ALS DIE PARTEI IM REGEN STAND


Vor 100 Jahren wurde in Livorno der Partito Comunista d’Italia gegründet – 70 Jahre später ging er sang- und klanglos unter, nachdem die Partei in der Nachkriegszeit die italienische Demokratie gestärkt hatte.

Parteitag der getrennten Wege: Auf dem 17. Parteitag der italienischen Sozialisten im Teatro Goldoni spaltete sich die Gruppe der Kommunisten ab und gründete eine eigene Partei im benachbarten Teatro San Marco

 Mailand – „Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Kommunismus.“ Mit diesem berühmten Satz beginnt das Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels aus dem Jahr 1848. Es sollte über ein halbes Jahrhundert dauern, bis das Gespenst sichtbare Gestalt annahm: nach der Oktoberrevolution 1917 gründeten die Bolschewiken die Kommunistische Partei Russlands. 1919 wurde auf Betreiben Lenins in Moskau die Kommunistische Internationale ins Leben gerufen, die die Weltrevolution vorantreiben sollte. Kommunistische Parteien entstanden in Europa meist nach Fraktionskämpfen innerhalb der sozialistischen Bewegungen zwischen Revolutionären und Reformisten. In Deutschland wie etwa in Jugoslawien, Frankreich oder Griechenland. Auch in Italien spitzte sich der Flügelkampf in der sozialistischen Partei zu, bis es im Januar 1921 in Livorno auf dem 17. Parteitag des Partito Socialista Italiano zum endgültigen Bruch kam.

Unter einem Bild von Karl Marx versammelten sich im Januar 1921 die Delegierten der sozialistischen Partei Italiens zu ihren 17. Parteitag im Teatro Goldoni von Livorno, der größten Hafenstadt der Toskana am Tyrrhenischen Meer. Quer über die Bühne des Saals war ein Banner mit der Losung „Proletari di tutti i paesi unitivi – Proletarier aller Länder vereinigt euch“ gespannt. Die Stimmung war explosiv. Im Oktober hatte bereits die in Neapel erscheinende Zeitschrift „Il Soviet“ in einem Beitrag von Amadeo Bordiga gefordert: „Man darf nicht zögern, die alte Partei anzuklagen und ein neues Organ zu gründen, das notwendig, sogar unverzichtbar für die proletarische Revolution ist.“

Der „Biennio rosso“

Das Königreich Italien lag nach den hohen Verlusten an Menschen und Material im ersten Weltkrieg wirtschaftlich am Boden und war politisch und sozial zerrissen. Nach Kriegsende folgte zwei Jahren mit sozialen Unruhen, Streiks, Fabrikbesetzungen, die von 1919 und 1920 als „Biennio rosso“, als „rotes Biennium“ in die Geschichte eingehen sollten. Doch war es der unschlüssig agierenden sozialistischen Partei trotz Wahlerfolgen nicht gelungen, monarchische und liberal-konservative Kräfte aus ihren Machtpositionen zu drängen.

In der Partei befehdeten sich drei Strömungen: Reformisten, ein Mehrheitsflügel und eine Gruppe von Kommunisten. Die Kommunisten wurden von Aktivisten wie Amadeo Bordiga aus Neapel und Antonio Gramsci, Umberto Terracini und Palmiro Togliatti aus Turin angeführt – alles junge Männer zwischen 26 und 32 Jahren alt. Sie waren gewillt, die Vorgaben der 1919 in Moskau gegründeten Kommunistischen Internationale umzusetzen.

Bordiga erinnerte sich später in einem Fernsehinterview: „Fast alle Kommunisten der Internationale stimmten der Idee zu, dass die Reformisten nicht nur in Italien, sondern auch in anderen Sektionen der Internationale, ausgeschlossen werden sollten.“ So wie in Deutschland die KPD den Kampf gegen Sozialdemokraten an die erste Stelle stellte, ließ der kommunistische Flügel auf dem Parteitag der italienischen Sozialisten in Livorno eine Abstimmung zum Parteiausschluss der Reformisten auf die Tagesordnung setzen. Bordiga: „Mit Hilfe der Mehrheitsfraktion wurde der aber abgelehnt und wir entschieden uns also, den Saal des Teatro Goldonis zu verlassen und zogen in das nahe gelegene Teatro San Marco von Livorno, wo wir eine andere Partei gründeten.“

Ihnen schlossen sich auch die meisten Delegierten der Jugendorganisation des Partito Socialista an. Die neue Partei erhielt den Namen Partito Comunista d’Italia – Kommunistische Partei von Italien – mit dem Zusatz „italienische Sektion der Internationale“. Amedeo Bordiga wurde zum erste Sekretär der KPd’I gewählt und als Parteisitz wurde Mailand bestimmt.

Delegierte unter Regenschirmen

Die äußeren Umstände des Gründungsparteitages waren recht prekär. Das Teatro San Marco, das im Krieg als Militärlager gedient hatte, befand sich in einem erbärmlichen Zustand, wie sich Umberto Terracini später in einem Zeitungsartikel erinnerte: „Für die Delegierten gab es keine Tische und kaum Stühle, die meisten mussten stundenlang stehend ausharren. Von der löchrigen Decke spritze immer wieder Wasser in den Saal, gegen das man sich mit aufgespannten Regenschirmen schützte, was merkwürdig anzusehen war. Die Fenster des Gebäudes waren ohne Glas und die Logen im Saal ohne Brüstungen. Es gab keine Heizung und die Luft war schneidend kalt und feucht.“

Antonio Gramsci, der wie Amadeo Bordiga oder Umberto Terracini ins fünfzehnköpfige Zentralkomitee gewählt wurde, hielt sich auf dem Gründungsparteitag im Hintergrund. In der Folge befürwortete er gerade im Kampf gegen den Faschismus, der 1922 in Italien die Macht übernommen hatte, die Zusammenarbeit mit anderen Oppositionsgruppen ohne jedoch die internationale Führungsrolle Moskaus in Frage zu stellen. Rückblickend kritisierte er drei Jahre nach dem Gründungsparteitag in einem Artikel der Zeitschrift „L’Ordine nuovo“, dass die kommunistische Gruppe sich im roten Biennium „auf formale Debatten versteift hatte und es auch später, nach der Gründung der neuen Partei, nicht verstanden hatte, ihre spezifische Aufgabe zu erfüllen, das heißt die Mehrheit des Proletariats für sich zu gewinnen.“

Parteitage im Untergrund

Antonio Gramsci wurde 1926, als die Partei bereits im Untergrund agierte, zum Sekretär gewählt und trat so die Nachfolge von Amedeo Bordiga an. Die Partei schloss Bordiga wegen angeblich „trotzkistischer Umtriebe“ wenig später aus. Gramsci wurde kurz nach seiner Wahl verhaftet und zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Mussolini soll gesagt haben: „Für die nächsten 20 Jahre müssen wir verhindern, dass dieses Gehirn funktioniert.“ Gramsci versuchte, mit seinen Briefen und Schriften aus dem Gefängnis heraus Einfluss zu nehmen. Die Partei versuchte im Untergrund zu überleben, Kongresse wurden klandestin im Ausland abgehalten, etwa in Lyon oder 1931 auch in der Nähe von Köln.

Von dem Exil in Moskau führte Palmiro Togliatti die Partei, die 1943 den heute geläufigen Namen Partito Comunista Italiano angenommen hatte, durch die Jahre der faschistischen Diktatur und des Widerstands in die Nachkriegszeit. Als Mitgliederstärkste kommunistische Partei Westeuropas trug die KPI wesentlich zur demokratischen Entwicklung Italiens bei. Nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sie sich Anfang Februar 1991 auf ihrem 20. Kongress in Rimini an der Adria auf – siebzig Jahre nachdem sie 1921 in Livorno am Tyrrhenischen Meer gegründet worden war.

Der Deutschlandfunk hat zum Thema am 21. Januar ein Kalenderblatt gesendet

Siehe auch auf Cluverius „Eine Partei im Nebel“ – der Partito Comunista Italiano löst sich auf seinem 20. Parteitag in Rimini 1991 auf