „11 Oct. 2018 – 16 Dec. 2018 Yuz Museum Shanghai“.
Kunst in Kopie – der Sponsor aber ist echt
Auf dem Smartphone tastet man sich fragend vorwärts: eine Cattelan-Ausstellung in Chinas Kunstmetropole? Nicht ganz. Der 58jährige italienische Star, der in New York lebt, will zwar (vorerst) nicht mehr als aktiver Künstler präsent sein, aber den Kunstbetrieb kann er doch nicht ganz lassen. Er kuratiert jetzt eine Ausstellung im Yuz-Museum von Shanghai über die Kunst der Kopie und über kulturelle Aneignung, wie es heißt. Sie soll vorwiegend site-spefic Arbeiten chinesischer und internationaler Künstler wie Philippe Parreno, Yan Pei-Ming, Damon Zucconi, Christopher Williams, Aleksandra Mir oder Sayre Gomez zeigen. Marina Abramovic ist nicht präsent ( – ihre Arbeiten kann man zurzeit in Florenz sehen). Schon der Titel der Shanghai-Ausstellung ist deshalb nicht original, sondern kopiert – will aber originell sein: „The artist is present“. Und Gucci sponsert. Das ist echt.
Die These der Ausstellung: In jeder Kopie werde etwas Authentisches bewahrt. „Kopieren“, so wird Cattelan in Netzwerken zitiert, „ist wie Fluchen.“ Das könnte Gott gegenüber respektlos erscheinen, aber gleichzeitig sei es „eine signifikante Anerkennung seiner Existenz“. Die Frage ist nur, wer hier „Gott“ ist – die Kunst oder der Kunstmarkt? Und wo hört die Kopie auf und fängt das Fake an?
Ein bisschen mehr als PR?
An vier ausgewählten Orten der Welt blickt nun zeitgleich die Face-Fake von Marina Abramovic dem Publikum entgegen, in New York (SoHo), in Hongkong (D’Anguilar Street), in London (Brick Lane) und eben in Mailand im Corso Garibaldi. Ist das Murales nun reine PR oder nicht doch auch ein bisschen Kunst? Wenn man Passanten hier fragt, was das Bild oben an der Wand bedeute, erntet man meist Achselzucken. ’Was für Gucci? Irgendwas mit Kunst? PR, die über die Köpfe vieler hinweg streicht. Aber vielleicht will sie – ein bisschen mehr als PR – auch nur die Happy few erreichen.
Ein ähnlicher Text ist im Informationsdienst Kunst 662 (Berlin, 11.10.18, Verlag Lindinger + Schmid) erschienen