Andreas Camilleris Caravaggio-Roman
„Die Farbe der Sonne“ und die Mafia
Rom. Die Geschichte handelt von einem Künstlerleben, doch sie beginnt wie ein Krimi. Dem Erzähler wird beim Besuch einer Inszenierung im griechischen Theater von Syrakus eine Telefonnummer zugespielt. Sie führt zu einem versteckten Landgut unweit von Catania, wo er bislang unbekannte handschriftliche Notizen eines berühmten Malers aus der Zeit des Epochenwechsels von der Renaissance zum Barock einsehen kann. Notizen von Caravaggio, das heißt von Michelangelo Merisi, der 1571 vermutlich in Mailand zur Welt kam. Die Familie des Malers stammte aus dem Marktflecken Caravaggio (südlich von Bergamo), auf den sich Merisi immer wieder stolz berief. In Rom, das er später fluchtartig verlassen musste, weil er wegen Totschlags angeklagt wurde, und in Neapel schuf er seine Hauptwerke. Caravaggio starb am Ende eines kurzen, teilweise abenteuerlichen Lebens vor 400 Jahren am 18. Juli 1610 in Porto Ercole an der Grenze zum Vatikanstaat. In den Jahren vor seinem Tod hielt er sich von 1607 bis 1609 vor allem auf Malta und auf Sizilien auf.
Aus den geheimnisvollen Notizen rekonstruiert der Sizilianer Andrea Camilleri in seinem kleinen Roman „Die Farbe der Sonne“ eben diese Jahre. Caravaggio kommt nach Malta, malt dort einige wichtige Bilder wie „Die Enthauptung von Johannes dem Täufer“ und wird in den Ritterorden aufgenommen. Wegen der Beteiligung an einer Schießerei steckt man ihn jedoch in den Kerker. Es gelingt ihm zu fliehen, woraufhin er aus dem Orden wieder ausgestoßen wird. Danach hält er sich fast ein Jahr lang auf Sizilien auf, nimmt Aufträge in Syrakus, Messina und Palermo an, bevor er sich schließlich einschifft, um wieder das italienische Festland zu erreichen. Er möchte nach Rom zurückkehren und hofft auf Vergebung durch den Papst. Camilleri zitiert Caravaggios Beschreibungen dieser Reisen, seine Erinnerungen an frühere Jahre und auch seine erotischen Abenteuer. Aber Kunsthistoriker werden mit diesen Notizen wenig anfangen können.
Zum Fälschen geboren
„Natürlich habe ich alles erfunden, ich bin vermutlich zum Fälschen geboren“, erzählt der Autor bei einem Gespräch in seiner römischen Wohnung. Er habe großes Vergnügen gehabt, die Notizen von Caravaggio in einer barocken (vom Übersetzer Moshe Khan kongenial übertragenen) Sprache zu erfinden. Diese Technik hatte Camilleri, der ja nicht nur die erfolgreichen Kriminalgeschichten mit Commissario Montalbano auf dem Gewissen hat, sondern sich auch als Autor von historischen Romanen wie „König Zosimo“ einen Name machen konnte, bereits früher angewandt. So war es ihm gelungen, eine Erzählung im Stil von Boccaccio („La novella di Antonello da Palermo“) zu schreiben, die dann sogar mit dem Premio Boccaccio ausgezeichnet wurde. „Das ist das Höchste, was einem Fälscher passieren kann.“
Auslöser der Caravaggio-Erzählung war vor einigen Jahren die Einladung, einen Text für eine Ausstellung in Deutschland zu schreiben. Ihn motivierte, dass auf dieser Ausstellung auch Imitationen der Bilder von Caravaggio zu sehen waren. Das habe ihn auf die Idee mit der Fälschung gebracht, „die Möglichkeit, Dokumente jeder Zeit zu fälschen, die aber plausibel sind.“ Das heißt die Erzählung ist ersponnen, die Fakten sind jedoch belegt oder zumindest so gut erfunden, dass sie wahr sein könnten. Um die wenigen Seiten für den Katalog zu schreiben (erschienen 2006 unter dem Titel „Maler, Mörder, Mythos“ bei Hatje Cantz) hatte sich Camilleri dann so viele Tagebuchblätter Caravaggios zusammenphantasiert, dass sich daraus ein kleiner Roman bauen ließ.
Dunkle Schatten auf der Seele von Caravaggio
In dem Text, der sich interessant und spannend liest, ohne dass man ihn gleich zu den Hauptwerken des Autors zählen wollte, entwickelt Camilleri die Idee einer negativen Prägung Caravaggios. Eine Art schwarze Sonne, die seine Seele wie seine Kunst der letzten Lebensjahre beherrscht. Man habe den Eindruck, „als wenn in den Bildern alles schwarz wäre und die Figuren aus dem Schwarzen entstehen würden.“ Warum? Ist das eine Verneinung der Wirklichkeit außerhalb des Bildes, „ein Wille, sie zu ignorieren?”
Eine merkwürdige Gelassenheit – eine „heitere Pause“ nennt das Camilleri – zeichnet jedoch Caravaggios Aufenthalt gerade auf Sizilien aus. Dabei ist er auf der Flucht vor der Polizei des Papstes wie vor den Häschern des Ritterordens. „Er hat sich,“ sagt Camilleri, „wirklich mit zwei ganzen großen Mächten der Zeit angelegt.“ Doch könne er sich sicher fühlen, denn „er weiß, dass die Nachricht, dass er aus dem Ritterorden wieder ausgeschlossen worden ist und dass er gesucht wird, in Catania nicht bekannt wird.“ Und sie wird in der Tat nicht bekannt. Also, man müsse „nicht gleich die Mafia bemühen“, aber es gebe dieses Schutzverhalten, auf das Caravaggio zählen könne.
Ein Gipfeltreffen der Cosa Nostra
Mafia aber ist im Spiel, als in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 1969 mehrere Männer ins Oratorium von San Lorenzo in Palermo einbrechen. Mit einem Rasiermesser schneiden sie ein rund zwei mal drei Meter großes Leinwandbild aus dem Rahmen über dem Hauptaltar, rollen es zusammen und schaffen es in einem Lieferwagen weg. Es ist eine „Geburt Christi mit den Heiligen Franziskus und Lorenz“, das letzte Bild, das Caravaggio auf Sizilien gemalt hat. Bis heute gibt es nur Spekulationen über die Gründe, die höchste Kreise der Cosa Nostra dazu bewogen hatten, diesen Raub in Auftrag zu gegeben haben. Dass dies ein Mafia-Verbrechen war, haben bereits in den neunziger Jahren Überläufer, die sich zur Mitarbeit mit den Justizbehörden entschlossen hatten, ausgesagt.
Angeblich sei das Bild bei mehreren Gipfeltreffen der Cosa Nostra wie eine Trophäe ausgestellt worden. Doch habe man es schlecht gelagert und als man es schließlich einem Kunstsachverständigen zum Kauf anbieten wollte, sei dieser ob des Zustands der Leinwand in Tränen ausgebrochen. Neuere Überläufer haben vor wenigen Monaten diese älteren Aussagen weitgehend bestätigt. Danach sei die „Geburt Christi“ Anfang der 80er Jahre der Mafia-Familie der Pullarà übergeben worden, die das Bild in einem Stall versteckte, wo es von Schweinen und Mäusen angefressen wurde, so dass man es schließlich verbrannt habe.
Dieses Nachspiel von Caravaggios Aufenthalt auf Sizilien thematisiert Andrea Camilleri nicht. Aber in der Rahmengeschichte, in der der Autor die Spur der angeblichen Tagebuchblätter aufnimmt, spielt das Mafia-Milieu eine wichtige Rolle. In seiner Art zu Fälschen bleibt der sizilianische Autor, auch in einer Gelegenheitsarbeit wie dieser, der Wirklichkeit seiner Heimat tief verpflichtet.
Andrea Camilleri: Die Farbe der Sonne. Ein Caravaggio-Roman. Deutsch von Moshe Kahn. Kindler im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2010. 126 Seiten, 16,95 Euro