Wie erinnern? Zwei Beispiele aus Mailand und aus Genua
Italien gedenkt der Befreiung von deutscher Besatzung und der Herrschaft Mussolinis vor 70 Jahren. Am 25. April 1945 wurde vom Nationalen Befreiungskomitee in Mailand der Generalstreik in den noch von Wehrmacht und SS besetzten Gebieten Norditaliens ausgerufen. Das war zugleich das Signal zu einem allgemeinen Aufstand, durch den dann die Partisanen die Herrschaft über große Städte wie Mailand, Genua und Turin errangen, während die Alliierten von Süden kommend immer weiter vorrückten. Die Deutschen Truppen befanden sich bereits auf einem chaotischen Rückzug Richtung Alpen. Vier Tage später kapitulierten sie endgültig vor den Alliierten. In Italien wird der 25. April inzwischen als Nationalfeiertag begangen, an dem man die Resistenza, also den Widerstand ehrt, dessen Werte auch in die republikanische Verfassung Eingang gefunden haben. Zuletzt hatte sich jedoch eine Feiertagsrhetorik entwickelt, die zu einer gewissen Ermüdung der Erinnerung geführt hat. In Mailand wie in Genua gab es jetzt Versuche, die Feiern des 25. Aprils mit neuem Leben zu füllen.
„Bella Ciao“ ist das Symbollied des italienischen Widerstands. Seit 70 Jahren, seit der Befreiung 1945, wird es landauf, landab bei den Gedenkfeiern zum 25. April gespielt. Im Auftrag des privaten Mailänder Stadtsenders Radio Popolare hat der Jazztrompeter Paolo Fresu eine aktuelle Fassung arrangiert. Noch ist sie einigen Hörern fremd, die an der traditionelle Form hängen.
Die Frage nach dem „Wie erinnern“ gehört seit einigen Jahren zu den Diskussionen um den Tag der Befreiung. In Mailand hat die Stadt rechtzeitig zum Feiertag eine „Casa della Memoria“, ein „Haus der Erinnerung“ einweihen können, in der die Geschichte der Resistenza mit der demokratischen Nachkriegsgeschichte verbunden wird. Darin finden verschiedene Vereinigungen einen gemeinsamen Sitz. Dazu gehören die städtische Vereinigung der Partisanen, die der deportierten Soldaten des Zweiten Weltkriegs oder die der Opfer des Terrorismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die „Casa della Memoria“ ist eine Mischung aus Archiv und Studienzentrum, Bibliothek und Veranstaltungsstätte. Hoffnungsvoll erklärte Bürgermeister Giuliano Pisapia bei der Eröffnung:
„Das Haus der Erinnerung wird für Mailand und ganz Italien ein Vorposten des Friedens und der Toleranz sein. Ein Ort, wo die Grundlagen unserer Demokratie erhalten und verstärkt werden können.“
Eine Fassade wie ein mittelalterliches Mehrfachbild
Das Architekturbüro „Baukuh“ ( Mailand/Genua) hat dafür ein schachtelartiges, dreistöckiges Gebäude auf einer Grundfläche von 700 Quadratmetern geschaffen. Nach außen ist es in einer Jahrhunderte alten lombardischen Tradition mit rotem Backstein bekleidet. Diese eindrucksvolle Fassade wirkt zugleich wie ein Polyptychon, ein mittelalterliches Mehrfachbild mit seiner didaktisch-erzählerische Aufgabe. Einer Art Stein-Mosaik zeigt dabei auf der Fassade stilisierte Fotos von Menschen aus Mailand und der Lombardei sowie historische Szenen der vergangenen 70 Jahre. Das Haus bildet eine Art Scharnier zwischen dem neuen Hochhausviertel Mailands an der Porta Nuova und dem volkstümlichen Stadtteil Isola. Und so weiß man auf den ersten Blick nicht so recht, ob es sich um einen Neubau oder um die Restaurierung eines Altbaus handelt. Dazu der Architekt Andrea Zanderigo:
„Zwei Zeitebenen spielten für uns eine Rolle. Auf der einen Seite die gleichsam langsame der Außenhaut, die das Gebäude für immer, jedenfalls bis zu seiner Zerstörung prägen wird. Im Inneren stand die Idee eines neutralen Raums im Vordergrund, der den jeweiligen Technologien aber auch den jeweiligen persönlichen Bedürfnissen der Erinnerungskultur angepasst und laufend verändert werden kann.“
Wie erinnern? In Genua lud gestern das Goethe-Institut zusammen mit dem Institut für die Geschichte des ligurischen Widerstands zu einer Gedenkveranstaltung in die Villa Migone. Hier hatte am 25. April der deutsche Stadtkommandant General Günther Meinhold sich den Kräften des Widerstands ergeben. Genua ist von einem Kranz von Hügeln und Bergen umgeben, der damals von den Partisanen kontrolliert wurden. Den Deutschen war der Weg des Rückzugs abgeschnitten. Es blieb nur die Wahl zwischen Kampf und Zerstörung der Stadt oder Aufgabe.
Die Courage des deutschen Stadtkommandanten
„Der Rückzug als Alternative war also ausgeschlossen. Aber er hatte den Mut, mit seiner Unterschrift unter die Kapitulation gegen einen Führerbefehl dem Schrecken ein Ende zu setzen. Und damit einen für Genua katastrophalen Epilog des Krieges verhindert.“ Giacomo Ronzitti leitet das Institut für die Geschichte des ligurischen Widerstands. „Wir wollen mit der Erinnerung an die Unterschrift ebenso deutlich machen, dass sie einen Prozess des Friedens und der Versöhnung eingeleitet hat.“
Zum Gedenktag war auch der deutsche Generalkonsul Peter Dettmar aus Mailand nach Genua gekommen. Er hat in jüngster Zeit einer ganze Reihe solcher Veranstaltungen im Zusammenhang mit den Verbrechen der Wehrmacht und der SS in Norditalien beigewohnt. Veranstaltungen, die mehr sind als nur Termine. Dettmar:
„Also Routine kann es nicht sein. Es ist jedes Mal wieder auch innerlich eine Herausforderung, aber im positiv verstandenen Sinne. Ich bin sehr dankbar, dass wir eingeladen werden und das unabhängig von meiner Person. Es geht darum, dass wir als Deutsche eingeladen werden zu solchen Veranstaltungen, zu solchen Erinnerungstagen und damit auch bekennen, dass wir uns zu dieser Vergangenheit bekennen. Und nach wie vor gemeinsam an einer Aussöhnung und Versöhnung versuchen, unser Möglichstes zu tun.“
In Genua blicken ehemaligen Feinde als Freunde nach vorne. In Mailand wird die Erinnerung auch architektonisch im Heute greifbar. Das sind zwei gelungene Arten, Geschichte wach zu halten.
Erstveröffentlichung in gekürzter Form im Deutschlandfunk „Kultur heute“ 26.4.2015